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Meinung Anne Applebaum

Die öffentliche Intellektuelle – ein rares Vorbild

Freier Korrespondent
Preisträgerin Anne Applebaum Preisträgerin Anne Applebaum
Preisträgerin Anne Applebaum
Quelle: dpa
Anne Applebaum erhält den Friedenspreis des deutschen Buchhandels. Sie steht ohne Verrenkung aufseiten der liberalen Demokratie. Denn als junge Studentin lebte die Amerikanerin drei Jahre in Leningrad und weiß, was Kommunismus bedeutet: Unfreiheit, Lügen, Schlangestehen.
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In der Neujahrsnacht des Jahres 1999 veranstaltete Anne Applebaum, die dieses Jahr den Friedenspreis des deutschen Buchhandels erhält, eine Party. Die Sause fand in einem Haus in Chobielin statt, einem Kaff im Nordwesten von Polen. Applebaums Ehemann – der polnische Politiker Radek Sikorski – hatte das Haus zusammen mit seinen Eltern zehn Jahre zuvor für wenig Geld gekauft. Es hatte schon ein neues Dach und ein frisch gestrichenes Wohnzimmer, aber kein einziges Möbelstück. Ein Symbol der neuen Zeit!

Es wurde getrunken. Es wurde getanzt. Billige chinesische Feuerwerkskörper wurden gezündet. Eine polnische Journalistin zog eine Pistole hervor und schoss aus purem Übermut eine Platzpatrone in die Luft.

Irgendwann erfuhr Anne Applebaum, dass der russische Präsident Boris Jelzin zurückgetreten war, verabschiedete sich kurz, schrieb eine Kolumne für eine britische Zeitung und kehrte für ihr nächstes Glas Wein zur Party zurück.

Beinahe alle Mitglieder des Gelages hätten sich als konservativ, liberal oder gar rechts bezeichnet; ein paar Linksliberale waren natürlich auch dabei. Rechts hieß damals, vor einem Vierteljahrhundert, ungefähr: für die Nato, für Europa, für die freie Marktwirtschaft, für die Anbindung an Amerika; gegen jenen Horror, der sich Kommunismus nannte.

Gegen Morgen gingen die Partygäste zwischen polnischen Birken im Schnee spazieren. Amerikanische und polnische Stimmen hallten von den Baumstämmen wider. Die Stimmung war ausgelassen, fröhlich, die Partygäste glaubten, dass sie zu den Siegern der Geschichte gehörten.

Heute sind die Freunde von damals in zwei tief verfeindete Lager zerfallen, die kein Wort mehr miteinander sprechen. Anne Applebaum würde die Straße überqueren, um manchen ihrer einstigen Partygäste nicht mehr begegnen zu müssen. Umgekehrt gibt es prominente Journalisten, die heute nicht mehr zugeben würden, dass sie mal bei Anne und Radek auf dem Sofa genächtigt haben.

In Polen wurde Applebaum, die Jüdin ist, zu einer Hassfigur der extremen Rechten, die sie als Agentin von George Soros, als satanische Gestalt, kurzum als praktizierendes Mitglied der jüdischen Weltverschwörung sehen. Warum? Was ist da passiert?

Die Rechten, die sich damals noch einig waren im Antikommunismus, stellten spätestens seit 2015 fest, dass sie aus zwei ganz unterschiedlichen politischen Traditionen kamen. Grob gesprochen: Die einen waren gegen den Kommunismus, weil sie jede Form von Diktatur ablehnten.

Die anderen fanden am Kommunismus vor allem falsch, dass die falschen Leute an der Macht waren. Sie mutierten zu rabiat antiwestlichen Nationalisten, manche auch zu Bewunderern des russischen Diktators. Anne Applebaum aber gehörte von Anfang an zu jenen Antikommunisten, die ohne Verrenkung auf Seiten der liberalen Demokratie standen. Darum gehört sie in Amerika auch zu den „Never Trumpers“, also jenen ehemaligen Republikanern, die keine Scheu haben, den 45. Präsidenten als Faschisten zu bezeichnen.

Den Amerikanern Europa erklären

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Anne Applebaum verkörpert etwas, das es in Deutschland in dieser Form kaum noch gibt: Sie ist eine öffentliche Intellektuelle. Oft ist sie im linken Fernsehsender MSNBC zu sehen, wenn es etwa darum geht, die polnischen Verhältnisse oder die jüngste russische Propaganda-Offensive zu verstehen.

In der Zeitschrift „The Atlantic“ (die in den Vereinigten Staaten in etwa das ist, was im Deutschland der Weimarer Republik die „Weltbühne“ war) erklärt Applebaum den Amerikanern ein ums andere Mal Europa: So hat sie einen großen Essay darüber geschrieben, wieso manche Leute in der DDR gekuscht haben, während andere aufmüpfig waren. Diesseits des Atlantik wiederum erklärt sie, was den Trumpismus von den rechtsradikalen Parteien der Alten Welt unterscheidet – er ist viel gewaltbereiter und extremer.

Die deutschen Fernsehanstalten haben Anne Applebaum noch kaum entdeckt. Die bevorzugen Sahra Wagenknecht.

Sie studierte bei Wolfgang Leonhard

Wie kommt eine jüdische Amerikanerin aus gutem Haus, die 1964 in Washington, D. C., geboren wurde, dazu, sich überhaupt für Osteuropa und seine Geschichte zu interessieren? Wahrscheinlich ist Wolfgang Leonhard an allem schuld: Bei diesem deutschen Ex-Kommunisten hat sie 1982 in Yale sowjetische Geschichte studiert. Drei Jahre später erlebte sie in St. Petersburg (das damals noch Leningrad hieß) live, was Kommunismus bedeutet: Unfreiheit, groteske Lügen und Schlangestehen.

Später begleitete sie als Journalistin den Fall der Mauer. Noch später reiste sie in die Ukraine. Sie erfuhr dort, dass die Erinnerung an den „Holodomor“, Stalins Hungermord an Millionen von ukrainischen Kindern, Frauen und Männern, noch immer allgegenwärtig ist. Aus solchen Erfahrungen entstanden historische Sachbücher: über den Gulag, die Ostblockdiktaturen der Fünfzigerjahre, vor allem über den „roten Hunger“.

Wer Anne Applebaums aufwühlendes, sorgfältig recherchiertes, stellenweise ergreifendes Buch über Stalins Krieg gegen die Ukraine lesen kann, ohne Schlafstörungen zu bekommen, ist entweder ein Psychopath oder ein Mensch, der eine Geheimquelle für starke Barbiturate kennt.

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Ein bekannter Feuilletonist hat vorsorglich angemerkt, es sei befremdlich, dass mit Anne Applebaum eine Frau den Friedenspreis des deutschen Buchhandels erhält, die sich zu dem Prinzip „Si vis pacem, para bellum“ bekennt: Wenn du den Frieden willst, bereite den Krieg vor. Oh, himmlische Vergesslichkeit! Offenbar weiß jener Feuilletonist nicht mehr, dass 1983 Manès Sperber diesen Preis bekam, ein Schriftsteller, Psychologe und linker Antikommunist, der den Krieg aus eigenem Erleben kannte.

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Sperber bekannte sich in seiner Preisrede zur nuklearen Abschreckung gegen die Sowjetunion. Das Getöse war groß. Die westdeutsche Friedensbewegung war wie vor den Kopf geschlagen. Ein Großschriftsteller, bei dem sich hinterher herausstellte, dass er Stasikontakte hatte, befand, Sperber müsse seinen Preis zurückgeben. Im Nachhinein muss man einfach feststellen, dass Manès Sperber recht hatte. Si vis pacem, para bellum.

In einer E-Mail nannte Anne Applebaum die Entscheidung, ihr diesen Friedenspreis zu verleihen, „erstaunlich“. Nein, die Entscheidung ist nicht erstaunlich. Sie ist logisch.

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