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Ausland Israel

Ultraorthodoxe Frauen wollen die Knesset erobern

Bald im Parlament? Adina Bar Schalom arbeitet in Israel für eine Öffnung der abgeschotteten Welt der Ultraorthodoxen Bald im Parlament? Adina Bar Schalom arbeitet in Israel für eine Öffnung der abgeschotteten Welt der Ultraorthodoxen
Bald im Parlament? Adina Bar Schalom arbeitet in Israel für eine Öffnung der abgeschotteten Welt der Ultraorthodoxen
Quelle: Wikipedia/Bgoz22/CC3.0-SA
80 Prozent von Israels ultraorthodoxen Frauen sind erwerbstätig, oft in hohen Positionen. Nur im Parlament waren sie noch nie vertreten. Einige Frauen wollen das ändern – und ernten heftige Drohungen.

Ultraorthodoxe Frauen haben es in Israel weit gebracht: „Man kann uns fast überall sehen“, sagt die Feminismusforscherin Esther Reader Indorski, die selbst streng religiös ist. „In Universitäten, in Kanzleien, in PR-Büros, wir arbeiten als Büroleiterinnen, Werbefachfrauen, Beraterinnen.“ Doch ein Beruf blieb Frauen wie Indorski vorenthalten: Seit der Staatsgründung vor 66 Jahren gab es noch keine ultraorthodoxe Abgeordnete in Israels Parlament, der Knesset. Die Parteien der streng gläubigen Juden weigerten sich bislang, Kandidatinnen in ihre Wahllisten aufzunehmen.

Das soll nun ein Ende haben. Gemeinsam mit anderen Aktivistinnen gründete Indorski eine Facebook-Gruppe mit einem provokanten Motto: „Wenn wir nicht gewählt werden können, wählen wir euch auch nicht!“ Trotzig verfassten sie einen offenen Brief an die Parteien der Ultraorthodoxen, die sich in Israel Haredim (Hebräisch für: „Diejenigen, die Gott fürchten“) nennen: „Die Zeit ist gekommen, die uns gebührende Achtung zu zollen, indem Frauen angemessen in ultraorthodoxen Parteien vertreten sind.“

Innerhalb weniger Tage erhielt die Seite mehr als 4000 „Gefällt mir“-Klicks und wurde zum Gesprächsthema in der ultraorthodoxen Szene. Denn nicht alle begrüßen die Idee des geforderten gesellschaftlichen Wandels. Manche Rabbiner drohten sogar mit harten Strafmaßnahmen für Frauen, die es „wagen, in die Politik zu gehen“. Der Kampf um das Selbstverständnis dieses geschlossenen Bereichs der Gesellschaft in Israel tritt gerade in eine neue Phase.

Frauen auf die Wahllisten – sonst Boykott

Nach dem Holocaust, der die Haredim besonders schwer traf, vergaben die Rabbiner klare Geschlechterrollen: Die Männer sollten sich einzig der Aufgabe widmen, die fast zerstörte Welt der Bibelkunde wiederzubeleben, und tagein, tagaus die heiligen Schriften studieren. Nur rund 44,7 Prozent der ultraorthodoxen Männer sind heute erwerbstätig.

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Den Frauen fallen somit alle anderen Aufgaben zu: Sie kümmern sich um den Haushalt, erziehen ihre im Durchschnitt 6,5 Kinder und sind meist auch die einzigen Brotverdiener. So arbeiten 79,5 Prozent der ultraorthodoxen Frauen in Israel – das sind mehr als der nationale Durchschnitt von 75,3 Prozent. Mit der wachsenden Verantwortung innerhalb ihrer Gesellschaft wachsen nun auch ihre Forderungen: „Wir sind die Hauptverdiener in unseren Familien und tragen somit eigentlich die Welt der Thora auf unseren Schultern. Die Zeit für historische Gerechtigkeit ist gekommen”, heißt es im offenen Brief der Gruppe.

„Die männlichen Abgeordneten unserer Parteien widmen sich vielen unserer Probleme einfach nicht“, sagt Esti Schuschan, eine der Weggefährtinnen Indorskis. Etwa wenn es um „Arbeitsbedingungen, Gehälter und die Rechte weiblicher Angestellte“ gehe. Nur ultraorthodoxe Frauen in der Knesset könnten das ändern. Deswegen ruft die Gruppe dazu auf, alle Parteien zu boykottieren, die März 2015 keine Frauen auf ihren Wahllisten platzieren.

Solche Aufrufe sollen potenziellen Politikerinnen wie Adina Bar Schalom helfen. Die Tochter eines der mächtigsten Rabbiner im Land wird seit Jahren von vielen Parteien umworben. Bar Schalom ist nicht nur wegen ihres Stammbaums in Israel bekannt. Seit Jahren arbeitet sie beständig für eine Öffnung der abgeschotteten Welt der Haredim. In Jerusalem gründete sie eine Universität für ultraorthodoxe Frauen, an der inzwischen Tausende säkulare Berufe erlernen, um im Arbeitsmarkt besser zu bestehen.

Bar Schalom gilt als jemand, der eine Brücke zu säkularen Israelis schlagen kann. Nun verdichten sich die Gerüchte, dass sie der aufstrebenden Partei von Mosche Kachlon beitreten will. Umfragen trauen ihr zehn Prozent der Stimmen zu. Mit Bar Schalom könnte Kachlon nicht nur säkularen Parteien das Wasser abgraben, sondern auch den ultraorthodoxen.

Einige Rabbiner wüten, andere zeigen Verständnis

Die Reaktionen ultraorthodoxer Knesset-Abgeordneter – die täglich mit säkularen weiblichen Abgeordneten zusammenarbeiten – fielen scharf aus. „Es geht doch nicht an, dass eine Frau unter 200 Direktoren von Thoraschulen sitzt und mit ihnen über die Tagesordnung debattiert“, wetterte Nissim Zeev von der Schas-Partei, die von Bar Schaloms Vater gegründet worden war. „Dieser Frechheit muss man eine Grenze setzen. Das sind nur Frauen, die sich als Ultraorthodoxe verkleiden.“

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Der Abgeordnete Mosche Gafni von einer konkurrierenden ultrareligiösen Partei meinte: „Wir Männer kümmern uns um alle, auch die Belange der Frauen.“ Weibliche Kandidaten seien deswegen nicht nur wider die Gesetze der Rabbiner, sondern zudem auch überflüssig. Was ihn nicht davon abhielt zu betonen, dass es sehr wichtig sei, dass Frauen weiterhin für seine Partei stimmen.

Jeder Frau, die einer Partei nahekommt, die nicht von den großen Rabbinern geführt wird, sollte man alle Rechte in der Ehe annullieren
Mordechai Bloi, Ultraorthodoxer Rabbiner

Der umstrittene Rabbiner Mordechai Bloi, Vorsitzender der Heiligen Schützer der Erziehung – einer ultrakonservativen Organisation –, ging sogar noch einen Schritt weiter: Jede Frau, die den Gang in die Politik wagen würde, werde „entsprechend behandelt werden und einen hohen Preis dafür zahlen“, drohte Bloi am Wochenende in einem Flugblatt. „Jeder Frau, die einer Partei nahekommt, die nicht von den großen Rabbinern geführt wird, sollte man alle Rechte in der Ehe annullieren. Außerdem ist es verboten, in ihren Schulen zu lernen. Man sollte von so einer Frau nichts kaufen und alle ihre Nachfahren aus unseren Schulen verbannen.“ Bar Schalom hat 14 Enkel. Eine Kandidatur in einer säkularen Partei ist nach Blois Auffassung so, als „ob man im Boot des Judentums ein Loch bohrt“.

Doch längst nicht alle der extrem Religiösen denken so. Haim Amsalem etwa, ein rebellischer ultraorthodoxer Politiker und Rabbiner, äußerte seine „volle Unterstützung dafür, jede Diskriminierung endlich zu beenden, ganz besonders die der Frauen“. Zudem bleiben viele bedeutende Rabbiner dieser Tage auffällig still. Denn längst haben sie die Notwendigkeit eines Wandels erkannt. Die Haredim sind die ärmste Bevölkerungsgruppe in Israel – zu einem großen Teil, weil die Männer nicht arbeiten und keine westliche Bildung genießen.

So nimmt die Zahl derer zu, die auch die Haredim dazu auffordern, arbeiten zu gehen, sobald ihre Frauen mehr als zwei Kinder zur Welt gebracht haben. Bar Schaloms Vater Ovadia Josef stand ebenfalls voll hinter den Bestrebungen seiner Tochter, zumindest Aspekte der Moderne in die Welt der Haredim einzuführen. Und so betonten Kenner der ultraorthodoxen Szene, dass Blois Auslassungen weniger konkrete Drohung als Stimmungsmache seien. Niemand besitze die Macht, die Ankündigungen in die Tat umzusetzen.

Wirksamkeit der Netzkampagne stark begrenzt

Es ist fraglich, ob es den Aktivistinnen gelingen kann, schon im März eine Vertreterin in die Knesset zu schicken. Viele haredische Frauen entsetzt der Gedanke, eine der ihren könnte tatsächlich eines Tages auf gleichem Fuß mit Rabbinern in der Knesset diskutieren.

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Quelle: Reuters

Dass der Aufruf auf Facebook gestartet wurde, zeigt, dass die beteiligten Frauen nur den progressivsten Teil ihrer Gesellschaftsgruppe vertreten. Die Internetkampagne wird in der geschlossenen Welt der Haredim zudem nur wenig bewirken können, trotz der medialen Aufmerksamkeit: Nur wenige Ultraorthodoxe haben Zugang zu einem Computer. Deswegen wollen die Frauen nun eine Flugblattkampagne starten und bitten um Spenden – von der nötigen Summe ging bislang jedoch nur ein Bruchteil ein.

Derweil versuchen säkulare Organisationen, den Pionierinnen zu helfen. Die Bürgerrechtsorganisation Hidusch forderte, Anklage gegen den hetzenden Rabbiner Bloi zu erheben, wegen „Erpressung und Bedrohung“. Seit Jahren habe es kein so himmelschreiendes Beispiel politischer Einschüchterung gegeben wie dessen Brief: „Die Banden der Haredim schrecken vor keinem Mittel zurück“, sagte Hidusch-Direktor Uri Regev.

Bloi zeigte sich kaum beeindruckt: „Meine Aussagen waren eindeutig, und es besteht kein Zweifel an ihrer Notwendigkeit.“ An seinem Aufruf sei „nichts kriminell. Wir haben doch das Recht, irgendwo nicht einzukaufen; wir haben das Recht, unsere Gesellschaft zu bewahren.“ Seine Äußerungen seien auch nicht sexistisch, meinte Bloi. Schließlich gelte das Verbot, für eine säkulare Partei zu kandidieren, auch für ultraorthodoxe Männer.

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