Der Sommer hat noch nicht angefangen, aber der coolste Schuh der Saison ist schon seit Monaten ausverkauft: ein brauner Bootsschuh von Miu Miu mit Logo auf der Zunge. Er besteht aus abgewetztem Leder und sieht aus, als habe er schon ein paar längere Segeltörns mitgemacht. In der Mailänder Miu-Miu-Boutique sagt eine Verkäuferin, sie könne die Kundin auf die Warteliste setzen und bei einer neuen Lieferung per WhatsApp kontaktieren, falls das Modell wieder in Größe 39 erhältlich ist. „Es kann sein, dass bald neue Größen reinkommen.“
Oder auch nicht. Auf die versprochene Nachricht wartet die Kundin vergebens. Aber zum Glück gibt es ja Alternativen, und zwar so viele wie lange nicht mehr. Ausgerechnet der konservative Bootsschuh, der an Unternehmersöhne auf Yachturlaub erinnert, an vornehme Hamburger Freizeituniformen oder an den Campus-Lifestyle amerikanischer Ivy-League-Universitäten in Hollywoodfilmen der 90er-Jahre, taucht derzeit in so vielen aktuellen Kollektionen auf, dass die US-„Vogue“ 2024 zum „Jahr des Bootschuhs“ erklärt hat.
Miu Miu, das zur Prada-Gruppe gehört, hat in den vergangenen Jahren viele Trends gesetzt – vom Minirock, der kaum bis über das Schambein reicht, bis zu Mikroshorts. Auch mit seiner Bootsschuh-Variante hat die Marke dafür gesorgt, dass Modeliebhaber den Klassiker wiederentdeckt haben.
Fendi wiederum stellte für Männer eine Version mit Krokodilprägung vor, während das Modell „Plume“ von Bally durch seine schmale, vorn oval zulaufende Form ein wenig mehr an einen Mokassin erinnert. Von Loewe hingegen gibt es einen Entwurf mit einer so breiten Sohle, dass er sich fast als Clown-Schuh eignen würde. Und die Modelle aus der aktuellen Kooperation der schwedischen Streetwear-Marke Our Legacy mit dem französischen Spezialisten für Bootschuhe Paraboot wurden auf der Oberseite mit einem Ying-und-Yang-Symbol verziert.
Solche Details und Veränderungen einer altbekannten Silhouette erregen Aufmerksamkeit. Aber sie animieren auch zum Kauf des Klassikers, der seit Jahrzehnten in praktisch unveränderter Form von Firmen wie Timberland, Sebago oder Sperry angeboten wird. „Die Nachfrage hat sich sehr positiv entwickelt, der Bootschuh wird wesentlich stärker nachgefragt, und damit geht auch eine Erweiterung der Zielgruppe einher“, sagt Melanie Bruss, Marketingchefin bei Sebago in Deutschland.
Es seien vor allem jüngere Kunden der Generation Z, die das Modell für sich entdeckten. „Bei denen kommen vor allem Bootschuhe in Metallic-Leder oder mit farblich abgesetzter bunter Sohle, aber auch die mehrfarbigen Styles sehr gut an.“
Den neuen Fans geht es mehr um Design als um Rutschfestigkeit, anders als Paul Sperry. Der Amerikaner gründete die gleichnamige Schuhmarke 1935, nachdem er bei einer Bootstour vor Long Island auf dem Deck ausgerutscht war. Sperry ließ sich von den Pfoten seines Hundes inspirieren und kam so auf die Idee, Lamellen in Gummisohlen zu ritzen, sodass sie rutschfest wurden.
Er kombinierte die Sohle mit einem einfachen Oberschuh aus Baumwolle und erschuf so den „Sperry Top Sider“, der bis heute als Prototyp des klassischen Bootsschuhs gilt. US-amerikanische Marinesoldaten trugen ihn ab 1940 als Teil ihrer offiziellen Uniform.
Es dürfte mit seiner einfachen Form zu tun haben, dass er sich später auch jenseits von Bootsausflügen als Freizeitschuh etablierte: gerillte Gummisohle, ein Oberschuh aus Stoff oder Leder, zwei bis drei Ösen an jeder Seite und dicke Schnürsenkel, mit denen man den Schuh an die Fußform anpassen kann. „Er funktioniert so, wie er ist, also muss man auch nichts daran ändern“, sagte Jonathan Frankel, der Geschäftsführer des kanadischen Modekonzerns Aldo, zu dem Sperry gehört, der „New York Times“.
Klassische Bootsschuhe kann man – oder, wie Kenner des maritimen Lifestyles wissen, sollte man – problemlos ohne Socken tragen. Sie passen zu Jeans und Chinos, zu langen und kurzen Hosen, und sie sehen immer besser aus, je mehr Falten, Flecken und Kratzer sich in das Leder eingraben.
Kein Sommer ohne Meerblick und Austern-Aperitivo
Weil sie nicht mehr nur auf Decks und Stegen getragen werden, suggerieren sie nicht mehr automatisch, dass die Träger ein Boot besitzen und damit einen gewissen Wohlstand. Trotzdem haftet ihnen bis heute etwas Elitäres an, als gehörten sie vor allem zur Garderobe derjenigen, die keinen Sommer ohne Meerblick, Austern-Aperitivo und weiße Leinenjacketts verbringen.
Wie Poloshirts und College-Blazer gehören sie zur Grundausstattung des „Preppy Styles“, dessen Name auf die „Preparatory Schools“ und Elite-Universitäten an der Ostküste der USA zurückgeht, und deren wohlhabende Schüler und ihren aufgeräumten Look beschreibt. Firmen wie Ralph Lauren oder Tommy Hilfiger haben auf Grundlage dieses Looks ihr Geschäftsmodell aufgebaut und interpretieren ihn auf modische Weise immer wieder neu, ebenso wie die US-amerikanische Modekette J. Crew. Und die hat gerade einen neuen Bootsschuh in Zusammenarbeit mit Sperry lanciert.
Auf Social-Media-Plattformen wie TikTok wird der Preppy-Stil heute mit dem Titel „Old Money Aesthetic“ neu definiert. Eine neue Generation, die nach „altem Geld“ aussehen will, entdeckt eben dessen einst als spießig verschriene Uniform wieder für sich und damit auch ein Schuhmodell, das zum Beispiel Prinzessin Catherine von Wales schon seit Jahren trägt – ihre Bootsschuhe stammen von Sebago.
Nach der Vorherrschaft von Sneakern und Streetwear in den zurückliegenden Jahren sieht so ein schlichter Lederschuh mit ein paar Ösen und gerillter Sohle eben wieder erfrischend und anders aus. Wer eine Abwechslung von Turnschuhen und Birkenstocks braucht, findet im Bootsschuh eine bequeme und vielseitige Alternative, die Wind- und Wetterstrapazen gut aushalten kann – ob man nun auf einem Deck steht oder nicht.
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