Dieser Löwe hat zu tun. Mit sich. Mit fressen. Mit ausruhen. Den Bildhauer, der sich hinter dem Gitter des Raubkatzengeheges im Pariser Zoo herumdrückte, um ihn zu beobachten, sein Verhalten genauestens zu studieren und sogar vor Ort zu modellieren, hat er sicher bemerkt, aber für harmlos gehalten. Allein der emporgekrümmte, auch in Bronze fast noch wippende Katzenschwanz zeigt, dass auch mit einem vollgefressen faulen Löwen nicht zu spaßen ist, wäre er nicht eingesperrt.
Man sieht der Plastik an, dass ihr Modell zuerst in Ton geformt wurde. Fast körperlich ist zu spüren, wie unter der Kraft und Finesse der Hände aus dem Klumpen Erde dieses Tier zum Leben erweckt wurde. Im patinierten Bronzeguss sind es Lichtreflexe, die Muskelspannung und zitternde Bewegung simulieren und den Löwen vor unserem Auge so lebendig wirken lassen, obwohl er abstrakt und dunkel daliegt. Rembrandt Bugatti, den Schöpfer des Werks, hat man deshalb auch einen impressionistischen Bildhauer genannt.
Unzählige Tiere hat er geschaffen in seinem kurzen Leben (1884–1916). Allein, in Begleitung, im Rudel. Giraffen, Doggen, Elefanten. Paviane, Jaguare. Bären, Rehe, Büffel. Den Löwen hier hat der Spross der berühmten Bugatti-Familie – Sohn des Designers Carlo und Bruder des Automobilkonstrukteurs Ettore – im Jahr 1908. Gegossen wurde er von seinem bevorzugtem Gießer Adrien-Aurélien Hébrard in einer Auflage von drei Exemplaren. Fast einen Meter misst die Raubkatze von der Tatze bis zur Schwanzspitze.
Städel erhält Bugatti-Leihgabe
Die Tierskulpturen des Rembrandt Bugatti haben viele Fans. Einer davon ist der französische Schauspieler Alain Delon aus dessen Sammlung der „Fressende Löwe“ stammt. Im vergangenen Jahr wurde er (neben einem fauchenden Panther und einer gähnenden Löwin) vom Auktionshaus Bonhams an einen anonymen Bieter versteigert – zum Preis von 483.000 Euro.
Rekorderlöse für Bugatti-Skulpturen können auch in die Millionen gehen. Bonhams Cornette de Saint Cyr in Paris hat erst am 5. Juni 2024 einen Weltrekord für ein Bugatti-Werk aufgestellt. Die eindrucksvolle Gruppe „Drei laufende Panther“ (um 1905) wurde für knapp 3,7 Millionen uro versteigert.
Alain Delon („Wie Raubkatzen“, 1964) und Tiere sind ein Kapitel für sich. „Tiere lieben dich“, soll er einmal gesagt haben, „egal, wer du bist oder was du hast“. Die Tierplastiken Bugattis haben ihn so sehr begeistert, dass er eine große Sammlung zusammengetragen hat.
Bereits im Jahr 2016 trennte er sich von einem Großteil, darunter einem eindrucksvollen Paar Leoparden. Die Autorin des Bugatti-Werkverzeichnisses Véronique Fromanger erinnert sich im Bonhams-Katalog noch gut an einen Besuch mit Delon in Versailles 1988, um eine Bronze zu kaufen.
„Als wir den Salon betraten, blieben wir buchstäblich vor dem ‚Fressenden Löwen‘ stehen, dessen rohe Kraft auf der gesamten Oberfläche der Skulptur sichtbar war, als wäre sie lebendig. Alain Delon war atemlos. Er kaufte die Skulptur auf der Stelle, ohne über den Preis zu sprechen.“
Ein anderer Fan ist der Kunsthistoriker Philipp Demandt, seit er auf der Antiquitätenmesse Tefaf einmal an Bugattis Mantelpavian hängenblieb. Als Leiter der Alten Nationalgalerie stellte er dann 2014 in Berlin eine herausragende Ausstellung mit den Werken des museal bislang eher übersehenen Künstlers auf die Beine.
Seiner Leidenschaft bleibt Demandt auch als Chef des Frankfurter Städels treu. Am vergangenen Mittwoch durfte er verkünden, dass Bugattis Löwe, an dem sich einst Alain Delon erfreute, vom Städelschen Museums-Verein erworben wurde. Maßgeblich ermöglicht wurde der Ankauf durch eine Spende des 2022 verstorbenen ehemaligen Bankers und langjährigen Städel-Förderers Volker Westerborg. Der Verein feiert so sein 125-jähriges Bestehen, der Direktor, dass er ein Hauptwerk seines Lieblingsbildhauers als Leihgabe im Impressionisten-Saal ausstellen kann.