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Kunst Afrikanische Malerei

„Wir sind die Größten der Welt, und die Mutigsten sind wir auch“

Moké, „Kin oyé ou Couloir Madiokoko à Matonge“, 1983 Moké, „Kin oyé ou Couloir Madiokoko à Matonge“, 1983
Moké, „Kin oyé ou Couloir Madiokoko à Matonge“, 1983
Quelle: MAGNIN-A Gallery, Paris
Der Westen hat sich Kunst aus Afrika entweder angeeignet oder sie schlichtweg ignoriert. Mit großspurigen Parolen wird nun behauptet, dass die Kunstgeschichte umgeschrieben werden müsse. Woran es scheitert, dieses Versprechen einzulösen.
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Man wird wohl gleich zu Beginn eine gewisse postkoloniale Unbedarftheit eingestehen müssen. Denn man ist fremd hier, kennt sich nicht gut genug aus, auch wenn man die paar Namen aufsagen kann, die einem auf Messen oder internationalen Ausstellungen immer wieder begegnen. Als originärer Beitrag zur Weltkunstgeschichte ist die Epoche „Hundert Jahre panafrikanische figurative Malerei“ nirgendwo dokumentiert. So gesehen ein geballter Auftritt des „Globalen Südens“.

Entsprechend steil ist die Prosa, die die Kuratorinnen aus Kapstadt in großen Lettern an die Wand des „Kunstmuseums Gegenwart“ in Basel haben schreiben lassen: „Wir sind die Grössten der Welt, und die Mutigsten sind wir auch“, steht da. „Unser Triumph macht uns unbezwingbar und lässt uns siegestrunken zurück.“

Soviel zum Introitus der Ausstellung „When We See Us“. Und dann macht man sich auf den langen Weg durchs verwinkelte Haus, klettert drei Stockwerke empor und wieder hinab, und was kann man dafür, dass die mächtige Posaune auf Schritt und Tritt mehr und mehr verhallt. Und es kaum mal eine Stelle gibt, an der man gebannt stehen bliebe und über die gutartige Erzählfreude hinaus irgendeine Irritation erlebte. Liegt’s einfach an den mitgebrachten Bildern, an den Bildern im Kopf, die man nicht loswird?

100 Jahre „panafrikanische Malerei“

Bilder aus hundert Jahren europäischer figurativer Malerei. Bilder, auf denen all die Realismen des 20. Jahrhunderts aufblühen – Surrealismus, Neue Sachlichkeit, kritischer Realismus der 1920er-Jahre, Pop-Art bis hin zu den Versteckspielen des sozialistischen Realismus. Eine Kette immer neuer Provokationen, die aus der langen Sehstrecke eine abenteuerliche Denkstrecke gemacht haben. Wieso soll ein Jahrhundert „panafrikanischer Malerei“ denkbescheidener ausfallen?

Man erwartet ja gar keine Neuerfindung der figurativen Malerei, aber vielleicht doch die versprochene „Selbstermächtigung Schwarzer Künstler:innen, die nach Jahrhunderten eines weiß dominierten Kunstkanons ihre eigene Kunstgeschichte schreiben“. Und just darauf wäre man ja überaus neugierig und ließe sich gerne alle superben Gesten malerischen Eigensinns gefallen. Umso mehr verblüfft die inhaltliche Arglosigkeit, die das Klima dieser Ausstellung bestimmt und bei den meisten der ausgewählten Arbeiten mit dem dekorativen Layout zusammenspielt.

Schon die Einteilung verrät ein eher delikates Interesse an der Lebenswirklichkeit: „Triumph und Emanzipation“, „Sinnlichkeit“, „Spiritualität“, „Alltag“, „Freude und Ausgelassenheit“, „Ruhe“. Kategorien, in denen sich eine komplex entwickelte Bildgeschichte des schwarzen oder nicht schwarzen Menschen kaum zur Genüge fassen lässt. Entsprechend findet sich kaum ein Bild in der Ausstellung, das die politischen und sozialen Widersprüche der schwarzen Gesellschaften zum Thema machte.

Keines, das den schlichten Befund „so ist das Leben, und das Leben ist gut“ erkennbar problematisieren würde. Dass Kunst möglicherweise unter schwierigen Bedingungen entsteht, widerständigen Lebensrealitäten abgerungen ist, dass die politische Geschichte des Kontinents wenig Anlass zu Ausbrüchen emphatischer Lebensfreude bietet, ist dieser Selbstfeier der „Blackness“ schwerlich anzumerken.

Bilderrausch in signalartigen Farben

Alltagsszenen. Kleine-Leute-Gemütlichkeit, Glücksträume. Aktdarstellungen, Sex, Feststimmung. Figurenensembles in eurythmischer Aufstellung. Erinnerungen an mystische Praktiken. Und immer wieder Bildnisse, Porträts mit der Neigung zur Maske. Kaum einmal Landschaft, kaum einmal Stadt.

Wangari Mathenge, „Sundials and Sonnets“, 2019
Wangari Mathenge, „Sundials and Sonnets“, 2019
Quelle: Robert Wedemeyer

Muntere Aneignungen probater Idiome aus dem Moderne-Arsenal. Ein Bilderrausch in meist leuchtenden, signalartigen Farben, als sei es die vornehmste Aufgabe des panafrikanischen Figurenbildes, die abgründigen Wirklichkeiten weniger zu bedenken, als sie zu überspielen, sie als etwas Eigenes aufzuführen, in einer Weise, in der man nicht kenntlich zu machen braucht, was das Eigene sein könnte.

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So wird man wohl bescheiden zugestehen, weit hinter die gewohnten Erfahrungen mit Bildern zurückgehen zu müssen, um die Eigenart dieser Malerei besser verstehen und den Eigenwert dieser Malerei recht einschätzen zu können. Jedenfalls sucht man nach Formen subtiler Kritik vergeblich. Und anders als im europäischen Realismus, der ziemlich getreulich die Katastrophen des Jahrhunderts spiegelt, könnte man vom Auftritt des vielköpfigen „When-We-See-Us“-Teams schwerlich auf die Geschichte des Kontinents schließen.

Kolonisation, Sklaverei, Apartheid, Stammeskriege, Kampf um Demokratie, korrupte Regime, verweigerte Menschenrechte, Abhängigkeit von internationalem Kapital, Migration – all die Schmerzensschreie scheinen wie erstickt in der Parole „Wir sind die Größten der Welt, und die Mutigsten sind wir auch“.

Es gibt stillere Arbeiten. Eine altarbildgroße Tafel der Südafrikanerin Mmakgabo Mmapula Helen Sebidi, auf der im Figurengedränge und in altmeisterlicher Manier die Frage „Who Are We and Where Are We Goin?“ ins Offene schwingt. Eine Nachdenklichkeit, die sich im umgebenden Ensemble fast wie ein ungebetener Gast ausnimmt. Vielleicht übernimmt sich die Ausstellungsidee ja auch im Anspruch, eine hundertjährige panafrikanische Totale beweisen zu wollen.

Intelligenz der Zeitkunst

Von den rund 160 teilnehmenden Künstlern und Künstlerinnen sind mehr als ein Drittel in den USA, in Großbritannien, in Brasilien oder Kuba geboren, leben und arbeiten dort und sind nicht selten bestvernetzt im internationalen Kunstbetrieb, wo sie ihre Erfolge gerade nicht in der Abgrenzung, sondern in der Anpassung an die Intelligenz der Zeitkunst feiern.

So pendelt – laut Biografie – Roméo Mivekannin „zwischen Toulouse, Frankreich, und Cotonou, Benin“ und ist mit seiner längst berühmten Adaption von Félix Vallottons 1913 gemalter Aktszene „La Blanche et la Noir“ auf manchen Ausstellungen zu sehen gewesen. Wie er die rauchende schwarze Magd von der zum Schatten ausgedünnten liegenden Nackten wegdreht und sie vor dem Betrachter zur überlegenen Hauptperson macht, das ist noch immer und immer wieder ein starkes Stück bewundernswerter Selbstermächtigung.

Das gilt nicht weniger für die fabelhafte Malerin Lynette Yiadom-Boakye, die mit ihren ghanaischen Wurzeln in London lebt und dort unaufhaltsam zur Turner-Preisträgerin aufgestiegen ist mit eindrücklichen Figurenbildern, auf denen sie der „Blackness“ eine differenzierte Magie abgewinnt. Wer ihrem gescheit sinnlichen Werk schon einmal begegnet ist, wird umso mehr enttäuscht sein, dass auch sie es kaum schafft, dem panafrikanischen Kunterbunt mehr als ein paar nachdenkliche Augenblicke zu geben.

Lynette Yiadom-Boakye, „A Culmination“ 2016
Lynette Yiadom-Boakye, „A Culmination“ 2016
Quelle: Kunstmuseum Basel - Jonas Haengg

Dass man irgendwo plötzlich vor der 1938 entstandenen „Femme violette“ des gebürtigen Kubaners Wifredo Lam steht, kommt einem wie ein Versehen vor. Der Maler hatte sich in den 1930er-Jahren in Paris von Picasso und vor allem von den Surrealisten begeistern lassen und passt mit seinem museal gesicherten Werk so gar nicht zum Souveränitäts-Narrativ der Ausstellung. Während Kehinde Wiley, viel genannter Leistungsträger der US-Malerei, einen ganz und gar verdienten Platz einnimmt. Immerhin hatte der Szenestar die Ehre, das offizielle Porträt des Präsidenten Obama zu malen.

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Dass er jüngst wegen heftiger Vorwürfe sexueller Übergriffigkeit in die Schlagzeilen geraten ist, hat ihn zumindest in Basel nicht gleich von der Ausstellungsteilnahme ausgeschlossen, was zumindest Anerkennung verdient. Auch wenn sich zu seinem muskulösen Bildnis des ghanaischen Fußball-Wunders John Mensah nicht viel mehr als „schön, schön“ oder „ja, ja“ sagen lässt. Aber damit ist man doch wieder auf dem soliden Niveau der Ausstellung.

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Wo ist sie, die „eigene Kunstgeschichte“? Verborgen jedenfalls in den Spielformen eines internationalen Stils, der wie das Smartphone weltweit zur Verfügung steht und überall gleich und gleich eingängig gehändelt und gehandelt wird. Mal ganz lebensnah, mal ein bisschen bizarr, aber allemal sichtlich darum bemüht, dem Erzählbild jenen Charme zu geben, der es zum kunstbetrieblichen Wertgegenstand macht. Ein stilistisches Allerlei wie in der Weihnachtsausstellung des örtlichen Kunstvereins.

Zéh Palito, „Que Se Chama Amor“, 2022
Zéh Palito, „Que Se Chama Amor“, 2022
Quelle: Simões de Assis and Luce Gallery

Und was wäre, wenn man die unbezwingbaren und siegestrunkenen Kuratorinnen nach hundert Jahren panafrikanischer, nicht figurativer Malerei fragen würde? Es gibt in Berlin im Haus der SPD-Zentrale gerade eine Ausstellung, die mit Foto-Dokumenten von Jean Molitor die wenig bekannte Moderne-Architektur in Afrika dokumentiert.

Vielleicht ist ja doch alles viel komplizierter, als es der bildnerische Aufstand des „Globalen Südens“ lauthals suggeriert, der mit seinen „eigenen“ Erzählweisen das imperialistische Narrativ der dominanten Westkunst brechen möchte. Aufs Ganze gesehen fügen sich die aufständigen schwarzen Bilder geschmeidig in eine hundertjährige Bilanz der figurativen Malerei.

Wobei unter entwickelten postkolonialen Bedingungen jeder das schöne Recht hat, von sich zu verkünden: „Wir sind die Größten der Welt, und die Mutigsten sind wir auch.“

„When We See Us. Hundert Jahre panafrikanischer Malerei“, bis 27. Oktober 2024, Kunstmuseum Basel

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