Im Juni 1524 gefiel es der Frau von Siegmund II., Graf von Lupfen, ihre Untertanen um die Burg Stühlingen im Badischen auf die Felder zu schicken, um Schneckenhäuser zu sammeln. Denn die hohe Dame hatte die Idee, ihr Garn darum zu wickeln. So zumindest berichten es mehrere Chronisten. Dennoch halten viele Historiker die Episode für eine bauernschlaue Erfindung. Denn weder wurden jemals Bauern zur Schneckenhaus-Suche gedungen, noch tat man das ausgerechnet zur Erntezeit, in der ja auch die Abgaben für die Herrschaften eingefahren wurden.
Wahrscheinlich sollte die Geschichte nur die herrschaftliche Arroganz der Gräfin herausstellen, die zur Begründung der folgenden Rebellion dienen sollte. Denn am 23. Juni zogen die Bauern der Gegend vor die Stühlinger Residenz und ließen ihrer Wut über die Frondienste freien Lauf. Die beschränkte sich nicht nur auf lautstarke Rhetorik, sondern auf praktischen Widerstand. Am selben Tag wurde „ein Fähnlein aufgeworfen, man spielte also den kriegerischen Haufen, und wählte demonstrativ einen erfahrenen Landsknecht zum Hauptmann“, schreibt der Historiker Peter Blickle. Damit markierte der 23. Juni 1524 den Beginn einer Erhebung, die als Bauernkrieg in die Geschichte einging.
Dass sich der zum „größten Naturereignis des deutschen Staates“ (Leopold von Ranke) auswachsen sollte, war den Zeitgenossen zunächst nicht klar. Der Graf von Lupfen schrieb im August 1524 konsterniert an die Stadt Freiburg: „Zwei-, dreihundert oder noch viel längere Jahre hatten unsere Vorfahren die Landgrafschaft Stühlingen friedlich verwaltet. Die Untertanen hatten dabei ihre Pflichten wie zum Beispiel Steuern und Dienste wohl gehorsam getan.“
Vermittlungsversuche zwischen den Stühlinger Bauern und dem Landgrafen scheiterten. Ab Oktober 1524 wurden auch Bauern anderer Landstriche unruhig, zunächst im benachbarten Hegau, im Klettgau und im Schwarzwald. Sie plünderten Burgen und Klöster und bildeten Heere, sogenannte Haufen. Allmählich breiteten sich die Aufstände aus und verwüsteten weite Teile Deutschlands. Bis sie bis Ende 1525 blutig niedergeschlagen wurden. Zeitzeugen sprechen von 50.000 bis 150.000 Toten, Historiker schätzen 70.000 bis 75.000.
Ob es sich beim Deutschen Bauernkrieg um eine aus dem Ruder laufende Elendsrevolte oder um eine Revolution handelte, ist unter Fachleuten nach wie vor umstritten. Marxisten deuten ihn als „frühbürgerliche Revolution“, die sich in das Konstrukt des historischen Materialismus’ einfügt. Liberale Historiker erkennen dagegen mehrere Konfliktlinien, die sich zu einem eruptiven Ausbruch verdichteten.
Da ist zum einen der Aufstieg des frühneuzeitlichen Territorialstaats, der mit seiner Herrschaftsverdichtung, die sich in Gesetzen und Amtleuten realisierte, die überkommene Autonomie der bäuerlichen Gemeinden zu erodieren begann. Ein weiterer Aspekt ist die einsetzende Agrarkonjunktur als Folge des Bevölkerungsanstiegs. Die Nachfrage nach landwirtschaftlichen Produkten stieg und damit die Preise.
Ausgerechnet im Südwesten des Heiligen Römischen Reiches beförderten diese Entwicklungen die soziale Verelendung weiter Kreise. Denn hier galt das Erbrecht der Realteilung. Jeder Sohn erhielt einen Anteil am väterlichen Hof, was zu einer dramatischen Verkleinerung der Betriebseinheiten führte.
N24 Doku – Der Sender für Dokumentationen und Reportagen
Von Geschichte, Natur und Wissenschaft bis hin zu Technik, Gesellschaft und Kultur bietet N24 Doku den Zuschauerinnen und Zuschauern eine Vielfalt an tiefgründigen und fesselnden Programmen.
Quelle: N24 Doku
In anderen Gebieten, vor allem in Norddeutschland, erbte dagegen der älteste Sohn den ganzen Hof. Legt man eine Karte der Regionen, die vom Bauernkrieg erfasst wurden, über eine Karte der Gebiete mit Realteilung, erkennt man: Sie sind fast deckungsgleich. „Da, wo die Realteilung praktiziert wird, werden die Parzellen zu klein, um Familien zu ernähren“, erklärt der Marburger Kirchenhistoriker Wolf-Friedrich Schäufele. In Norddeutschland und in Bayern bleibt es daher weitgehend ruhig. Denn dort haben die Bauern etwas zu verlieren. Nicht sie sind dort die unterste soziale Schicht, sondern die Nachgeborenen, die zu Knechten und Mägden herabsinken.
Hinzu kam, dass im Südwesten kleine Grundherren wie der Graf von Lupfen überproportional vertreten waren, die kaum Willens oder in der Lage waren, rationale Methoden der Verwaltung einzuführen. Sie erhöhten einfach nach Gutdünken die Lasten, was die Verelendung vieler Bauern beförderte. So wurden etwa Gewichtssteine manipuliert, um die Abgaben zu erhöhen. Dennoch war es es schließlich nicht die ländlichen Unterschichten, die den Aufstand organisierten und ihm damit seine Schlagkraft verliehen, sondern die „Dorfehrbarkeit“, die mittleren und großen Bauern.
Sie sahen ihre Stellung von den Grundherren und den Verarmten gleichermaßen bedrängt und fanden in der Reformation ein Vorbild für die Lösung aller Probleme: Die Autorität der alten Mächte und ihre Vorstellung von der Gott gewollten Ordnung schwand, der radikale Rückgriff auf die Bibel versprach den Bauern das Recht auf Freiheit von Fron und ein auskömmliches Leben. Das Gemeinde-Christentum der Protestanten entsprach ganz dem Idealbild von einer egalitären und ungebundenen bäuerlichen Gemeinschaft.
Nicht von ungefähr fanden Forderungen wie die Abschaffung der Leibeigenschaft, die Begrenzung von Abgaben und das Recht auf die freie Wahl der Pfarrer Eingang in die „Zwölf Artikel“, die im März 1525 in Memmingen formuliert und zur programmatischen Basis der Bauern wurden. „Das gab dem Bauernkrieg schon etwas Revolutionäres“, argumentiert Schäufele. Die Bauern hätten eine egalitäre Gesellschaftsvorstellung gehabt und sich dabei nicht auf althergebrachtes Recht berufen, sondern auf etwas Neues, ein göttliches Recht.