WELTGo!
Ihr KI-Assistent für alle Fragen
Ihr KI-Assistent für alle Fragen und Lebenslagen
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Debatte
  3. Kommentare
  4. Antwort auf Etgar Keret: Ein Schrei nach Anerkennung von einer zunehmend antisemitisch woken, linken europäischen Elite

Meinung Antwort auf Etgar Keret

Ein Schrei nach Anerkennung von einer zunehmend antisemitisch woken, linken europäischen Elite

In Tel Aviv demonstrieren Gegner der Regierung gegen Benjamin Netanjahu In Tel Aviv demonstrieren Gegner der Regierung gegen Benjamin Netanjahu
In Tel Aviv demonstrieren Gegner der Regierung gegen Benjamin Netanjahu
Quelle: AFP
„Der perfekte Sturm aus Dummheit, Extremismus und dem persönlichen Egoismus“ – der Schriftsteller Etgar Keret lässt kein gutes Haar am Krieg seines Landes gegen die Hamas. Kontext und Fakten sind ihm dabei nicht so wichtig, meint unser Gastautor, der Historiker Gadi Taub.
Hier können Sie unsere WELT-Podcasts hören
Um eingebettete Inhalte anzuzeigen, ist deine widerrufliche Einwilligung in die Übermittlung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten notwendig, da die Anbieter der eingebetteten Inhalte als Drittanbieter diese Einwilligung verlangen [In diesem Zusammenhang können auch Nutzungsprofile (u.a. auf Basis von Cookie-IDs) gebildet und angereichert werden, auch außerhalb des EWR]. Indem du den Schalter auf „an“ stellst, stimmst du diesen (jederzeit widerruflich) zu. Dies umfasst auch deine Einwilligung in die Übermittlung bestimmter personenbezogener Daten in Drittländer, u.a. die USA, nach Art. 49 (1) (a) DSGVO. Mehr Informationen dazu findest du hier. Du kannst deine Einwilligung jederzeit über den Schalter und über Privatsphäre am Seitenende widerrufen.

Etgar Keret, einer der am häufigsten übersetzten Schriftsteller Israels, schrieb für die „Süddeutsche Zeitung“ über den Krieg in Israel. Der Text trug den Titel „Benjamin Netanjahus Horrorshow“ und wurde als „Hilferuf aus Tel Aviv“ beschrieben. Keret zufolge wurde Israel von einem „perfekten Sturm aus persönlichen Interessen, Egoismus [und] Dummheit“ gekapert, der in einen fehlgeleiteten „Sendungswahn“ kanalisiert würde.

Es sei traurig, so Keret, wenn das eigene Land vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag wegen Völkermordes abgestraft würde. Es stimme zwar, sagt Keret, „dass viele - zu Recht - darauf bestehen, dass die Anschuldigungen übertrieben und unbegründet sind“, aber, so bemerkt er weiter, müsse man zugeben, dass „Israels politisches und militärisches Verhalten in den letzten sieben Monaten die internationale Unterstützung, die es am 7. Oktober erhalten hat, untergraben hat …“

Die Unterstellung, dass Israels „politisches und militärisches Verhalten“ den Vorwurf des Völkermordes irgendwie verständlicher mache, ist nicht nur eine kleine Verzerrung der Realität. Im Gegensatz zu dem Eindruck, den Keret erweckt, hat Israel mehr Rücksicht auf das Leben von Zivilisten genommen als jede andere Macht in der jüngeren Geschichte. Das übliche Verhältnis zwischen zivilen Todesopfern und toten Kombattanten in modernen urbanen Kriegen liegt zwischen 7 und 9 zivilen Todesopfern je totem Kämpfer.

Bei Israels Gaza-Kampagne kommen auf jeden toten Kämpfer schätzungsweise 1,5 bis 3 tote Zivilisten – und das, obwohl der barbarische Feind in einem der am dichtesten besiedelten Gebiete der Welt Zivilisten absichtlich als menschliche Schutzschilde missbraucht. Israel hat auch humanitäre Korridore für die Evakuierung geöffnet und lässt einen ständigen Strom humanitärer Hilfe zu – obwohl diese Hilfe in die Hände der Hamas fällt.

Statt vernünftiger Argumente bietet der Artikel so eine Mischung aus belanglosen Kleinigkeiten, lauten Adjektiven und Behauptungen, die israelische Politiker schlecht aussehen lassen sollen, wie z. B. die Aussage, dass der Fahrer eines Ministers einen Unfall verursachte, als er über eine rote Ampel fuhr.

Aber es gibt in dem Text zwei wesentliche Argumente: zum einen, dass diese Regierung eine Minderheitsregierung sei, die nicht repräsentativ sei, und zum anderen, dass Netanjahu diesen Krieg aus eigennützigen Interessen führe, nämlich um dem kommenden Urteil in seinem Strafprozess zu entgehen.

Beginnen wir mit dem ersten Argument. „Laut Umfragen, die seit Kriegsbeginn durchgeführt wurden“, schreibt Keret, „ist die israelische Unterstützung für Netanjahu auf etwa 20 Prozent gefallen.“ Der Artikel spielt möglicherweise auf Umfragen von Mitte Mai an, die ergaben, dass Netanjahus Likud-Partei bei einem Tiefstand von 19 Sitzen (von 120) lag – dies im Vergleich zu Netanjahus Konkurrenten, Benny Gantz, dessen Partei damals 29 Sitze erreichte.

Jedoch bemisst sich der Rückhalt in einem parlamentarischen System anhand der Koalition und nicht anhand der Partei. Damals war die Partei von Gantz Teil der Koalition und unterstützte das Kabinett, was bedeutet, dass die von Netanjahu geführte Regierung nach denselben Umfragen eine sehr bequeme Mehrheit von 79 Sitzen hatte.

Im Gegensatz zu den Umfragen hatte die Koalition in Wirklichkeit aber 72 Sitze, als Keret seinen Artikel veröffentlichte. Nach dem Rücktritt von Gantz hat sie 64 Sitze. Sein Rückzug hat ihm übrigens laut einiger Umfragen zwischen einem Drittel und der Hälfte seiner Unterstützung gekostet. Aus diesen Umfragen geht auch hervor, dass Netanjahu für 47 Prozent der Israelis noch immer der bevorzugte Ministerpräsident ist – er liegt damit vor Gantz, der auf 31 Prozent kommt.

Anzeige

Dann gibt es noch die Behauptung, Netanjahu führe diesen Krieg aus egoistischen persönlichen Gründen - vor allem, um einer Gefängnisstrafe am Ende seines Prozesses zu entgehen. Das lässt außer Acht, dass Netanjahus Prozess überhaupt nicht wegen des Krieges unterbrochen wurde. Die Behauptung lässt auch außer Acht, dass die Fälle vor Gericht in sich zusammenfallen und es nur einen einzigen schwerwiegenden Anklagepunkt gibt: den der Bestechung.

Hier haben die Richter der Staatsanwaltschaft bereits empfohlen, den Vorgang fallen zu lassen. Die allgemeinere Vorstellung, dass die Fortführung des Krieges Netanjahus persönlichem Interesse dient, weil sie ihm einen politischen Vorteil gegenüber seinen Gegnern verschafft, ist eindeutig manipulativ.

Den Krieg bis zum Sieg fortzusetzen, ist sicherlich hilfreich für Netanjahus Karriere. Das liegt aber daran, dass eine Mehrheit der Israelis der Meinung ist, dass es für unsere Sicherheit entscheidend ist, die Hamas zu besiegen. Sie ist der schwächste unserer Feinde. Wenn wir sie nicht besiegen, wird unser Blut im Wasser treiben und noch größere Haie anlocken.

Viele Anekdoten, wenig Zusammenhänge

Keret hat viele Anekdoten auf Lager, aber den größeren politischen Zusammenhang scheint er nicht zu kennen: Es handelt sich, wie Benjamin Netanjahu kürzlich in der Knesset sagte, um einen Sieben-Fronten-Krieg mit dem Iran, der nach Atomwaffen strebt. Das ist eine klare und gegenwärtige Gefahr für die Existenz Israels.

Etgar Keret ist einer der talentiertesten Schriftsteller seiner Generation. Vor fast dreißig Jahren wählte ich ihn in einem Exposé über seine Generation - die auch meine ist - als einen der wenigen damals jungen, brillanten Autoren aus, die den damaligen Zeitgeist am besten verkörpern.

Ich argumentierte jedoch, dass sein Werk einen fatalen Fehler aufweist, der auch für unsere Generation typisch war: Seine moralischen Vorstellungen sind immer die des Fänger im Roggen geblieben und sind zutiefst unpolitisch. Keret ist nicht erwachsen geworden. Als Schriftsteller hat er sich nie über die Form der Kurzgeschichte hinaus entwickelt. Seine Versuche, Romane zu schreiben, scheiterten und hinterließen keine Spuren. Er hatte nie die Geduld oder die Bereitschaft, vollwertige Charaktere zu entwickeln.

An dieser Stelle finden Sie Inhalte von Drittanbietern
Um eingebettete Inhalte anzuzeigen, ist deine widerrufliche Einwilligung in die Übermittlung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten notwendig, da die Anbieter der eingebetteten Inhalte als Drittanbieter diese Einwilligung verlangen [In diesem Zusammenhang können auch Nutzungsprofile (u.a. auf Basis von Cookie-IDs) gebildet und angereichert werden, auch außerhalb des EWR]. Indem du den Schalter auf „an“ stellst, stimmst du diesen (jederzeit widerruflich) zu. Dies umfasst auch deine Einwilligung in die Übermittlung bestimmter personenbezogener Daten in Drittländer, u.a. die USA, nach Art. 49 (1) (a) DSGVO. Mehr Informationen dazu findest du hier. Du kannst deine Einwilligung jederzeit über den Schalter und über Privatsphäre am Seitenende widerrufen.

Das Gleiche gilt für seine politischen Ansichten: Sie sind kindisch, egozentrisch und uninformiert. Wie bei seinen Kurzgeschichten gibt es eine Fülle von Anekdoten, aber keinen Überblick über den Kontext. Man kann schlicht und ergreifend nicht gleichzeitig seine kindlichen Figuren variieren und dabei Emile Zola oder Amos Oz sein. Vielleicht sollten wir seinen Artikel daher in einem literarischen - und nicht in einem politischen Kontext - sehen. Dann würde er weniger wie ein „Hilferuf aus Tel Aviv“ erscheinen, sondern mehr wie ein Schrei nach Anerkennung von einer zunehmend antisemitisch woken, linken europäischen Elite.

Gadi Taub (59) ist ein israelischer Historiker, Schriftsteller und politischer Kolumnist. Er ist Senior Lecturer an der Fakultät für Sozialwissenschaften der Hebräischen Universität Jerusalem

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema