Ein Reporter der amerikanischen „New York Times“ hat sich in diesen Tagen über Deutschland als Gastgeber der Fußball-EM beschwert: Die renommierte US-Zeitung stellt der Bundesrepublik ein eher schlechtes Zeugnis aus. „Vergessen Sie alles, was Sie zu wissen glaubten“, beginnt er und nimmt dann das vor allem das schlechte Bahnnetz, die überforderte Logistik der Stadien und die Liebe der Deutschen zum Bargeld aufs Korn.
Doch auch um die Copa America – das Gegenstück zur EM auf dem amerikanischen Kontinent – ist es nicht gut bestellt. Das zeigt sich vor Ort gleich in mehreren Bereichen sehr deutlich: absurd hohe Ticketpreise, sündhaft teure Snacks und Parkplatzgebühren, wofür man anderenorts ganze Airbnb-Unterkünfte buchen könnte. Und als Höhepunkt begegnen die Amerikaner ihrer eigenen Nationalmannschaft auch noch mit Desinteresse.
Im 1,3 Milliarden Dollar teuren AT&T Stadium in Dallas, wo normalerweise die NFL-Football-Stars der Cowboys auflaufen, trifft die US-Auswahl bei ihrem Debüt auf Bolivien. Doch die beeindruckende Arena bleibt halbleer. Es kommen gerade einmal 47.000 Zuschauer. „Es gibt keinen Grund, warum das billigste Ticket über 100 Dollar kosten sollte“, schreiben wütende User anschließend in den sozialen Netzwerken. Obwohl die US-Mannschaft 2:0 gewinnt, ist der amerikanische Fußballverband schon jetzt blamiert.
Es sind die klassischen Fußballnationen, die in den USA für Stimmung und volle Arenen sorgen: Argentinien (70.564 Zuschauer), Brasilien (67.158), Kolumbien (67.059), Mexiko (53.763) füllten am ersten Spieltag die Stadien und übertrafen damit allesamt die Zuschauerzahl der gastgebenden USA.
Und während die US-Zeitung sich – wenn auch begründet – über die Deutsche Bahn auslässt, müssen die Gäste der Copa America in puncto Mobilität ebenfalls leiden. Denn einige der US-Stadien sind mit dem Zug überhaupt nicht erreichbar. Die ganz auf Autofahrer eingestellten Arenen wissen um die Not der Stadionbesucher und verlangen satte 55 Dollar für einen Parkplatz in Stadionnähe.
Dafür bekommt man in Rio de Janeiro oder Bogota eine Übernachtung in einer ordentlichen Airbnb-Wohnung. Bezahlt werden kann übrigens ausschließlich mit Kreditkarte. Häufig sind Touristen in Deutschland zwar irritiert über die mancherorts fehlende Möglichkeit zur Kartenzahlung – doch immerhin hat man hierzulande meist die Wahl.
Wer nach Ticketkauf und Parkplatzbuchung bei der Copa America noch nicht ruiniert ist, kann das bei der Verpflegung nachholen. So werden etwa im NRG Stadium in Houston Texas für eine einfache Portion Nachos mit Cola schlappe 28 Dollar fällig. Eine vierköpfige Familie wird so im „Land of the Free“ für ein Copa-Spiel locker 500 Dollar los, für die billigsten Plätze versteht sich. Das ist gut das doppelte eines Mindestlohnes in Brasilien oder Kolumbien.
Weil das alles am Seelenheil nagt, haben die Organisatoren der Copa America auch geistlichen Beistand geschickt. So traten beim Eröffnungsspiel zwischen Kanada und dem amtierenden Weltmeister Argentinien plötzlich zwei evangelikale Prediger vor und schnappten sich das Mikrofon. Caleb Mooney aus den USA und Emilio Agüero aus Paraguay schmettern ein Gebet durch die Arena, das mit erhobener Faust und einem lautstarken „Amen“ endete. Argentiniens Fußballikone Lionel Messi und der kanadische Bayern-Spieler Alphonso Davies klatschten etwas verschämt Beifall, auch der anwesende FIFA-Präsident Gianni Infantino dürfte so etwas noch nicht erlebt haben. Der kannte bislang nur deutsche Innenministerinnen mit Regenbogen-Binde.
Kontakt mit der „Heimat“
Was bleibt, ist die Begeisterung der lateinamerikanischen Fans. Wehende Fahnen, Fangesänge und ein kurzes Hupkonzert gab es schon auf der Fernstraße Interstate 610 Houston, wo sich kolumbianische Fans zu einem bunten Autokorso zusammenschlossen auf dem Weg zum riesigen NRG Stadium, wo ihre „Cafeteros“ am Montagnachmittag gegen Paraguay spielten. Wären die heißblütigen Kolumbianer nicht da, in Texas würde wohl kaum jemand mitbekommen, dass gerade die Copa America stattfindet. Von den rund 67.000 Zuschauern, die die Arena füllen, tragen 65.000 das kolumbianische Trikot. Am Ende feiern sie mit ihrem Team einen 2:1-Sieg.
Menschen wie sie machen die Copa America dann doch noch zu einem einzigartigen Event. Unter den rund 62 Millionen Menschen lateinamerikanischer Abstammung, die in den USA leben, gibt es inzwischen ein ausreichend großes Potenzial an Kaufkraft – und genug Liebe zum Fußball –, um die aufgerufenen Preise zu bezahlen. Für diese Fans ist der Kontakt zu Messi, dem kolumbianischen Starspieler Luis Diaz oder Vinicius Jr. aus Brasilien eine einmalige Gelegenheit, Verbindung mit der „Heimat“ aufzunehmen.
Entsprechend schmettern sie ihre Nationalhymnen durch die Arenen. In einigen Stadien wird eine knappe Stunde vor den eigentlichen Nationalhymnen auch die Hymne der USA gespielt. Die überwiegend lateinamerikanisch-stämmigen Zuschauer erheben sich, einige haben Tränen in den Augen und klatschen Beifall. Gelebte Inklusion, die Migranten und deren Nachfolger sind stolz auf ihre (neue) Heimat. Das wiederum könnte sich auch die deutsche Innenministerin einmal ansehen.