WELTGo!
Ihr KI-Assistent für alle Fragen
Ihr KI-Assistent für alle Fragen und Lebenslagen
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Politik
  3. Ausland
  4. Regierungsbildung: Jetzt ist Frankreichs Koalitions-Chaos perfekt

Ausland Regierungsbildung

Jetzt ist Frankreichs Koalitions-Chaos perfekt

Korrespondentin in Paris
Linksbündnis liegt vorn – „Diese Wahl hat viele Überraschungen beinhaltet“

Die Neue Volksfront in Frankreich besteht aus Sozialisten, Grünen, Linkspopulisten und Kommunisten. „Da könnten Elemente auf uns zukommen, die problematisch sein können“, sagt Frankreich-Expertin Ulrike Franke bei WELT TV.

Quelle: WELT TV

Autoplay
Die Wahlniederlage des Rassemblement National ließ viele in Frankreich und Europa aufatmen. Doch die Probleme von Präsident Macron sind damit keinesfalls gelöst – denn Teile des linken Blocks vertreten radikale Positionen, die eine Koalition unmöglich machen.
Hier können Sie unsere WELT-Podcasts hören
Um eingebettete Inhalte anzuzeigen, ist deine widerrufliche Einwilligung in die Übermittlung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten notwendig, da die Anbieter der eingebetteten Inhalte als Drittanbieter diese Einwilligung verlangen [In diesem Zusammenhang können auch Nutzungsprofile (u.a. auf Basis von Cookie-IDs) gebildet und angereichert werden, auch außerhalb des EWR]. Indem du den Schalter auf „an“ stellst, stimmst du diesen (jederzeit widerruflich) zu. Dies umfasst auch deine Einwilligung in die Übermittlung bestimmter personenbezogener Daten in Drittländer, u.a. die USA, nach Art. 49 (1) (a) DSGVO. Mehr Informationen dazu findest du hier. Du kannst deine Einwilligung jederzeit über den Schalter und über Privatsphäre am Seitenende widerrufen.

Das Ergebnis der französischen Parlamentswahlen ist eine Sensation. Nicht einmal versierte Politologen und Umfrageexperten haben damit gerechnet, dass sich die links-grüne „Neue Volksfront“ (NFP) als stärkste Kraft etablieren würde. Präsident Emmanuel Macron hat wissen lassen, dass er die „Neustrukturierung“ der Nationalversammlung abwarten werde, bevor er Entscheidungen treffe und hat Premierminister Gabriel Attal gebeten, bis zur Klärung im Amt zu bleiben. Im Klartext heißt das: Es kann Wochen dauern, bis Frankreich eine neue Regierung hat.

Sowohl die Wähler des Linksbündnisses als auch Wähler des rechten Rassemblement National (RN) stehen auf unterschiedliche Weise für den Wunsch nach mehr sozialer Gerechtigkeit und weniger EU. An dieser für ihn sicher schmerzhaften Erkenntnis wird Macron, dessen Partei Renaissance ohne Bündnispartner lediglich 98 Sitze bewahrt hat, nicht vorbeikommen.

Nach den ungeschriebenen Regeln der französischen Demokratie musste der Präsident bislang einen Regierungschef aus dem stärksten Block benennen – und aus jener Partei des Blocks, die darin die meisten Sitze gewonnen hat. Das wäre Jean-Luc Mélenchons Linkspartei Unbeugsames Frankreich (LFI), die etwas mehr Sitze als die Sozialdemokraten erringen konnte. Doch bislang hatte dieser Block historisch auch immer eine absolute Mehrheit im Parlament – davon ist die „Neue Volksfront“ diesmal meilenweit entfernt.

Lesen Sie auch

Allein wird die Linke daher nicht regieren können. Sie bräuchte eine Koalition. Rechnerisch naheliegend wäre eine Koalition mit Macrons Mitte-Bündnis, das über 156 Sitze verfügt. In der Praxis wird sich das aber als äußerst schwierig erweisen. Der linke Volkstribun Mélenchon hat bereits klargemacht, dass er kein Mann der Kompromisse ist: „Einzig das Programm wird umgesetzt, das Programm und nur das Programm, aber das ganze Programm“, versicherte er noch am Wahlabend.

Quelle: dpa Infografik; Infografik WELT

Das 26 Seiten umfassende Programm der Neuen Volksfront liest sich wie eine abenteuerliche Wunschliste in Zeiten leerer Kassen – und im Falle Frankreichs neuer Schuldenrekorde. Gleich als Erstes, so die Forderung, soll der soziale Notstand ausgerufen werden.

Die Grundlinie steht im krassen Gegensatz zur Politik Macrons: Abschaffung der Rentenreform und die sofortige Rückkehr zur Rente mit 62, Erhöhung des Mindestlohns auf 1600 Euro netto, eine sofortige Gehaltserhöhung für alle Beamten um zehn Prozent. Die Mehrausgaben hat die Partei auf 125 Milliarden Euro berechnet, die man durch Besteuerung der Besserverdienenden und die Wiedereinführung der von Macron abgeschafften Vermögenssteuer finanzieren will.

Jean-Luc Melenchon bejubelt den Erfolg seiner Linken
Jean-Luc Melenchon bejubelt den Erfolg seiner Linken
Quelle: AFP

Auch außenpolitisch steht die Linkspartei Unbeugsames Frankreich für eine radikale Anti-Macron-Linie. Der ehemalige Trotzkist Mélenchon ist gegen die EU und ein erklärter Gegner der deutschen „Übermacht“, der seiner Germanophobie in seinem Buch „Der Bismarckhering“ freien Lauf gelassen hat. Freihandelsverträge hält er für das größte Übel. Die Bindung der Europäer an die USA empfindet er als eine Art Ursünde.

Regelmäßig hetzt er gegen Amerika, die Nato und natürlich auch gegen Israel. Für viele hat sich der aufbrausende und egozentrische Mélenchon spätestens disqualifiziert, als er nach der Terrorattacke der Hamas auf Israel diese nicht verurteilt hat. Von diesem Zeitpunkt an brach der bis dahin unterschwellige Antisemitismus der Partei an die Oberfläche.

Provokativ zeigte sich Mélenchon während des Wahlkampfs mit der franko-palästinensischen Aktivistin Rima Hassan an seiner Seite, die dank seiner Unterstützung vor drei Wochen zur EU-Abgeordneten gewählt wurde. Sie trägt stets ihr Palästinensertuch über den Schultern und warf der Regierung in den sozialen Netzwerken vor, unter dem „Einfluss der Juden“ zu stehen.

Totgeglaubte Sozialisten sind zurück

Anzeige

Die Positionen von Macron und Mélenchon liegen so weit auseinander, dass eine Koalition undenkbar ist. Selbst eine erzwungene Verbindung des pro-europäischen Präsidenten mit dem linken Volkstribun würde sich schnell als Kampf-Kohabitation erweisen. Auch der Alleingang der Linken ist nicht möglich. Durch ein Misstrauensvotum könnte eine reine Linksfrontregierung jederzeit gestürzt werden.

Wenn Macron in den kommenden Wochen keine Lösung aus dem Hut zaubert, läuft Frankreich Gefahr, sich international zu disqualifizieren und droht in Sachen EU wie auch bei der Ukraine-Hilfe zum Totalausfall zu werden. Jordan Bardella, Parteichef des RN und EU-Spitzenkandidat, hat bereits am Sonntagabend erklärt, im EU-Parlament der neuen Fraktion „Patrioten für Europa“ des ungarischen Regierungschefs Viktor Orbán beitreten zu wollen, um das „Kräfteverhältnis in Europa“ zu beeinflussen.

Beim Gedankenspiel über zukünftige Koalitionen muss man bedenken, dass sich die Kräfteverhältnisse im linken Block sichtbar verschoben haben. Mélenchons Linkspopulisten waren in der sogenannten Nupes-Fraktion der alten Nationalversammlung die taktgebende Kraft. Ihr Vorsprung ist am Sonntag merklich zusammengeschrumpft. Während Mélenchons Linkspopulisten im Vergleich zu 2022 etwa das gleiche Ergebnis erzielten (71-75 Sitze), haben die Sozialisten ihr Ergebnis glatt verdoppelt. Statt 31 Abgeordneten werden sie in Zukunft etwa 65 haben, also kaum weniger als LFI (die genauen Zahlen divergieren je nach Quelle in Frankreich noch leicht. - d. Red.)

Lesen Sie auch
Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt
Jean-Luc Mélenchon

Dieses Ergebnis verdanken die totgesagten Sozialisten Raphaël Glucksmann, der mit seiner kleinen Partei Place Publique Überraschungskandidat der EU-Wahlen war. Der Sohn des 2015 verstorbenen Philosophen André Glucksmann steht für die Wiedergeburt der Sozialdemokratie in Frankreich.

Viele seiner Wähler waren enttäuscht, dass er sich nach der EU-Wahl und der Ankündigung von Neuwahlen mit den Extremisten von Mélenchon zur Neuen Volksfront zusammengetan hat. Jetzt bietet sich für Glucksmann die historische Chance, sich gemeinsam mit den Grünen von LFI zu emanzipieren und eine Koalition mit pro-europäischen Kräften zu suchen.

Denn auch die Grünen feiern nach ihrem Einbruch bei den Europawahlen einen Erfolg mit elf zusätzlichen Abgeordneten. Ihre Fraktion umfasst jetzt 34 Mitglieder. Parteichefin Marine Tondelier hat sich in den vergangenen Wochen des Wahlkampfs als Vermittlerin zwischen den unterschiedlichen Parteien des Bündnisses hervorgetan. Viele sehen in ihr eine perfekte Regierungschefin.

Lesen Sie auch

Am Montag sagte sie, dass der Premierminister aus den Reihen von LFI, PS, Grünen und der Kommunisten kommen könne. Auch eine Figur der Zivilgesellschaft sei vorstellbar. Gedacht hat sie vermutlich an den ehemaligen Gewerkschaftschef Laurent Berger, der regelmäßig zum Retter der Nation erklärt wird, politische Ämter aber bislang strikt abgelehnt hat.

Anzeige

Die linken Partner wissen, dass Mélenchon für viele Franzosen ein rotes Tuch ist. Laut Umfragen wollen 80 Prozent der Befragten ihn in keinem Fall als Premierminister haben, nur 55 Prozent äußern dieselben Bedenken bei RN-Chef Bardella. Das liegt auch daran, dass sich Mélenchon im Wahlkampf wie ein frustrierter Tyrann aufgeführt hat.

„Glaube, es gibt nicht so viele, die sich einen Premierminister Mélenchon wünschen“

Vor einem politischen Patt steht Frankreich nach dem überraschenden Wahlsieg der Linken bei der Parlamentswahl. „Vielleicht gibt es auch die Möglichkeit, dass man sich politisch erneuert“, sagt die französische Journalistin Cécile Calla bei WELT TV.

Quelle: WELT TV/ Nele Würzbach

Obwohl er weder Parteichef ist noch selbst für die Parlamentswahlen kandidiert hat, führt er seine Partei wie ein alter Trotzkist, der diejenigen abdrängt, die ihn kritisieren. So hat er langjährige Weggefährten bei den Parlamentswahlen nicht aufgestellt, die am Ende aber auch ohne seinen Segen und ohne das Label der Partei gewonnen haben.

Auch der populäre Linkspolitiker François Rufin, in ewiger Konkurrenz mit dem Chef, hat sich am Wochenende von der Partei emanzipiert. Das könnte ein Vorzeichen für die Entwicklung der nächsten Tage und Wochen sein.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema