Wenn ein Kartenhaus zusammenbricht, dann wankt es nicht erst. In Millisekunden zerfällt es in seine Bestandteile. Und seinen Erbauern wird schlagartig die Fragilität ihres Gebildes klar.
Dass das Kartenhaus um Joe Biden fragil war, wurde von einer Phalanx aus Demokraten-Parteisoldaten und Journalisten zu lange ignoriert. Nein, Biden sei nicht zu alt, nein, seine Aussetzer seien kein Problem, sondern nur ein Komplott von Bidens Gegnern – so die regelmäßige Leier etwa beim Demokraten-Haussender MSNBC.
Die „Washington Post“ schrieb sogar von „Cheap Fakes“ (in Anlehnung an „Deep Fake“, also AI-manipulierte Lügenvideos), um die zahlreichen Zeugnisse von Bidens Aussetzern sprachlich in die Nähe von Fälschungen zu rücken. Und Politiker der Demokraten verteidigten ihren Anführer vehement.
Nun lässt sich das Fiasko vom Donnerstag nicht mehr ignorieren. Bidens Auftritt in der TV-Debatte gegen Donald Trump war geradezu bemitleidenswert schwach. Der US-Präsident verhaspelte sich, wirkte nicht Herr seiner Sinne, seine Frau musste ihn von der Bühne begleiten.
Wie konnte überhaupt jemand auf die Idee kommen, dass es eine gute Idee ist, diesen Greis erneut ins Rennen zu schicken? Denn offensichtlich war Bidens Umfeld seit Jahren klar, dass er öffentlichen Auftritten nicht mehr uneingeschränkt gewachsen ist.
Der mächtigste Politiker der Welt gibt kaum Interviews, seine Termine werden sorgfältig geplant, Unwägbarkeiten minimiert – in der Hoffnung, dass der amerikanischen Öffentlichkeit verborgen bleibt, wie es wirklich um den 81-Jährigen steht.
Die Realitätsverleugnung der Biden-Anhänger reduzierte sich aber nicht nur darauf, dessen Altersschwäche kleinzureden. Auch die Selbstbeweihräucherung der Regierungspolitik steht im Kontrast zur gelebten Erfahrung vieler Amerikaner. Ständig schwärmen Demokraten-nahe Meinungsmacher von der „besten Wirtschaft“, während viele Amerikaner aufgrund horrender Lebenshaltungskosten unter Existenzsorgen leiden.
Mit dem Inflation Reduction Act hat Biden zwar ein wichtiges grünes Infrastrukturprojekt auf den Weg gebracht (an dem sich die Bundesregierung – vor allem die blockierende FDP – ein Beispiel nehmen könnte), aber ansonsten bleiben die Demokraten eine Vision schuldig.
Niemand weiß so genau, was die Partei eigentlich will. Ein paar Mini-Verbesserungen in der Gesundheitspolitik hier, ein wenig Säbelrasseln in Richtung China da – und viel inhaltsleere Identitätspolitik. Wo die Partei des Präsidenten das Land in fünf, zehn oder zwanzig Jahren sieht, ist unklar.
Bei den Demokraten gilt ein Regenten-Prinzip
Und deshalb kann die Demokraten auch kein anderer Kandidat retten. Zwar wäre es wahlrechtlich möglich, dass Biden zugunsten eines jüngeren Politikers zurücktritt, aber das ist unwahrscheinlich. Der Präsident hat bereits klargestellt, dass er weitermachen will. Und damit hat sich die Debatte erledigt.
Niemand, der noch etwas werden will in der Partei, würde wagen, Biden herauszufordern. Bei den Demokraten gilt ein Regenten-Prinzip. Der Präsident ist unantastbar. Das liegt auch am Wahlsystem. Im Gegensatz zu Deutschland gibt es in den USA keinen alles durchdringenden Parteienstaat. Jeder Abgeordnete, jeder Gouverneur und der Präsident sind vom Volk gewählt.
Parteien sind keine mächtigen Institutionen, sondern eher lose Plattformen. Kein Parteigremium kann Biden zum Rücktritt drängen. Außerdem hat er als Trump-Bezwinger und wegen des guten Abschneidens der Demokraten bei den Zwischenwahlen 2022 einen Vertrauensvorschuss. Innerhalb der Partei gibt es deshalb keine relevante Gegenströmung – selbst die einstigen linken Dissidenten um Bernie Sanders unterstützen Biden vorbehaltlos.
Doch genau diese blinde Gefolgschaft macht es den Demokraten unmöglich, den Kurs zu korrigieren – weder personell noch inhaltlich. Aber dafür ist es ohnehin zu spät. Würde man jetzt von Biden abrücken, wäre das ein Eingeständnis des eigenen Versagens und der Chuzpe, einen Kandidaten ins Rennen geschickt zu haben, von dem man wusste, dass er seinem Amt womöglich nicht weitere vier Jahre lang gewachsen sein wird. Wer so wenig Verantwortungsbewusstsein zeigt, hat es schwer, um Vertrauen zu werben.
Star-Power gegen Konzeptlosigkeit
In den Medien kursieren dennoch mögliche Namen. Gavin Newsom, der aalglatte, aber souveräne Gouverneur von Kalifornien – und die ehemalige Präsidentengattin Michelle Obama zum Beispiel. Während Newsom zumindest politische Erfahrung vorweisen kann, zeugt die Überlegung, Michelle Obama ins Rennen zu schicken, davon, dass die Demokraten und ihr Umfeld noch immer nicht verstanden haben, was eigentlich das Problem ihrer Partei ist. Konzeptlosigkeit kann man nicht mit Star-Power kaschieren.
Barack Obamas ambitionslose aber medial perfekt inszenierte Hollywood-Präsidentschaft hat eine ganze Generation von politisch beliebigen Selbstdarstellungskünstlern hervorgebracht, die ebenso wie Obama keinerlei mutige inhaltliche Ziele haben, um das Leben ihrer Mitbürger zu verbessern – sondern vor allem sich selbst und ihre vermeintlich diverse Identität vermarkten.
Verkehrsminister Pete Buttigieg und die erratische und narzisstische Vizepräsidentin Kamala Harris sind dafür die prominentesten Beispiele. Beide scheiterten schon in der demokratischen Vorauswahl zur Präsidentschaftswahl 2020.
Würde man Obamas Ehefrau, die sich bisher hauptsächlich mit kitschigen Mutmach-Büchern einen Namen gemacht hat, nominieren, würde das den Demokraten mit ziemlicher Sicherheit auch wenig bringen. Amerika sucht nach Führung und Visionen – nicht nach poppig inszenierter Absichtslosigkeit.
Die Demokraten haben weder personell noch inhaltlich ein Fundament, auf dem sich ein stabiles Gebäude errichten ließe – selbst wenn sie mit viel Glück das Weiße Haus noch einmal halten können. Das Kartenhaus lässt sich nicht neu errichten. Die Republikaner wird es freuen.