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Kultur Jürgen Busche (1944-2024)

Ein solitärer Geist

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Jürgen Busche hatte etwas Anarchisches Jürgen Busche hatte etwas Anarchisches
Jürgen Busche hatte etwas Anarchisches
Quelle: SZ Photo
Einhegen ließ er sich nie: Jürgen Busche hatte es nicht nötig zu glänzen – er glänzte einfach, als Leitartikler, als Feuilletonist und als Blattmacher. Jetzt ist der leidenschaftliche Journalist gestorben. Ein Nachruf.
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Ihn temperamentvoll zu nennen wäre eine Untertreibung. Wäre das Wort nicht so abgenutzt, könnte man sagen: Er war eine Naturgewalt. Ein leidenschaftlicher Leser, Autor, Kritiker, Journalist. Ein Intellektueller, wie er heute – das ist ohne Nostalgie gesagt – im Mediengeschäft wohl kaum noch eine Chance hätte. Jetzt ist Jürgen Busche in seinem 80. Lebensjahr in Berlin gestorben.

Er wurde 1944 in Belzig, knapp 60 Kilometer südwestlich von Potsdam, geboren und wuchs in den sehr katholischen Städten Paderborn und Fulda auf. Erst einmal wies nichts darauf hin, dass er Journalist werden würde. Nach seiner Zeit bei der Bundeswehr, die er als Leutnant der Reserve verließ, studierte er Alte Geschichte – das Gebiet, das sein geistiger Ankerplatz wurde und blieb. Außerdem Philosophie und Geschichte. Er promovierte über eine Schlacht, die der hellenistische Schriftsteller Pausanias beschrieb, von der aber nicht feststeht, ob sie je stattgefunden hat. Jürgen Busche, umfassend belesen, wäre sicher ein anerkannter Althistoriker geworden. Doch es zog ihn in die öffentliche Alltagsarena.

Von 1987 an war er mehr als ein Jahrzehnt lang Redakteur bei der „FAZ“. Ungewöhnlich schon damals: Im Feuilleton angesiedelt, eroberte er sich bald auch Schreibraum im politischen Teil – eigentlich ein Tabubruch. Die jungen Feuilletonredakteure der „FAZ“ waren damals in aller Regel strebsame, meist schon arrogante Jünglinge, die auch noch mit fast 30 Jahren ein wenig wie Konfirmanden aussahen. Davon stach Jürgen Busche merklich ab: nicht feingliedrig, sondern gedrungen, fast bullig, für „FAZ“-Verhältnisse eher proletarisch gekleidet und im persönlichen Umgang nicht etepetete, sondern sehr direkt, strahlte er eine intellektuelle Unbedingtheit aus, die im Biotop des Blattes ihresgleichen nicht hatte.

Busche war konservativ, dafür sprach schon die klassische Bildung. Konservativ auch, dass er nicht nur einen Sinn für die großen Bögen, sondern besonders auch für die sperrigen Einzelheiten hatte. Mit den konservativ-bürgerlichen Denkern und Dichtern war er vertraut, auch mit den reaktionären. Der sommerliche Anblick von Nacktbadenden konnte ihn zu kulturkritischen bis kulturpessimistischen Kommentaren veranlassen. Zugleich hatte er aber auch einen hoch entwickelten Sinn fürs Populäre, fürs Niedrige, für die Kultur der „kleinen Leute“. Und für Linke, besonders die 68er. Er war ein ausgefuchster Intellektueller, der sich mental aber gerne auch auf die Seite der Jedermanns schlug: Fußball, Kneipen, Bier. Er hatte etwas Anarchisches.

Nie lange an einem Ort

Einhegen ließ er sich nie. Als er später stellvertretender Chefredakteur der linken Boulevardzeitung „Hamburger Morgenpost“ geworden war, publizierte er in dem Blatt, in dem Dreispalter schon lange Texte waren, unbekümmert eine Doppelseite über den Bundeskongress des Deutschen Altphilologenverbandes. Die Redaktion war befremdet – und zugleich bezaubert. Eine Zeitlang war der vielseitige Busche Redenschreiber für den Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker. Man kann sich kaum vorstellen, wie die Zusammenarbeit zwischen dem Adeligen von Weizsäcker und dem impulsiven Busche ausgesehen hat, der zwar viel auf Tradition, aber wenig auf Etikette gab. Eine Zeitlang gehörte Busche dem „Literarischen Quartett“ an. Selbst aus dem Dauerstreit stach er heraus. Er machte die mutwillige Inszenierung nicht mit, verzichtete auf das Ausbreiten seiner Belesenheit. Sondern ging die zur Debatte stehenden Bücher frontal und in einfachen Worten an. Dass ihm die Bildungshuberei der anderen Teilnehmer auf die Nerven ging, verbarg er nicht.

Es hielt Jürgen Busche nach seiner „FAZ“-Zeit nie lange an einem Ort, auf einer Stelle. Nach der Zeit im Bundespräsidialamt war er ein paar Jahre lang Leiter des innenpolitischen Ressorts der „Süddeutschen Zeitung“. Er war ein Maniac der Arbeit, schrieb an Wahltagen den Leitartikel für die erste Form vor Schließung der Wahllokale über irgendein Thema, um wenig später das Wahlergebnis zu analysieren. Es war die Zeit, als Alkohol und Journalismus auch tagsüber noch zusammengehörten. Die verschwenderische Zeit, in der bei langen Mittagsessen mehr oder minder fantastische Projekte ausgeheckt, angegeben und über die Konkurrenz hergezogen wurde. Zu dieser Zeit, es war in den 90er-Jahren, gehörte ich mit Jürgen Busche einer Sachbuchjury an. Einmal trafen wir uns an einem Wochenende zwei Tage lang in einem Gasthof in Tutzing am Starnberger See: ein heute undenkbarer Luxus – keine Ahnung, wer für die Kosten der exquisiten Séance aufkam. In Erinnerung ist mir, wie trinkfreudig die Runde war. Und vor allem, mit welcher Wucht, welchem fröhlichen Einsatz Busche sich an den Debatten beteiligte, ja sie teilweise mit langen, absichtlich abschweifenden Exkursen dominierte. Er hatte es nicht nötig zu glänzen, er glänzte einfach.

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Auf seine Weise war Jürgen Busche maßlos, hatte gar keine andere Wahl, als sich zu verausgaben. In den späten 90er-Jahren wurde er Chefredakteur der „Wochenpost“, einer alten DDR-Zeitschrift, die nun die erste wirkliche Ost-West-Zeitschrift werden sollte. Wie seinen Vorgängern gelang auch ihm das nicht. Aber als der Chefredakteur, der auch damals noch unbeirrt auf der Reiseschreibmaschine tippte, war er ein journalistisch-intellektueller Überzeugungstäter, der die Redaktion mit seiner unverstellten Leidenschaft zumindest beeindruckte. Busche konnte jähzornig werden. Aber das wurde ihm meist nicht negativ ausgelegt, denn alle spürten, dass der Jähzorn nur ein anderer Ausdruck seines Engagements war. Wenn seine Redakteure eine Idee hatten, die interessant, ungewöhnlich, tragfähig, aber in ihrer Umsetzung teuer war, dann sagte er nie Nein.

Von 1998 an war Busche drei Jahre lang Chefredakteur der „Badischen Zeitung“, damals noch ein Schmuckstück des regionalen Journalismus. Das war wohl zu klein für ihn, der Radius zu eng. Auch passte sein unangepasster Geist nicht zu der properen, in Selbstzufriedenheit badenden Universitätsstadt. So wurde er Publizist. Schrieb mehrere kluge und haltbare Bücher, etwa über Helmut Kohl oder die 68er, deren Wege er nicht ohne Sympathie verfolgt hat, ungewöhnlich für einen anarchischen Konservativen. Er sah, was andere nicht sahen.

Jürgen Busche ist journalistisch und intellektuell nicht so prägend geworden, wie er es verdient hätte. Das lag sicher auch an seinem Temperament. Daran, dass er auf Diplomatie wenig gab. Dass er nicht gefallen wollte. Dass er eigensinnig war. Kein Querkopf, aber ein unabhängiger Kopf.

Vor einem Festgottesdienst in St. Ludwig in Wilmersdorf sahen wir ihn noch einmal. Er ließ sich im Strom der Gläubigen und Besucher durch den Seiteneingang nach innen treiben. Ich versuchte, mit Blicken Kontakt zu ihm aufzunehmen, er reagierte nicht. Dann verloren wir ihn aus den Augen. Wir haben ihn nicht wiedergesehen.

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