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Medien „Village Voice“

Hier wurde das geschrieben, was man in der „New York Times“ nicht las

Die roten Zeitungsboxen der „Village Voice“ waren legendär Die roten Zeitungsboxen der „Village Voice“ waren legendär
Die roten Zeitungsboxen der „Village Voice“ waren legendär
Quelle: Photoshot/picture alliance
Die „Village Voice“ war die Zeitung, die man lesen musste, um zu wissen, was wirklich in New York geschah. Norman Mailer war Mitgründer, die Stilformen waren breit und der Mut groß. Mithilfe der Mafia wurde einmal sogar der Bau einer Schnellstraße durch einen Park verhindert.

Man könnte meinen, es waren bessere Zeiten, als überall in Downtown Manhattan rote Zeitungsboxen standen, aus denen man sich mittwochs die „Village Voice“ fischen konnte: hartnäckige Recherchen zu lokalen Missständen, wild subjektive Reportagen und Kritiken, die bewiesen, dass Kultur mehr ist als Unterhaltung. Nostalgie bleibt nach der Lektüre von Tricia Romanos opulenter Oral History „The Freaks Came Out to Write. The Definitive History of the Village Voice, the Radical Paper That Changed American Culture“ (Public Affairs 2024). Und die Gewissheit, jetzt näher dran zu sein an New York seit den 1950ern.

Oral History erzählt Geschichte nur durch die Stimmen von Zeitzeugen. Das kann dröge werden, zerfasern, hängt davon ab, was diese Zeugen zu berichten haben, ob es zum Puzzleteil taugt für ein großes Ganzes. Schlägt man Romanos Buch auf, wirkt die seitenlange Auflistung der dramatis personae erst abschreckend. Rund 200 Interviews hat die Autorin, die selbst lange in der „Voice“ aus dem Nachtleben berichtete, mit Protagonisten der fast 70-jährigen Zeitungsgeschichte geführt, auch einiges an Collage mit schon Vorhandenem betrieben, Aussagen etwa Andy Warhols oder des Zeitungsmitbegründers Norman Mailer.

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Wer genau gerade spricht, lässt sich oft nur durch Blättern feststellen. Ist aber fast unnötig, so schnell gerät man in den Sog der Geschichte. Wer ganz wichtig ist, hat man bald raus, etwa Gründer Dan Wolf, der nicht nur Autoren mit Literaturstudium ausgebildeten Journalisten vorzog. Er gab auch oft Laien die Chance, ihre Themen im Blatt zu verfolgen. Etwa Mary Perot Nichols, die 1958 in die Redaktion kam, um über das städtische Projekt einer Schnellstraße durch den Washington Square Park zu sprechen, Erholungsort vieler Mütter mit ihren Kindern. Artikel um Artikel von Nichols (und ein Besuch beim örtlichen Mafia-Boss, dem sie klarmachte, dass auch die Läden, von denen er Schutzgeld bezog, dem Highway weichen würden) vereitelten das Großprojekt.

Die Geschichte der „Village Voice“ als Buch
Die Geschichte der „Village Voice“ als Buch
Quelle: Public Affairs

Die „Muckraker“ (Investigativjournalisten) waren aber meist harte Hunde wie Wayne Barrett, der mit dem Aufstieg von Vater und Sohn Trump als Immobilienunternehmer Schritt hielt, oder Jack Newfield mit seiner Serie über die zehn schlimmsten Vermieter. Bunter war es im hinteren Teil des Blattes, wo Kunst den Ton angab – der Avantgarde-Filmemacher Jonas Mekas kam eines Tages wie Nichols in die Redaktion, um zu fragen, warum Kino keine Rolle spiele. Er blieb, als Filmredakteur. Auch den Off- (und Off-Off-)Broadway machte die „Voice“ zu etwas Berichtenswertem.

Kleinanzeigen finanzierten Journalismus

Bei allen städtischen Krisen war die Zeitung, die wie die damals neu gegründete „New York Review of Books“ enorm von einem Druckerstreik Anfang der 1960er profitierte, an vorderster Front dabei. Von den Stonewall-Riots, als sich Schwule gegen Polizeigewalt wehrten (später wehrten sie sich gegen die diskriminierende Sprache der „Voice“ ), bis zu Aids: Hier wurde auch das geschrieben, was man in der „New York Times“ nicht las.

Finanziert wurde das durch die vielen Kleinanzeigen. Jobs, Wohnungen, Lover und Bandmitglieder fand man hier, Bruce Springsteen etwa seinen Drummer. Mehrfache Besitzerwechsel überstand man so, auch Rupert Murdoch gehörte die „Voice“ einmal (die Belegschaft antwortete mit gewerkschaftlicher Organisation). Nicht aber das Aufkommen des Internets, das vor allem das Anzeigengeschäft an sich riss. Was bis heute bleibt ist eine sehr abgespeckte „Voice“, die online und vierteljährig gedruckt erscheint. Und das Gefühl, das etwas fehlt, im Journalismus, nicht nur in New York.

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