Oh, wie ist das schön! Zehn Tage Europameisterschaft. Sie fühlen sich an wie die dritte Woche Sommerurlaub: In Woche eins kommt man an, checkt hin und wieder noch die Arbeitsmails, schläft bald tief im ungewohnten Bett. In Woche zwei sind mindestens drei Hemdknöpfe geöffnet, der Gang zum Eismann des Vertrauens gehört zur abendlichen Routine, Deutschland fühlt sich ganz weit weg an.
In Woche drei ist die innere Ruhe eingekehrt. Man hat die ambitionierten Pläne aus drei verschiedenen Reiseführern verworfen. Ganz ohne schlechtes Gewissen. Man hat keine Kraft mehr für Aufregung, fügt sich seinem Schicksal. Wie alte italienische Männer, die im immer gleichen Café an der Piazza sitzen und trotzdem jeden Tag etwas zu plaudern finden.
So fühlt sich derzeit die Heim-EM an. Der Tag richtet sich nach dem Spielplan. Erst waren es drei Spiele pro Tag, jetzt sind es zwei, bald nur noch eins. Drumherum passiert viel, aber irgendwie ist alles, was nicht Fußball ist, auch ein bisschen egal. Auf das sommerliche Diskussionsgetöse über Freibadprügeleien, Hitzetote und Bahnstreiks hat keiner Lust.
Selbst die Schilderungen der ausländischen Presse über das „Zombieland“ Frankfurt („The Sun“), die dysfunktionale Deutsche Bahn (das österreichische Medium oe24), das „Shithole“ Gelsenkirchen (laut dem britischen Blogger Paul Brown) oder die Mär der German Efficiency („New York Times“) mögen zwar irgendwie stimmen. In Nicht-EM-Zeiten wären sie womöglich dankbarer Stoff, um die Ampel-Koalition verantwortlich zu machen. Aber der innere italienische Opa winkt ab. Tutto passa. Alles vergeht. Auch diese Regierung.
Endlich darf der Fußball einfach wieder Fußball sein, das ist das Schönste. Keiner führt Strichlisten, wer wie laut die Nationalhymne mitsingt. Kein vernünftiger Zuschauer erwartet politische Äußerungen von Toni Kroos, Jamal Musiala oder Florian Wirtz über die Vielzahl chinesischer Sponsoren. Es geht nur darum, Fußball zu spielen. Die Lust auf den Gruppensieg ist spürbar, genauso wie Füllkrugs Torhunger. Die Emotionen sind so echt, die Jubelszene über eine Wahnsinnsparade von Manuel Neuer episch brachial.
Peinliche DFB-Aktionen braucht es nicht mehr. Das pinke Trikot ist überall ausverkauft, der Markt hat geregelt. Der Fußball steht im Mittelpunkt – und das ARD-Sommermärchen zwischen Esther Sedlaczek und Bastian Schweinsteiger.
Keine Politik, kein Tamtam. Oh, wie ist das schön, sowas hat man lange nicht gesehen. So schön.