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  3. Lactose, Gluten, Nüsse: Ein Wirkstoff schützt bei schweren Lebensmittelallergien

Gesundheit Lactose, Gluten, Nüsse

„Ich muss da mal hingehen und denen sagen, dass ich noch lebe“

A waiter taking a food order from a customer sat by the window in a vegan cafe. A waiter taking a food order from a customer sat by the window in a vegan cafe.
Mühsam: Wer unter Lebensmittelunverträglichkeiten leidet, muss in Restaurants jede Zutat abklären
Quelle: Willie B. Thomas/Digital Vision/Getty Images
Ein Gericht von der Karte im Restaurant bestellen? Das können die etwa 15.000 Menschen in Deutschland mit schweren Lebensmittelallergien oft nicht. Ein Medikament könnte sie vor lebensbedrohlichen Reaktionen schützen. Nur zahlen die Kassen es in der Regel nicht.
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Wenn Joanna Malukiewicz überhaupt einmal essen geht, hat sie eine laminierte Karte bei sich. Eine lange Liste von all jenen Lebensmittel, gegen die sie allergisch ist. Milch und Gluten stehen darauf, Soja, Zwiebeln und Knoblauch, Rindfleisch und Austern. Die Hamburgerin zeigt die Liste den Kellnern; fragt, ob es auch Gerichte ohne gäbe, ob die Küche etwa den Lachs einfach nur pur kochen könnte. Doch trotz aller Mühe der Köche wird sie immer wieder richtig krank.

Malukiewicz gehört zu den etwa 15.000 Deutschen, die an einer schweren Lebensmittelallergie leiden. Schon feinste Spuren der Stoffe, auf die sie reagieren, lösen Hautjucken, Kreislaufprobleme, Atemnot oder Ohnmacht aus, weil das Abwehrsystem verrückt spielt. Eine offizielle Erfassung dieser Menschen gibt es nicht. Ihre Zahl lässt sich nur anhand der Verordnungen jener Medikamente schätzen, die sie brauchen, um das Risiko für den schlimmstmöglichen Ausgang ihrer allergischen Reaktion zu senken: den anaphylaktischen Schock.

Dabei sorgt eine fatale Kettenreaktion dafür, dass sich die Blutgefäße weiten, der Blutdruck fällt und Organe nicht mehr ausreichend durchblutet werden; Leber oder Niere können versagen, das Herz stehen bleiben, die Atmung aussetzen. Das alles geschieht binnen Minuten. Schwere Allergiker wie Joanna Malukiewicz rammen sich dann Adrenalinspritzen in den Körper, die den Kreislauf stabilisieren, schlucken Antihistaminika, die die allergische Reaktion blockieren, und Entzündungshemmer, um die inneren Angriffe durch Botenstoffe in den Griff zu bekommen.

Dabei legen aktuelle Daten nahe, dass es ein Mittel gibt, dass ihre Not lindern könnte. Einen Wirkstoff namens Omalizumab, der bisher nur bei bedrohlichen Pollenallergien und Asthma eingesetzt wird und der – statt nur im Notfall das Schlimmste zu verhindern – die allergische Reaktion von vornherein unterbinden oder zumindest bremsen kann. Im Februar hat die US-Arzneimittelbehörde FDA die Spritzen auch für schwere Nahrungsmittelallergien zugelassen. Deutsche Lebensmittelallergiker können es ebenfalls bekommen, müssen es aber in aller Regel selbst zahlen und fragen sich: wieso?

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Bei Allergien stuft das Immunsystem ungefährliche Stoffe als bedrohlich ein. Sie gelangen mit der Nahrung, als Medikamente oder durch Insektenstiche in den Körper, werden als Pollen oder Sporen eingeatmet. Wie bei allem, was in den Körper eindringt, untersuchen Patrouillen von Immunzellen diese Stoffe – genauer gesagt die Proteine, die an deren Oberfläche sitzen.

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Doch statt sie als harmlos zu klassifizieren, lösen die Immunzellen Abwehrreaktionen aus: Sie beginnen mit der Bildung von Antikörpern. Bei Allergien heißen solche Antikörper Immunglobulin E, kurz IgE. Von dieser Reaktion spüren Menschen etwa beim ersten Verzehr eines knackigen Linsensalates oder der Erdnussbutter noch nichts. Schlimm wird es erst ab dem zweiten Kontakt.

Allergie von Geburt an oder durch Umwelt

Denn die IgEs binden an weitere Abwehrzellen, sogenannte Mastzellen. Gefüllt sind sie mit einem Cocktail aus Kampf- und Entzündungsbotenstoffen. Gemeinsam zirkulieren sie wie Sensoren durch den Körper. Erkennen die IgEs die ihnen feindlich anmutenden Proteine erneut, veranlassen sie, dass die Mastzellen ihr Waffenarsenal freisetzen.

Eine Allergie kann von Geburt an bestehen, falls jemand zur überschießenden IgE-Bildung neigt, oder sich später durch Umwelteinflüsse entwickeln. Welche das sind, bleibt rätselhaft. Klar ist nur: Die Zahl der Erkrankungen nimmt in den Industrieländern zu. Die mit Abstand beliebteste Erklärung ist die sogenannte „Dreckhypothese“: IgE-Antikörper dienen eigentlich der Parasitenabwehr, doch weil Menschen durch die gewonnene Hygiene kaum noch mit ihnen in Kontakt kommen, richten sich die Abwehrstoffe sozusagen aus Langeweile auf neue Ziele aus – und lösen die mitunter lebensgefährlichen Reaktionen aus.

Quelle: Infografik WELT

Dabei muss es gar nicht so weit kommen. Denn es gibt ein Medikament, das diesen Mechanismus an einer entscheidenden Stelle unterbricht. „Omalizumab verhindert, dass IgE-Antikörper und Mastzellen zusammenfinden“, erklärt der Allergologe Robert Wood von der Johns Hopkins University School of Medicine in Baltimore. Der Wirkstoff ist ein künstlich hergestellter Antikörper, der die freien IgE-Moleküle im Blut abfängt.

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Im Februar hatte Woods in einer Studie im Fachmagazin „New England Journal of Medicine“ dessen Wirksamkeit bei Lebensmittelallergien gezeigt. 177 Probanden nahmen an der Testbehandlung teil. Neben Erdnüssen vertrugen sie mindestens zwei weitere Lebensmittel nicht. 118 Probanden bekamen Omalizumab, 59 ein Scheinmedikament gespritzt.

Die Behandlung dauerte vier Monate, gespritzt wurde ein- oder zweimal pro Monat, je nach Heftigkeit der Allergie. Nach Abschluss der Studie konnten die meisten die Hülsenfrüchte wieder essen, ohne negative Folgen zu spüren. Zwei Drittel der Studienteilnehmer vertrugen vier, nahezu jeder zweite sogar 25 Erdnüsse. Für Menschen, die zuvor am Bruchteil einer Erdnuss hätten sterben können, ein sensationelles Ergebnis.

Auch die anderen Lebensmittelallergien besserten sich messbar. Zwei Drittel aller Versuchsteilnehmer vertrugen dank Behandlung das Drei- bis Vierfache der Menge, die sie vorher schwer krank gemacht hatte. Nur 14 Prozent der Behandelten sprachen gar nicht auf Omalizumab an. „Doch die meisten erhielten einen so hohen Schutzgrad, dass sie die verbotenen Lebensmittel nun gefahrlos essen könnten“, sagt Wood.

Die Nebenwirkungen des Stoffs sind denkbar übersichtlich: Kopfschmerzen oder Reaktionen an der Injektionsstelle. Möglich sei, dass die Behandlung anfälliger für Parasiten mache, weil dadurch dem Körper die IgE zu ihrer Abwehr fehlten. In der westlichen Welt mit ihren wirksamen Wurmkuren ist das für Wood jedoch „ein überschaubares Risiko“.

600 Euro pro Spritze

Anders als in den USA hat Omalizumab in Deutschland jedoch noch keine Zulassung außerhalb der Asthmatherapie oder schwerer Nesselsucht. Deswegen müssen Ärzte für gesetzlich versicherte Patienten aufwendige Stellungnahmen schreiben, und die werden oft abgelehnt. Denn so wirksam das Mittel ist, so teuer ist es auch. Eine einzige Spritze kostet 600 Euro. Auf das Jahr gerechnet, schlägt Omalizumab mit 7200 bis 14.400 Euro pro Versichertem zu Buche.

Die ablehnende Haltung der Kassen frustriert Allergiespezialisten wie Ludger Klimek. Der Leiter des Zentrums für Rhinologie und Allergologie in Wiesbaden sagt: „Wir setzen den Stoff schon seit einigen Jahren mit großem Erfolg ein, es verändert die Therapie grundlegend.“ Eine Patientin sei vorher jeden Monat bis zu dreimal mit einem anaphylaktischen Schock ins örtliche Krankenhaus eingeliefert worden. Auf der Intensivstation kannten sie alle mit Vornamen. Nun seien die Einlieferungen passé. „‚Ich muss da mal hingehen und denen sagen, dass ich noch lebe‘, sagte sie zu mir“, erzählt Klimek. „Das werde ich nie vergessen.“

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Was Allergiker ohne Omalizumab an präventiven Behandlungsmethoden anwenden können, sind sogenannte Mastzellstabilisatoren. Sie verhindern, dass Mastzellen ihren Cocktail an Abwehr- und Entzündungsstoffen entleeren. Laut Arzneiverordnungsreport liegt der Preis einer Tagesdosis bei 1,25 Euro, also bei 470 Euro im Jahr pro Patient – und damit deutlich günstiger. Ihr Einsatz ist jedoch umstritten, da bisherige Studien keine einheitliche Wirkung zeigten. Den Betroffenen bleiben damit nur die Notfallsets.

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Joanna Malukiewicz sagt, wer keine Allergien habe, könne sich kaum vorstellen, wie sehr die nötige Vorsicht das Leben verändere. Sie selbst muss bei Partys oder in Ferienwohnungen nicht nur ihr eigenes Essen mitbringen, sondern auch Geschirr und Besteck. Die Spuren, die ihr diese Probleme machen, sind die unsichtbaren Reste vergangener Mahlzeiten auf vermeintlich sauberem Geschirr. Malukiewicz weiß nie, was auf einem Teller lauert. Das verunsichert.

Und da ist die Angst vor der eigenen Schusseligkeit. Denn: Vergessen sollte man das Notfallset mit den Adrenalinspritzen nie, das könnte das eigene Leben kosten – eine Verantwortung, die schwer auf manchen Patienten lastet. Malukiewicz erzählt noch von ihrer Einsamkeit. Wenn Kollegen abends spontan ausgehen, muss sich die Hamburgerin entscheiden, ob es das Risiko wert ist. „So viel im Leben dreht sich ums Essen“, sagt sie, „es verheißt nicht nur Genuss, sondern auch Geselligkeit.“

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