2. Juli 1993 in der zentralanatolischen Stadt Sivas in der Türkei: Ein wütender Mob aus Islamisten und Nationalisten, darunter zahlreiche Anhänger der Grauen Wölfe, wirft Brandsätze auf ein Hotel. In dem Hotel befinden sich anlässlich eines Kulturfestivals alevitische Musiker, Schriftsteller, Dichter und Verleger. Auch der türkische Schriftsteller Aziz Nesin, der zuvor mit der Übersetzung der „Satanischen Verse“ von Salman Rushdie zum Hassobjekt muslimischer Fundamentalisten wurde, ist unter den Gästen.
35 Menschen werden bei dem Massaker ermordet, die meisten davon alevitische Künstler. Polizei und Behörden sehen untätig zu. Bis heute sind die türkische Regierung und Justiz nicht an einer Aufarbeitung interessiert.
Auf den Tag genau 31 Jahre später schießt der türkische Fußball-Nationalspieler Merih Demiral im EM-Achtelfinale gegen Österreich zwei Tore. Nach dem Spiel feiert er mit dem sogenannten Wolfsgruß, dem Erkennungszeichen der rechtsextremen Grauen Wölfe. Das Symbol steht für den Kampf für ein großtürkisches Reich vom Balkan bis China, für Hass gegen Kurden, Aleviten, Linke, Armenier, Juden und Jesiden. Es steht damit für Ultranationalismus, Rassismus und Antisemitismus. Und es steht für zahlreiche Mordanschläge gegen Gewerkschafter, Sozialisten, Studenten und Intellektuelle, bei denen der Wolfsgruß gezeigt wurde.
Der europäische Fußballverband muss schnell auf die öffentliche Verbreitung der rechtsextremen Geste reagieren. Der albanische Nationalspieler Mirlind Daku war in der Gruppenphase für zwei Partien gesperrt worden, da er sich an nationalistischen Gesängen gegen Mazedonier beteiligte. Die Uefa sollte nun den türkischen Torschützen Demiral ebenfalls für mindestens zwei Spiele sperren – wenn nicht für das ganze Turnier.
Von seiner verharmlosenden Äußerung, die Geste mit seiner „türkischen Identität“ zu erklären, darf sich die Uefa nicht täuschen lassen. Mit dem Wolfsgruß hat Demiral nicht nur die Opfer von Sivas verhöhnt. Sollte der Fußballverband den rechtsextremen Jubel ignorieren, können die Kampagnen für Respekt und gegen Rassismus nicht mehr ernst genommen werden.