WELTGo!
Ihr KI-Assistent für alle Fragen
Ihr KI-Assistent für alle Fragen und Lebenslagen
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Food
  3. Entdecken
  4. Esskultur: Die Suche nach dem perfekten Wiener Schnitzel

Entdecken Österreichische Küche

Die Suche nach dem perfekten Wiener Schnitzel

Luftig und platt Liebevolles Porträt im „Schnitzel Love Book“ Luftig und platt Liebevolles Porträt im „Schnitzel Love Book“
Das Schnitzel ist die unangefochtene Leibspeise der Wiener
Quelle: Weitzer Hotels
Der „Bröselteppich“ ist das Nationalheiligtum der Österreicher. Zwei Wiener Restaurantkritiker widmen sich nun seiner Kulturgeschichte und seiner Zubereitung. Die Antwort auf eine wichtige Frage bleiben sie jedoch schuldig.

Brösel und Fett beherrschen die Wiener Küche, vom Blumenkohl mit Brösel, einem Arme-Leute-Essen auf Gemüsebasis, bis hin zu Apfelstrudel oder Topfenknödeln, die ohne Brösel undenkbar sind. Auch die unangefochtene Leibspeise der Wiener wird mit Brösel bedeckt und in Fett gebacken: das Schnitzel. Mit der unnachahmlichen Gabe, liebgewonnene Dinge mit Herablassung zu benennen, hat die Wiener Mundart dafür Begriffe wie „Bröselteppich“ oder „Bröselfetzen“ parat. Wenn der Herr sich zum Ausgehen schick macht, greift er zur „feinen Panier“. Und wenn es in Wien Ärger gibt, sagt man dazu: „Gleich gibt’s Bresl’n“.

Im Oktober sind gleich zwei Bücher erschienen, die sich dem kulinarischen Nationalheiligtum der Österreicher widmen. „Die Wiener Küche und das berühmteste Schnitzel der Welt“ (Pichler, 25 Euro) heißt das eine, das andere nennt sich „The Wiener Schnitzel Love Book!“ (Brandstätter, 35 Euro). Hinter diesen Büchern stehen zwei gastronomische Betriebe, die ihr Geschäft mit Wiener Küche machen und sich dabei vornehmlich an Nicht-Wiener wenden, also an Besucher und Touristen.

Hinter Ersterem verbirgt sich das alte Weinhaus der Familie Figlmüller mit seinen riesenhaften, flachgeklopften Fleischlappen. Das „Figlmüller“ steht in jedem Reiseführer und bezeichnet sich selbst als „Heimat des originalen Wiener Schnitzels“. Das Unternehmen wurde kräftig erweitert und umfasst mittlerweile mehrere Lokale, alle in unmittelbarer Nachbarschaft.

Hinter dem Zweiten steht das „Meissl & Schadn“, ein Hotel-Restaurant neueren Datums, das von sich behauptet, das Wiener Schnitzel perfektioniert zu haben – und dabei die klassische „Wiener Garnitur“ aus Sardellen und Ei wiederentdeckt hat. Aus Mangel an eigener Geschichte hat es sich den Namen eines legendären Restaurants aus der Kaiserzeit angeeignet, in dem sich einst das Großbürgertum und der Hochadel zum Essen und zum Tratsch traf und man sich der Legende nach die Farbe der Panade auf einer Farbpalette aussuchen durfte. Goldbraun war damals Standard. Beide Lokale werden von Einheimischen meist nur dann besucht, wenn sie auswärtige Gäste ausführen wollen.

Viel Schmalz und Süße

Zwei Co-Autoren der Bücher zählen zu Österreichs namhaftesten Restaurantkritikern. Severin Corti schreibt in der linksliberalen Tageszeitung „Der Standard“, Florian Holzer für den ländlich-konservativen „Kurier“ und die intellektuelle Stadtzeitung „Falter“. Beide haben eine große Fangemeinde, deren Schnittmenge marginal ist. Und weil wir in Wien sind, der Stadt des gepflegten Futterneids und der Gemeinheit, die hinter dem Rücken des anderen mit viel Schmalz und Süße serviert wird, sind die beiden einander nicht wirklich grün. Natürlich kennt man einander, es ist ja Wien, wo man sich nicht zweimal im Leben trifft, sondern zweimal am Tag. Tatsächlich vermeiden es Corti und Holzer, Neueröffnungen zum gleichen Zeitpunkt zu besuchen. Es könnte „Bresl’n geben“. Zum Wiener Restauranttheater gehört auch die Erzählung, dass der eine Kritiker die Lokale, die dem anderen gefielen, automatisch verreißen würde und umgekehrt. Stimmt natürlich nicht.

Wiener Schnitzel, Motive aus "The Wiener Schnitzel Love Book", Herbst 2020
Luftig und platt: Liebevolle Aufnahme aus dem „Schnitzel Love Book“
Quelle: Weitzer Hotels

Die nötige Expertise bringen die zwei dagegen mit: Wer sich für Wiener Lebensart und österreichische Küche interessiert, wird in beiden Büchern reichlich fündig. Das Buch der umtriebigen Unternehmer Thomas und Hans Figlmüller, in dem Florian Holzer als Co-Autor auftritt, bringt neben ein paar launigen, aber leider viel zu knapp beschriebenen Charakteristika der Stadt einige sehr schöne, zum Teil in Vergessenheit geratene Rezepte, die nichts mit Schnitzel zu tun haben, darunter das geröstete Hirn mit Zwiebel und Ei, der Kochsalat mit Augsburger (ein Kneipengericht aus gebratener, nicht geräucherter Knackwurst und übrig gebliebenen Salatresten) und der Stephaniebraten (eine Riesenfrikadelle mit einer Füllung aus hartem Ei), sowie eines der wenigen vegetarischen Gerichte der fleischlastigen Wiener Küche: Fisolen (grüne Bohnen) mit – natürlich – Bröseln.

Lesen Sie auch
Berlins 3-Sterne-Restaurant "Rutz": Da kann der Franzose einpacken
Dreisternekoch Marco Müller

Dem Schnitzel selbst widmet sich das Figlmüller-Buch mit fast wissenschaftlicher Akribie, listet auch das in Wien nur noch selten zu findende „Naturschnitzel“ auf, ein Fricandeau, das in Butterschmalz gebraten und mit Saft und Risi-Bisi (Reis mit Erbsen) serviert wird. Das Buch von „Meissl & Schadn“, bei dem Severin Corti als Herausgeber mitgewirkt hat, verzichtet hingegen fast gänzlich auf Rezepte. Es ist viel eher philosophisch-feuilletonistisch und nostalgieverliebt angelegt und glänzt dabei mit vielen Anekdoten bekannter Autoren, manchmal auch mit schrägem Humor, oder wie man in Wien sagt: Schmäh.

Da wird zum Beispiel auf mehreren Seiten fotografisch dokumentiert, wie ein gutes Schnitzel auszusehen hat: die Panier so trocken, dass man sich draufsetzen kann, ohne dass die Hose Flecken bekommt. Gastautor Christian Seiler arbeitet sich durch etliche Schnitzel-Variationen der Kochgeschichte und leidet dabei ganz ordentlich, um schließlich beim New Yorker Spitzenkoch David Bouley das endgültige Rezept zu finden: kleine Medaillons, sehr dünn geschnitten, ausreichend Rapsöl, die Pfanne während des Bratens schwenken.

Ein echtes Wiener Schnitzel muss beim Braten kontinuierlich geschwenkt werden, eine Technik, die man in Österreich als „Soufflieren“ bezeichnet
Ein echtes Wiener Schnitzel muss beim Braten kontinuierlich geschwenkt werden
Quelle: Weitzer Hotels

Salz, Pfeffer, Weizenmehl, Eigelb, Semmelbrösel, Fett: Es ist eigentlich keine Kunst, ein Schnitzel zu backen. Und doch kommt es auf ein paar Kniffe an, die man beherrschen sollte, wie in beiden Büchern zu lesen ist. Die ideale Dicke des Schnitzels liegt zwischen drei und sechs Millimeter. Im Corti-Buch ist auch vom leichten Andrücken der Brösel mit dem Handballen die Rede, und von der Beschaffenheit des Fetts (Schweineschmalz wird bevorzugt, es geht aber sogar Haselnussöl).

Anzeige

Besonders wichtig sei jedoch das bereits erwähnte, kontinuierliche Schwenken der heißen Pfanne beim Backen. Es sorgt für die luftig-sanfte Welligkeit der Panier, weil das Schnitzel auch an der Oberseite ständig mit Fett und Hitze in Kontakt kommt und sich unter der Kruste leichter Dampf bildet. In Österreich heißt das „Soufflieren“ – eine Technik, die von manch ehrgeizigem Koch so exzessiv angewendet wird, dass aus den idealen leichten Wellen mächtige Gebirge entstehen, die schon beim ersten Anschnitt zerbröseln.

Kalb oder Schwein?

Die Antwort auf eine wichtige Frage bleiben beide Bücher schuldig: Wo gibt es das beste Schnitzel? Der österreichische Lebensmittelkodex sieht vor, dass das Fleisch eines echten Wiener Schnitzels vom Kalb kommen muss. Ist das Fleisch vom Schwein, darf es nicht Wiener Schnitzel heißen, sondern einfach nur Schnitzel oder allenfalls Schnitzel „Wiener Art“. Viele Schnitzel-Aficionados meinen aber, dass das Schnitzel vom Schwein geschmacklich ausdrucksstärker sei als das vom Kalb.

Das beste Schnitzel, so sagen viele Wiener, und der Autor dieses Textes schließt sich gerne an, gibt es weder bei „Meissl & Schadn“ noch bei Familie Figlmüller, sondern im stets mit Gästen und Küchengeruch prall gefüllten „Café Anzengruber“: Von der Mama des Chefs zubereitet, und vom Schwein, nicht vom Kalb, eher ehrlich und herzhaft als bemüht elegant. Und wenn es ums Kalbsschnitzel geht, muss man am besten aus Wien rausfahren, nach Niederösterreich oder weiter nach Salzburg und Tirol, wo das lokale Kalbfleisch um einiges besser ist als in der Welthauptstadt des Schnitzels.

Dieser Text ist aus der WELT AM SONNTAG. Wir liefern sie Ihnen gerne regelmäßig nach Hause

Packshot 1.11.2020-halbe Seite[1]_
Quelle: WELT AM SONNTAG

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema