Nach dem antisemitischen Angriff eines palästinensischen Syrers auf zwei Kippa-Träger in Berlin finden am Mittwoch in mehreren deutschen Städten Solidaritätsaktionen statt – darunter auch in Potsdam. „Potsdam trägt Kippa“ heißt das Motto des Umzugs, zu dem jüdische und christliche Gemeinden aufgerufen haben. Der Potsdamer Imam Kamal Abdallah erklärt, warum er mitläuft.
WELT: Dürfen Muslime überhaupt eine Kippa tragen?
Kamal Abdallah: Nein, soweit ich weiß, nicht. Die Kippa ist ein religiöses Symbol. Aber wir wollen trotzdem dabei sein – auch ohne Kippa.
WELT: Warum?
Abdallah: Wir wollen deutlich machen, dass nicht nur die Juden von Religionsfeindlichkeit betroffen sind, sondern auch wir. Unserer Gemeinde wurde es zum Beispiel gerade verweigert, einen Pachtvertrag für ein Gartengrundstück abzuschließen, weil wir Muslime sind.
WELT: Das müssen Sie erklären.
Abdallah: Der Gartenverein, dem das Grundstück gehört, hat gesagt: Wir wollen hier keine Frauen mit Kopftuch herumlaufen sehen.
WELT: Die Demo morgen richtet sich ja nun gegen Antisemitismus und nicht gegen Islamfeindlichkeit. Immerhin wurden gerade in Berlin zwei Israelis körperlich angegriffen, weil sie eine Kippa trugen.
Abdallah: Also wir finden das, was der Angreifer gemacht hat, beschämend. Wir müssen auch ein Gesicht zeigen gegen solche Aktionen, gegen Antisemitismus, gegen Islamfeindlichkeit. Das ist ein Angriff auf die Gesellschaft.
WELT: Woher rührt diese Judenfeindlichkeit?
Abdallah: Bei dem Mann muss das persönliche Gründe gehabt haben. Trotzdem gilt: Egal, welcher Ansicht man ist – man hat kein Recht, andere wegen ihres Glaubens oder ihrer Herkunft anzugreifen. Das kann man nicht rechtfertigen.
WELT: Hat der Antisemitismus etwas mit dem Islam zu tun?
Abdallah: Ich glaube nicht. Der Vorfall scheint mir nicht religiös begründet. Ich habe das Video über den jungen Mann im Internet angesehen. Da deutet nichts darauf hin, dass er Muslim ist. Ein gläubiger Muslim tut niemandem etwas an.
WELT: Nun ist der junge Mann aber Syrer, aller Wahrscheinlichkeit auch Muslim. Wenn der Angriff nichts mit seiner Religion zu tun hatte – womit denn dann?
Abdallah: Erklären kann man das nicht. Wir als Muslime erkennen das Judentum und das Christentum als gleichberechtigte Religionen an. Wenn der junge Mann das nicht tut, dann ist er kein Muslim. Das hatte nichts mit dem Islam zu tun.
WELT: In Ihrer Gemeinde sind viele syrische Flüchtlinge untergekommen. Glauben Sie, von diesen kommt am Mittwoch jemand mit auf die Demo?
Abdallah: Die Teilnahme ist natürlich freiwillig – wir werden niemanden zwingen, daran teilzunehmen. Aber wir haben die Leute natürlich über die Aktion informiert.
WELT: Ist der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern ein Thema in Ihrer Gemeinde?
Abdallah: Wir halten uns von politischen Themen fern. Als Muslime und Juden sollten wir versuchen, Themen zu finden, die uns verbinden, und nicht die, die uns trennen. Manchmal haben wir einen Rabbiner bei uns zu Gast. Da haben wir nichts dagegen.
WELT: Sie sind als Palästinenser im Libanon geboren. Können Sie verstehen, dass es eine Abneigung gegen Israel gibt unter einigen Arabern, die manchmal in Hass gegen Juden umschlägt?
Abdallah: Natürlich gibt es Personen, die frustriert sind über die Israel-Politik. Die auch frustriert sind, dass alle zuschauen. Aber das darf ich nicht mit dem Judentum in Verbindung bringen. Wer als Muslim gegen Juden ist, missbraucht die Religion für die Politik. In Syrien haben die Religionen jahrelang friedlich zusammengelebt. Erst seit dem Krieg gibt es Streit zwischen den Religionen. Politik instrumentalisiert Religionen für ihre Zwecke.
WELT: Nun hat der Streit Deutschland erreicht. Welche Rolle müssen Moscheen spielen?
Abdallah: Die Moscheen versuchen immer, fern von politischen Konflikten zu bleiben. Wenn wir über Israel sprechen, müssen wir auch über Syrien, den Libanon, den Irak sprechen. Das bereitet nur Kopfschmerzen.
WELT: Wenn es jetzt nicht die Moschee ist, die sich verantwortlich fühlt: Wer sollte das Thema denn dann aufgreifen? Die Spannungen sind ja da.
Abdallah: Das Thema ist eines, das die gesamte Gesellschaft betrifft: Schule, Politik, Medien. Aber ich habe auch mit Syrern gesprochen: Auch sie haben den Angriff auf den Israeli verurteilt. Es ist nicht so, dass alle Syrer judenfeindlich wären – im Gegenteil. Wenn eine Person sagt, sie hasse jemanden, weil er ein Jude ist, dann ist diese Person kein Muslim.