Die Säle des Palazzo Bonaparte im Zentrum von Rom sind abgedunkelt, nichts soll ablenken von der Pracht der Bilder, die fast aussehen, als würden sie von Innen heraus leuchten. Ganz klar: Hier ist ein Meister am Werk, der Komposition und Inszenierung perfekt beherrscht. Der aus Peru stammende Mario Testino war einer der erfolgreichsten Fotografen der Welt. Er durfte die britischen Royals porträtieren und die frechen Gucci-Kampagnen unter Kreativdirektor Tom Ford knipsen.
Gemeinsam mit der Stylistin Carine Roitfeld schuf er Bilder, die gleichzeitig superglamourös und unverhohlen sexy waren. Dann wurde seine Karriere 2018 wegen Missbrauchsvorwürfen schlagartig beendet. Er arbeitet noch hier und da, aber obwohl er von keinem Gericht verurteilt wurde, ist er gemessen an seiner früheren Omnipräsenz von der Bildfläche verschwunden.
Wie sich jetzt zeigt, war er in den letzten Jahren viel auf Reisen. Die Ausstellung in Rom trägt den trotzigen Titel „A Beautiful World“ und zeigt Menschen auf der ganzen Welt in traditionellen Trachten und Kostümen. Eine Frau mit reichhaltigem, ornamentalem Silberschmuck aus Myanmar, zwei aus Gräsern gefertigte Munganji-Wa-Weso-Kostüme mit comicartigen Riesenaugen aus dem Kongo, ein Marokkaner in fliederfarbenem Gewand.
Es sind nicht nur sogenannte Stammestrachten. In Kinshasa etwa fotografierte Testino einen Mann, dessen Outfit nur aus den Deckeln von Getränkedosen aus Aluminium besteht. Ganz offensichtlich kein praktisches Gewand, eher die Beschwörung der zeitgenössischen Götter Softdrinks und Ressourcenverschwendung. Im spanischen Lagartera wiederum lichtete er nur die in aufwendigste Barockornamente gehüllten Füße von einer Gruppe Frauen ab.
Maximales Licht auf Runzeln und Faltenwürfen
Das ist ohne Zweifel Überwältigungskunst, noch dazu, weil Testino die ohnehin schon farbsatten Motive durch Filter verstärkt hat. Seine berühmten Porträts von Prinzessin Diana und ihren Söhnen hatten noch eine gewisse Sanftheit. Davon ist in der aktuellen Ausstellung nichts mehr zu sehen. Hier muss es knallen. Jede Farbfläche auf der Haut des tätowierten Japaners etwa springt fast schmerzhaft ins Auge.
Kraftmeierei in der Kunst muss nicht unbedingt ein Vorwurf sein. Aber je mehr Zeit man vor den Bildern von Testino verbringt, desto leerer werden sie. Zwar ist er offenbar viel gereist, um diese Bilder zu produzieren, aber trotzdem sehen sie sich alle ähnlich: grau-schmieriger Hintergrund, maximales Licht auf Runzeln, Farben und Faltenwürfen.
Immerhin variiert er zwischen Halbprofil und Frontalansicht. Aber weil er einfach alles verschlingt und reproduziert – die äthiopischen Jugendlichen mit dem Kopfschmuck, die ernste, junge Frau aus der usbekischen Teilrepublik Karakalpakistan – drängt sich dem Besucher auf: alles gleich, alles egal, Hauptsache bunt und exotisch.
Vielleicht ist das ungerecht, vielleicht haben sich Testino und sein Team eingehend mit jedem einzelnen Kulturkreis beschäftigt, in dem sie gearbeitet haben. Aber das Ergebnis sieht aus, als habe man aus 50 „National Geographic“-Reportagen jeweils das plakativste Bild genommen und die Auswahl nebeneinander gehängt.
In einer Zeit, in der besondere Behutsamkeit mit dem vermeintlich „Anderen“ gefordert ist, tastet Testino brachial jedes Kostüm und jede Kultur einfach nur an der Oberfläche ab. So entstehen Wow-Effekt-Bilder ohne Seele. Das freilich war immer seine Spezialität. Die Erotik in seinen Fotos hatte stets etwas Klinisches. Auf dem Cover seines vielleicht berühmtesten Buches sieht man eine Männerhand, die sich in den Schritt einer blütenweißen Hose greift. Es ist eine schöne, kräftige Hand, aber der Griff ist, wie bei seinem Erfinder Michael Jackson, nur eine Karikatur dessen, was Sex ausmacht.
Testino knüpft mit der Ausstellung an eine Serie an, die er in seinem Heimatland Peru begonnen hat. Diese wiederum war ein Remake eines Zyklus, den Irving Penn Jahrzehnte vorher produziert hat. Daran ist nichts falsch. Aber der Arbeit seines Vorgängers wusste Testino nichts hinzuzufügen. Außer Farbe. Seine stärksten Fotos entstanden stets in Kooperation mit Kreativen, die eine Vision mitbrachten. Auf sich selbst gestellt macht Testino nun eine tragische Figur.
Die Ausstellung „A Beautiful World“ von Mario Testino ist bis zum 25. August im Palazzo Bonaparte in Rom zu sehen.