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Film „Daddio“

„Ich wollte den Begriff ‚Daddy Issues‘ zurückerobern“

Managing Editor im Feuilleton WELT und WELT am Sonntag
Dakota Johnson als Heimreisende nach New York Dakota Johnson als Heimreisende nach New York
Dakota Johnson als Heimreisende nach New York
Quelle: Leonine
Kann man einen ganzen Film im Auto spielen lassen? Klar. In „Daddio“ flirtet eine junge Frau gleichzeitig mit dem Fahrer und per Handy mit ihrem verheirateten Lover. Warum die Romantik des Taxifahrens gerade neu entdeckt wird.
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Eine Taxifahrt vom Flughafen JFK nach Manhattan dauert normalerweise etwa fünfzig Minuten. Doppelt so lang, wenn man in einen Stau gerät. Und schon hat man die Länge des Films „Daddio – Eine Nacht in New York“. Am Anfang steigt eine Frau in ein Taxi und am Ende steigt sie wieder aus, dazwischen liegen nur die Fahrt und das Gespräch, das sich zwischen ihr und dem Fahrer, zwei Unbekannten, entspinnt. Nichts Weltbewegendes passiert: kein Unfall, keine Verfolgungsjagd, kein Mord. Subtile Dialoge, Nahaufnahmen nachdenklicher Gesichter und das vorbeiziehende Lichtermeer Manhattans sind die Grundprinzipien dieses eigenwilligen Roadmovies, für das die Regie-Debütantin Christy Hall auch das Drehbuch schrieb.

Im Zoom-Gespräch erzählt Hall, die sich gut gelaunt und interessiert aus den USA zuschaltet, dass das Reduzierte mit dem kleinen Budget zu tun habe. Aber nicht nur: Sie sieht ihren Film als „Rückkehr zur Form“ und als Hommage ans alte Kino, das keine großen Spektakel brauchte, sondern oft einfach zwei Leute zeigte, die miteinander sprechen.

Christy Hall bei der Premiere von „Daddio“ in Toronto
Regisseurin Christy Hall bei der Premiere von „Daddio“ in Toronto
Quelle: picture alliance/Cover Images/Captive Camera

Und nirgends, weiß Hall, unterhält man sich so gut wie im Taxi, jenen „Beichtstühlen auf Rädern“. Ihr Film sei ein „Liebesbrief an New York und seine Taxifahrer-Subkultur“. Taxifahrer agierten quasi als „Amateur-Therapeuten“, ihnen könne man seine tiefsten, dunkelsten Geheimnisse anvertrauen. „Mit Uber oder Lift geht das nicht. Denn Uber-Fahrer kennen nach einer Fahrt deinen Namen und deine Adresse. Außerdem fahren sie in ihrem Privatauto, man schreibt sich gegenseitig Bewertungen.“

Es scheint, als erlebe 48 Jahre nach „Taxi Driver“ die Romantisierung von Taxi-Fahrten ihren Höhepunkt. Nach Steven Knights ebenfalls ausschließlich im Auto spielendem Beziehungsdrama „No Turning Back“ von 2013, der Dokufiktion „Taxi Teheran“ des Iraners Jafar Panahi von 2015, „Drive My Car“ des Japaners Ryūsuke Hamaguchi über die vorsichtige Freundschaft zwischen einem Schauspieler und seiner Fahrerin von 2021 und „Ein kleines Stück vom Kuchen“ der Iraner Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha über eine romantische Date-Nacht zwischen einer Witwe und einem Taxi-Fahrer von 2023, macht auch „Daddio“ von der gedehnten Zeitlichkeit Gebrauch, die sich im Auto als speziellem Ort des Kammerspiels einstellt.

Sean Penn als Taxifahrer – und Psychologe?
Sean Penn als Taxifahrer – und Psychologe?
Quelle: Leonine

Clark (Sean Penn) will die junge Programmiererin (Dakota Johnson), die weder ihren Namen noch ihr Alter verrät, in ein intimes Gespräch über Lebenslügen verwickeln. Und die weißblondierte Frau mit den bunten Fingernägeln lässt sich darauf ein. Und ja, man kann den Film ziemlich genervt schauen, sich darüber aufregend, dass etwas so Alltägliches und Unangenehmes wie die ständigen Flirt-, Rat- und -Verniedlichungsversuche älterer Herren zu einer rührenden Annäherung zweier verlorener Seelen hochstilisiert werden. Was in „Lost in Translation“ noch charmant und originell wirkte – die platonische Freundschaft zwischen junger Frau und älterem Mann –, fährt hier weitgehend altbekanntes Terrain ab: Es geht um eine ungewollte Schwangerschaft, betrogene Ex-Frauen, die Affäre mit einem verheirateten Familienvater, Daddy-Issues (daher auch der Titel).

Immer wieder schreibt die Protagonistin aus dem Taxi heraus ihrem Liebhaber und das Publikum wird auch vor seinen uneleganten Antworten (und Dickpics) nicht verschont. Man wünscht sich, sie würde sofort ihr Handy aus dem Fenster werfen oder es wenigstens dem Fahrer geben, damit er das Ganze beendet. Doch stattdessen lässt sie beide Dialoge parallel laufen. „Ich wollte den Begriff ‚Daddy Issues‘ zurückerobern“, so Regisseurin Hall. Doch wie sieht diese Rückeroberung aus?

Die Klischee-Fragen „Was wollen Männer? Was wollen Frauen?“ werden ebenso klischeehaft beantwortet. Aber da der Film und seine Charaktere das selbst wissen – die Kundin sagt irgendwann zum Fahrer „Sie haben sehr viele Worte gebraucht, um mir Dinge zu erzählen, die ich längst wusste“ –, ist man geneigt, diese Schwächen zu verzeihen. Und irgendein Zauber entfaltet sich dann doch. Vielleicht, weil der Film gar nicht erst vorgibt, Probleme zu erkennen oder Lösungen anzubieten. Die Bescheidenheit der Handlung, die nicht den erwarteten Kontrast zur minimalistischen Ausgangslage bildet, sondern diese im Gegenteil auf die Spitze treibt, ist durchaus reizvoll.

Vielleicht aber auch, weil der Film eine kleine Utopie im Schutzraum des Wagens anbietet, dessen Wände dem unsicheren Draußen trotzen. „Ich glaube, wir verlernen die Kunst, mit jemandem von einer anderen Generation oder Welt als unserer eigenen zu sprechen“, erklärt Hall. Ihr Film traue sich zu fragen: „Was wäre, wenn wir uns an einem vorurteilsfreien Ort begegnen würden? Meine Hoffnung ist, dass die Leute, die den Film sehen, danach mutig genug sind, ihre Handys für einen Moment niederzulegen und mit den Leuten in ihrem Umfeld zu interagieren.“

Welt aus Einsen und Nullen

Spannender als das unbefriedigende Liebesleben der Programmiererin in New York wirkt ihre Vergangenheit, die – da ist Hall zum Glück konsequent – nur erzählt, nicht aber etwa in Rückblenden gezeigt wird: Sie kommt aus einer kleinen Stadt „in der Achselhöhle Oklahomas“, wurde von ihrer elf Jahre älteren Schwester erzogen, da ihre Mutter beim Zigarettenholen abgehauen sei und ihr Vater sie nicht einmal für ein High-Five angefasst habe. Die Schwester lebt nun mit ihrer indigenen Freundin zusammen in einem Wohnwagen. Als Kind hat sie die Protagonistin in der Badewanne gefesselt, um ihr beizubringen, wie man sich von Entführern befreit.

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Dass der Film während dieser Slalomfahrt durch die Themen kaum in Sackgassen gerät, jeder Schlenker, der vom Weg abkommt, wieder auf die Hauptstraße zurückfindet, und bis zum Ende das Benzin nicht ausgeht, ist auch der zurückgenommenen Musik von Dickon Hinchliffe zu verdanken, der schon den Soundtrack für „Frau im Dunkeln“ (ebenfalls mit Dakota Johnson) komponierte, sowie dem Kameramann Phedon Papamichael („India Jones und das Rad des Schicksals“), der zu dem winzigen Innenraum ein größtenteils der Vorstellung überlassenes Außen entstehen lässt.

Für die Programmiererin sind es Codes aus Einsen und Nullen, die die Welt im Inneren zusammenhalten: Die Einsen stehen, erklärt sie dem Fahrer, für „wahr“ und die Nullen für „falsch“. Dass der Film genau 101 Minuten dauert, ist kein Zufall.

„Daddio – Eine Nacht in New York“ läuft ab dem 27. Juni im Kino.

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