„Kriege mögen andere führen, du, glückliches Österreich, heirate“: Mit diesem dem römischen Dichter Ovid entlehnten Motto stiegen die Habsburger Ende des 16. Jahrhunderts zu einer der mächtigsten Familien der Welt auf. Über Hochzeiten gelangten sie in den Besitz von Teilen Burgunds, der Niederlande, Böhmens, Ungarns und begründeten das spanische Weltreich. Um dieses riesige Erbe zu sichern, wendeten sie ihr Motto auch auf die eigene Dynastie an. Sie heirateten nämlich untereinander – so oft, dass schon die Zeitgenossen über die markanten Merkmale auf den offiziellen Porträts staunten.
So standen Lippe und Unterkiefer auffallend vor, während die Hakennase leicht herabhing. Generationen von Wissenschaftlern haben sich darüber ausgelassen, ob diese Merkmale Ergebnis der zahlreichen Verwandtenehen gewesen seien oder nicht. Eine Studie der spanischen Universität von Santiago de Compostela kam 2019 zu einer Antwort: „Wir zeigen zum ersten Mal, dass es einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Inzucht und dem Habsburger Unterkiefer gibt“, sagte Studienleiter Roman Vilas.
Mangels ausreichenden genetischen Materials stützten sich die Wissenschaftler auf zahlreiche Porträts von 15 Habsburgern aus verschiedenen Epochen, bei denen die typischen Gesichtszüge besonders ausgeprägt waren. Insgesamt 66 Darstellungen wurden von zehn ausgewiesenen Gesichtschirurgen nach 18 anatomischen Kriterien analysiert. Die Ergebnisse wiederum wurden in Beziehung zu den Verwandtschaftsverhältnissen von mehr als 6000 Familienmitgliedern in rund 20 Generationen gesetzt.
Es zeigte sich, dass die berühmte „Habsburger Lippe“ bei jenen am deutlichsten auftrat, deren Eltern besonders eng miteinander verwandt waren. Das traf auf Maximilian I. (1459–1519), der die erfolgreiche Heiratspolitik des Hauses begründete, nur bedingt zu. Seine Eltern waren der Habsburger Friedrich III. und Eleonore Helena von Portugal.
Maximilians Lippe und Kinn mögen daher einer Laune der Evolution entsprungen sein. Aus seiner Ehe mit Maria von Burgund, deren Mutter ebenfalls eine portugiesische Prinzessin gewesen war, stammte Philipp I., bei dessen Sohn Karl V. – dem Kaiser, in dessen Reich die Sonne nicht unterging – ebenfalls wieder die markanten Gesichtszüge hervortraten.
Als nach dessen Abdankung 1556 die spanischen und österreichischen Besitzungen der Habsburger wieder von getrennten Linien regiert wurden, setzte die Dynastie auf enge Eheverbindungen. Sowohl Karls Sohn Philipp II. als auch Philipp III. und Philipp IV. heirateten österreichische Prinzessinnen. Bei Philipp IV. traten Lippe und Kinn besonders deutlich hervor. Von seinem Sohn Karl II. ist sogar eine ausgeprägte Fehlbildung des Oberkiefers überliefert.
Bei Philipp IV. wurde die Verwandtenheirat noch einmal übersteigert. Nachdem sein Sohn aus erster Ehe früh verstorben war, heiratete der Spanier dessen designierte Ehefrau Maria Anna von Österreich. Während Philipp mit anderen Frauen gesunde Nachkommen zeugte, wies der gemeinsame Sohn Karl II. bereits als Kind erhebliche Missbildungen auf. Nicht umsonst galt er als „der Verhexte“, erwies sich als zeugungs- und regierungsunfähig. Da er ohne Erben starb, brach nach seinem Tod im Jahr 1700 mit dem Spanischen Erbfolgekrieg ein regelrechter Weltkrieg aus.
Maria Annas Vater, Kaiser Ferdinand III., tat es seinem spanischen Vetter gleich, indem er die Tochter Philipps III., die ebenfalls Maria Anna hieß, zur Frau nahm. Nach deren Tod heiratete er Maria Leopoldine von Österreich-Tirol, die ebenfalls eng mit ihm verwandt war.
Mit Ferdinands Enkel Karl VI. starben schließlich auch die österreichischen Habsburger 1740 im Mannesstamm aus. Mit der Pragmatischen Sanktion hatte er versucht, die Zustimmung der europäischen Mächte für einen Regierungsantritt seiner Tochter Maria Theresia zu gewinnen. Die musste allerdings erst einen brutalen Erbfolgekrieg führen und gewinnen, um ihre Ansprüche durchzusetzen und dem Erzhaus weitere 178 Jahre den Kaiserthron zu sichern. Die inzestuöse Dekadenz beider Habsburger Linien hatte ebenso historische wie tödliche Folgen für Europa und die Welt.
Dass der mangelhafte genetische Austausch womöglich schon bei Philipp II. (1527–1598) und seiner ersten Frau Maria von Portugal eine Rolle spielte, zeigt die tragische Geschichte ihres Sohnes Don Carlos. Die Eltern waren Cousin und Cousine, deren Ehe nur mit Erlaubnis des Papstes hatte geschlossen werden können. Anders als Friedrich Schiller es allerdings in seinem Drama „Don Karlos“ darstellte, erwies sich ihr Sohn als physisch wie psychisch labil und impotent. Nachdem Don Carlos nach einem gescheiterten Fluchtversuch in der Haft starb, heiratete Philipp trotzdem dessen designierte Frau: Anna von Österreich.
Sie finden „Weltgeschichte“ auch auf Facebook. Wir freuen uns über ein Like.
Dieser Artikel wurde erstmals im Dezember 2019 veröffentlicht.