Einhundert Jahre und drei Wochen nach seinem Tod am 3. Juni 1924 ist alles gesagt über Franz Kafka und noch mehr geschrieben. Schreibblockaden hat es zu dem in den Feuilletons (auch dieser Zeitung) groß gefeierten Jubiläum offensichtlich keine gegeben.
Der Prager Schriftsteller selbst hat unter der gefürchteten Schreibhemmung gleichwohl jahrelang gelitten. So bezeugt es ein kurzer handschriftlicher Brief, der vom Auktionshaus Sotheby’s versteigert wird.
In diesem Brief an seinen Freund, den österreichischen Dichter Albert Ehrenstein, dem er seit dessen emphatischer Besprechung seines ersten Erzählungsbandes im „Berliner Tageblatt“ eng verbunden war, schrieb Kafka: „Ihnen gegenüber würde ich ganz gewiss nicht zögern, aber das ist die Wahrheit: seit 3 Jahren habe ich nichts geschrieben, was jetzt erschienen ist, sind alte Dinge, andere Arbeiten habe ich nicht, nicht einmal angefangene.“
Über Kafkas Schreibblockaden weiß man ein wenig aus seinen Tagebüchern. Der Brief, den Sotheby’s vom 27. Juni bis zum 11. Juli 2024 in einer britischen Online-Versteigerung anbietet und auf 70.000 bis 90.000 Pfund taxiert, öffnet eine andere Perspektive auf das Leiden des Literaten.
„Wenn sich Sorgen bis zu einer gewissen Schichte der innern Existenz durchgebohrt haben, hört offenbar das Schreiben, das Klagen auf, mein Widerstand war auch nicht allzu stark“, schrieb Franz Kafka weiter, in der Hoffnung, sein Freund Ehrenstein bewahre sich seine „freundliche Stimmung“.
Kafka verfasste die Zeilen im Frühling 1920. Knapp drei Jahre nach einer Tuberkulose-Diagnose war er zur Behandlung in einem Sanatorium in Meran. Immerhin das Briefeschreiben war ihm möglich. In dieser gesundheitlich schwierigen, aber intellektuell turbulenten Zeit entwickelte sich aus der Korrespondenz mit seiner tschechischen Übersetzerin Milena Pollaková-Jesenská eine nicht nur emotionale Beziehung.
Mit ihrer Unterstützung sollte Franz Kafka auch seine literarische Schreibblockade überwinden. In den wenigen Jahren, die ihm blieben, schrieb er noch einige Erzählungen und den fragmentarischen Roman „Das Schloss“, die neben seinen Tagebüchern und vielen weiteren Schriften erst posthum – und gegen seinen ausdrücklichen Willen – veröffentlicht wurden.