Wer aus Bayern kommt, hat sie im Grunde ohnehin schon — die Bierzeltpflicht. Es ist dort eine nahezu ungeschriebene Verpflichtung, mindestens einmal im Jahr ins Bierzelt zu gehen. Der Besuch des Oktoberfests in München ist für viele der Höhepunkt des Jahres.
Für viele mag die „Wiesn“ womöglich wie ein blankes Besäufnis daherkommen. Das aber wäre ein sehr oberflächlicher Blick auf die bayerische Bierzeltkultur. Sie gewährleistet eines der wichtigsten Dinge unserer Gesellschaft: Geselligkeit.
Krieg, Generationenkonflikt und, und, und — die Menschen in Deutschland brauchen Ablenkung. Das ist kein Zeichen der Schwäche, sondern der Vernunft. Harte Arbeit lässt sich nur vollführen und herausfordernde Krisen lassen sich nur bewältigen, wenn mit ihnen Ausgleich und Entspannung einhergehen. Die Menschen in Deutschland brauchen einander. Es hilft, in Gemeinschaft zu sein. Doch manchmal scheint es, als hätten die Menschen vergessen, wie es funktioniert, mit neuen Leuten in Kontakt zu kommen. In den U- und S-Bahnen schweigt man sich an. Anstelle von persönlichen Telefonaten schreibt man E-Mails oder Whatsapp-Nachrichten.
Deutschland scheint aktuell selten gut gelaunt zu sein. Stattdessen präsentiert es sich eher frustriert und resigniert. Die Stimmung ist negativ. Das Land muss endlich wieder positiver, fröhlicher, geselliger werden.
Die Menschen müssen sich erlauben, Spaß zu haben
Bierzelte sind ein Ort der Zusammenkunft. Man trägt Tracht und fühlt sich verbunden. Man lernt neue Leute kennen, steht gemeinsam auf der Bierbank, hält „Ein Prosit der Gemütlichkeit“ singend den Maßkrug in die Höhe und blickt in freudestrahlende Gesichter. Man kommt ins Gespräch. Man singt und tanzt. Auch mit Fremden. Das ist der Zauber des Bierzelts, des Biers (oder der Spezi), der Partyband, des „1/2 Hendls“, der großen „Brezn“ und der Bedienungen, die mit teilweise über zehn Maßkrügen beladen stundenlang durch die Gänge laufen und die Gäste versorgen.
Für einen Abend all die Probleme hinter sich zu lassen, neue Energie und Lebensfreude zu tanken, sich mit Menschen zu unterhalten, denen man – träfe man sie in der S-Bahn – schweigend gegenübersäße – das täte allen Menschen gut. Und wem das Bierzelt nicht reicht, fährt danach eine Runde Riesenrad: Von oben sehen Probleme manchmal kleiner aus.
Das Kennenlernen neuer Menschen ist es, was uns zeigt, nicht allein zu sein; was uns wieder Mut macht. Davon brauchen wir mehr. Die Menschen müssen sich trauen, solche Orte aufzusuchen. Sie müssen sich erlauben, Spaß zu haben. Die Menschen müssen ins Bierzelt. Prost!