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Kultur Opernuraufführung

Berlins Opernhäuser stecken im Elfenbeinturm fest

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Wie Faschismus entsteht: Szene aus „Melancholie des Widerstands“ Wie Faschismus entsteht: Szene aus „Melancholie des Widerstands“
Wie Faschismus entsteht: „Melancholie des Widerstands“
Quelle: © William Minke
Marc-André Dalbavies Filmoper „Melancholie des Widerstands“ wurde an Berlins Staatsoper uraufgeführt. Es hätte ein hochaktuelles Stück zum Rechtsruck werden können. Blieb aber im Kunstgewerblichen stecken. Über ein grundsätzliches Problem der Hauptstadt mit der Opernmoderne.
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Berlins drei Opernhäuser haben ganz offensichtlich nicht so viel Lust auf Oper. Die Komische Oper verflüchtigt sich, obwohl sie doch ein adrettes und teuer saniertes Umbauquartier im Schiller Theater hat, in ein Spiegelzelt vor dem Roten Rathaus. Dort wird bühnenbildlos auf einer sich drehenden Torte DDR-Operette inszeniert. Man sitzt grässlich unbequem auf Haltungsschäden fördernden, klebenden Plastikstühlen, von draußen hört man Fangebrüll und Polizeisirenen.

Die Deutsche Oper hingegen bietet die vor bald 40 Jahren uraufgeführte John-Adams-Politgroteske „Nixon in China“ mit reichlich Verspätung an und glaubt, das angeblich veraltete Stück mit einer Überfülle an Videobildern, schrägen Statisten und schrillen Kostümen optisch vermüllen zu müssen.

An der Staatsoper Unter den Linden gibt es gleich gar keine Oper mehr am Ende der Spielzeit und der Intendanz von Matthias Schulz. Sondern einen live produzierten Film mit ziemlich unerheblicher Musikuntermalung: „Melancholie des Widerstands“ von Marc-André Dalbavie nach dem gleichnamig-hellsichtigen Roman des Ungarn László Krasznahorkai, der 1989 Furore machte. Der ist genau richtig platziert zum erschreckenden Rechtsruck in Frankreich.

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Im Buch wie in der „filmischen Oper“ geht es um eine kleine Stadt in Irgendwo. Dort versucht eine ehrgeizig gewissenlose Frau mit ihrer Bewegung „Gekehrtes Heim, Ordnung muss sein“ die Zivilgesellschaft nicht nur unratmäßig in die rechte Richtung zu stoßen. Sie macht es sehr geschickt, verführt den Polizeichef, gibt sich als Grand Dame. Aber eigentlich will Agèle Esther die von ihrer sie zunehmend verstörenden Umwelt eingeschüchterte wie radikalisierte Bevölkerung auf faschistoid im Gleichschritt marschierenden, diktatorischen Kurs bringen.

Dazu benutzt sie ihren Ex-Mann, einen Musikprofessor und den Gottesnarren der Stadt, den naiv-zurückgebliebenen Briefboten Valuschka, der die Leute mit seinen Träumen vom Universum der Sterne als perfektem System fasziniert und ablenkt: menschliches Opium für das Volk also.

Erstes, tödliches Opfer: Valuschkas verängstigte, dabei operettenselige Mutter, die endlich klarsieht und unter die Füße des Mobs gerät. Am Ende sitzt Angèles Mann Georges wie am Anfang vor seinem nicht mehr wohltemperiert gestimmten Flügel – weil er eben andere Harmonien suchte – und klimpert Misstöne in eine vergiftete Atmosphäre.

Ein wichtiger Stoff, gerade heute, immanent musikalisch zudem. Es kommt vermutlich nicht von ungefähr, dass der bedeutende ungarische Komponist Peter Eotvös den Krasznahorkai-Roman als Vorlage seiner leider letzten Oper wählte. Erstmals auf ungarisch und in Budapest hielt er seinen Orbán-beherrschten Landsleuten im vergangenen Dezember einen Spiegel vor.

Es bleibt flach: Premiere von „Melancholie des Widerstands“ in Berlin
Es bleibt flach: Premiere von „Melancholie des Widerstands“ in Berlin
Quelle: © William Minke

Im Februar, kurz vor seinem Tod, fand dann die Erstaufführung von „Valuschka“ in deutscher Sprache in Regensburg statt. Und überzeugte in nur 100 Minuten mehr und atmosphärischer als die ungleich aufwändigere Berliner Dalbavie-Version in französischer Sprache, die sich 135 Minuten Zeit nimmt, die komplexe Literaturvorlage aber nur näherungsweise abzubilden vermag. Trotzdem ist es vor allem ihr zu verdanken, dass der Abend irgendwie fesselt.

Denn der gerne dem Kino nacheifernde Regisseur David Marton hat zwar einen irren Aufwand betrieben, sich von Amber Vandenhoeck (Bühne) und Pola Kardum (Kostüme) hinter der schräg platzierten, bühnenbeherrschenden Leinwand eine ganze Filmstadt aufbauen lassen inklusive eines putzigen Miniaturstadtmodells. Das macht alles einen wunderbar schrabbeligen, sepiagetönten Eindruck und wird von einem skurrilen Völkchen belebt, aber es bleibt – bei aller Perfektion zwischen dem Bildführer Chris Kondek und der Inszenierung Martons – eine öde, arg statische Angelegenheit.

Aus dem Setzkasten des Heute

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Wir ahnen zwar das wuselige Leben hinter der Leinwand, sehen aber (bis auf kurze Hebungen der Folie) nur die platten Bilder davon. Denn auf der Vorbühne passiert, außer dass hier Georges im Bademantel seinem Verstimmwerk am Flügel waltet, nicht viel. Das ist im Theater eher abtörnend.

Es braucht 13 Minuten bis endlich mal gesungen und richtig musiziert wird. Meist wird viel parliert, das Orchester unter der extrem engagierten Marie Jacquot darf sich einstimmen, mal ein Tusch spielen, etwas Audioatmosphäre beisteuern, aber allzu selten gibt es hier größte Bögen, eine Verzahnung von Singen und Aktion oder gar eine abstrakte Überhöhung. Der ganze Abend bleibt klangliches, aus dem Setzkasten des Heute sich bedienendes Stückwerk trotz der nachhaltigen Akzentbemühungen der Dirigentin. Die Musik verharrt hier als Klangbildbeilage immer in der zweiten Reihe.

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Aber schon Marc-André Dalbavies andere beiden Opern – die 2014 bei den Salzburger Festspielen uraufgeführte „Charlotte Salomon“ über das Leben der gleichnamigen jüdischen Bilderbuchautorin- und malerin und 2021 in Lyon „Le soulier de satin“ nach dem urkatholischen Claudel-Stück – blieben eher als blässliche Spektakel denn als Musikereignisse im Gedächtnis.

In Berlin nun gibt es immerhin lohnende Aufgaben für die vier Protagonisten innerhalb eines exzellenten Ensembles. Vor allem für die Frauen: Tanja Ariane Baumgartner fügt mit wollüstigem Mezzo ihrer schillernden Galerie vettelhafter Verführerinnen mit Verve ein weiteres Prachtexemplar hinzu. Ihre Angèle als übergroße Fellini-Madame ist so sinnlich wie garstig, ist leinwand- wie bühnenfüllend.

Mit zarten Vokalstrichen und feiner Mimik zeichnet Sandrine Piau die über die heillose Welt sich dauerechauffierende Rosi Pflaum in Pistaziengrün. Rosarot glänzen ihre Schweinchenpantoffeln, wenn sich in ihrem Wohnungslabyrinth dem Lehár-Genuss hingibt wie sonst ihresgleichen dem Likörchen.

Ein Kabinettstück fein gereifter Countertenorlyrik bietet zudem Frankreichs Höhenstar Philippe Jaroussky, der ja am gleichen Ort vor 19 Jahren sein szenisches Operndebüt gab. Sein Valuschka ist eine reine, versponnene Seele, ein auf seiner eigenen Klangwolke schwebendes Engelchen mit Mister-Bean-Antlitz. Zurückhaltend, aber intensiv gestaltet mit gewohnt facettenreichem Charaktertenor Matthias Kling den schwachen, passiven Georges als Meister der Disharmonie, die unerbittlich auf die Welt übergreift.

Angesichts deren nicht eben Hoffnung machender realer Lage blieb freilich die Oper, die so aktuell sein will, hier wieder einmal im feinen Elfenbeinturm allzu preziösen Kunstgewerbes.

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