Die einen nennen ihn den Marcel Reich-Ranicki unserer Tage, die anderen kennen ihn als Entertainer mit der „Bestseller-in-die-Mülltonne“-Show: Denis Scheck ist einer der bekanntesten und beliebtesten Literaturkritiker des Landes, seine monatliche ARD-Sendung „Druckfrisch“ läuft seit 21 Jahren. Kultcharakter darin hat sein Ritual, die jeweils aktuelle „Spiegel“-Bestsellerliste zu kommentieren und den Schrott von den Schätzen zu trennen: Wie wohltuend, schon akustisch, wenn die Ausschussware auf die metallischen Transportrollen gleitet (Pling!), um in den Container zu rauschen (Rumms!). Ja, kritischer Umgang mit Lesestoff kann manchmal grausam sein. Aber auch befreiend. Man weiß ja, dass vieles nicht lesenswert ist.
„Druckfrisch“ wird nicht eingestellt. Noch nicht. Aber die Einschläge kommen näher. Denis Scheck moderiert im SWR-Fernsehen auch eine Talkshow über Bücher, und dieses „Lesenswert-Quartett“ soll jetzt mit der SWR-Literatursendung „Lesenswert-TV“ verschwinden. Der Südwestrundfunk muss sparen. Mit den frei werdenden Mitteln aus „Lesenswert“ sollen andere Formate entstehen, teilte der Sender am Montag mit – und verwies auf die seit Frühjahr bestehende Sendung „Longreads“ mit Autorin Helene Hegemann.
Selbsterhalt statt Bildungsauftrag
Dass ein mit jährlich acht Milliarden Euro Gebührengeldern gepampertes System abermals beim ohnehin bescheiden dotierten Kulturprogramm abbaut, weil die Mitarbeiterpensionen immer mehr kosten, die laufenden Kosten für den Apparat sich also stetig verselbständigen, ist ein Skandal. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk spart am Bildungsauftrag, um sich besser um seinen Selbsterhalt zu kümmern. In kruder Alternativlogik heißt es dann: Entweder Scheck oder Hegemann, entweder „Lesenswert“ oder „Longreads“.
Letzteres wird von SWR und RBB für die ARD-Mediathek produziert und gilt als sogenanntes junges Format. Hegemann moderiert eine Show, die mit Literaturkritik wenig zu tun hat und etwas lahm Persönlichkeiten aus der Berliner Blase und ihre Beziehung zu Büchern in Szene setzt. Von der „Süddeutschen Zeitung“ (aber auch nur da) wurde das gefeiert, als „Weiterentwicklung des klassischen Gesprächsformats – auch Talk genannt – für die beatbetonte Dramaturgie der Mediathekenproduktion“.
Schon im Wording steckt die Crux unserer Zeit. Es geht nur um Ausspielkanäle, nicht um Bildung, geschweige denn Nachhaltigkeit. Hegemanns Vorgängerformat, Sophie Passmanns „Orange Studio“, wurde nach nur drei Folgen zu Recht eingestellt. Immer öfter sind Innovationen panischer Selbstzweck, Formate reine Testballons. Und Bewährtes? Bleibt auf der Strecke.
Die Buchbesprechung als Kulturtechnik
Die kritische Buchbesprechung mit verteilten Rollen ist eine jahrhundertealte Kulturtechnik, die der Philosoph und Vater der Aufklärung Christian Thomasius schon 1688 in seiner Zeitschrift „Monatsgespräche“ erfunden hat – damals noch als Dialog mit fiktiven Teilnehmern. Thomasius wusste: Erkenntnis über Bücher findet am besten als gesellige Konversation statt.
Es gibt nicht den einen Blickwinkel auf Bücher, jeder liest anders, genau deswegen boomen Unterhaltungen über Lesestoff. In Salons, bei Literaturfestivals und im internationalen Fernsehen. Nur nicht mehr beim SWR. Wetten, dass bald auch „Druckfrisch“ angezählt ist? Aber bestimmt keiner von den tausend Degeto-Filmen.