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Meinung Gastbeitrag

Warum wir die Feinde der Verfassung härter bestrafen müssen

„Die Dinge sind manchmal weniger kompliziert, als wir meinen“, schreibt Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland „Die Dinge sind manchmal weniger kompliziert, als wir meinen“, schreibt Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland
„Die Dinge sind manchmal weniger kompliziert, als wir meinen“, schreibt Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland
Quelle: Marlene Gawrisch / WELT
Seit dem 7. Oktober ist deutlich geworden, dass Antisemitismus in bestimmten Kreisen in Deutschland fast schon dazugehört – gerade bei vielen arabisch- oder türkischstämmigen Jugendlichen. Wer aber Judenhass propagiert, ist ein Verfassungsfeind. Und muss auch so behandelt werden.
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Im Folgenden dokumentieren wir eine gekürzte Fassung der Festrede, die Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, am 18. Januar auf dem Neujahrsempfang des Bundesministeriums der Justiz in Berlin gehalten hat.

Unsere Gesellschaft braucht im Moment alle möglichen Kräfte, um sich gegen jene zu wehren, die ihr schaden wollen. Hierfür braucht es auch Einigkeit. So eint uns sicher die Sorge darüber, was in diesem Land in Bezug auf Israel gerade vor sich geht: Mehr als 100 Tage sind bereits seit dem 7. Oktober 2023 vergangenen. Mehr als 100 Tage seit dem blutigsten Tag für Juden seit der Schoa. Mehr als 100 Tage seit der Verschleppung von rund 240 Menschen aus Israel nach Gaza, von denen noch immer mehr als 100 in der Geiselhaft der Hamas-Terroristen sind.

Seit mehr als 100 Tagen sind Jüdinnen und Juden weltweit verstärkt Ziel von antisemitischen Angriffen. Was wir seit einigen Monaten auch hier in Deutschland erleben an Terrorverherrlichung, an Judenhass und Israelfeindlichkeit auf unseren Straßen, an konkreten Bedrohungen gegen jüdisches Leben hier in Deutschland, das beschäftigt und besorgt uns. Wir kommen zuweilen mit diesem Ausbruch aus unserer Vorstellungswelt nur schwierig zurecht.

Und das beschäftigt Sie, das spüre ich, und ich danke Ihnen, lieber Herr Buschmann (Bundesjustizminister Marco Buschmann; d. Red.), aber auch Ihrem ganzen Haus, für Ihre Arbeit zum Schutz von Jüdinnen und Juden in Deutschland; und für den breiten Katalog der Abschreckung, den wir in Deutschland bereits haben, wenn es um antisemitische Straftaten geht.

Schneller auf Islamismus reagieren

Es wird Ihnen nicht verborgen geblieben sein, dass ich mir hier sowohl im Strafmaß als auch im Anwendungsbereich manchmal etwas mehr wünschen würde. Mir ist bewusst, dass auch Sie Überzeugungsarbeit leisten und das vieles ein Prozess ist. Aber ein Prozess, der in meinen Augen noch Fortschritte machen muss, das möchte ich hier schon klar sagen. Antisemitismus ist keine Meinung, schon gar keine, die es zu schützen gilt. Das muss an jeder Faser unserer Gesetzgebung zu spüren sein.

Selbst wenn es durch härtere Strafen nicht zwingend weniger Antisemiten geben wird, bin ich davon überzeugt, dass dies auch ein Signal ist. Gerade die junge Generation muss verstehen, dass Antisemitismus schon vom Grunde her falsch ist. Leider wurde in den Wochen nach dem 7. Oktober deutlich, dass vor allem bei einigen arabisch- oder türkischstämmigen Jugendlichen diese Wahrnehmung überhaupt nicht vorhanden ist, im Gegenteil: Antisemitismus ist fast schon ein Aufnahmeritual in bestimmten Kreisen geworden. Er gehört in manchen Kreisen regelrecht dazu. Aber er darf nie dazugehören. Antisemitismus ist Volksverhetzung.

Das Strafrecht muss noch schärfer werden im Kampf gegen Antisemitismus; gerade die islamistische Bedrohung auf deutschem Boden führt uns das klar vor Augen. Es ist ein Rechtsgebiet, das immer auch mit der Zeit gehen muss. Und je schnelllebiger die Gesetzgebung werden muss, um mit immer neuen Bedrohungen Schritt zu halten, desto bedeutsamer werden auch jene Regeln, die unsere Werte bewahren und die in unserem Grundgesetz verankert sind. Genau in ihrer Zeitlosigkeit gewinnt unsere Verfassung an Wert. Das bringt mich zu dem Thema, für das Sie mich eingeladen haben: „Mehr Grundgesetz wagen“.

Unsere Art zu leben muss verteidigt werden

Das erinnert – wohl nicht ganz unabsichtlich – an Willy Brandts Regierungserklärung der ersten sozialliberalen Koalition 1969, „Mehr Demokratie wagen“. Ganz ähnlich wie im Falle Brandt beziehe ich das Wagnis dieses Ausspruches vor allem auf den Mut zur Besinnung auf das Wesentliche. Es ist seine fast schon asketische Klarheit, die das Grundgesetz zu einem Bollwerk gegen Ungerechtigkeit, Ungleichheit und Menschenfeindlichkeit macht. Wir tun als Gesellschaft gut daran, uns immer wieder darauf zu besinnen. Die Dinge sind manchmal weniger kompliziert, als wir meinen. Sie müssen nur klar beim Namen genannt werden.

Das Grundgesetz, unsere Verfassung, verortet uns in einem anglo-amerikanisch-westlich geprägten Verständnis von liberaler Demokratie. Es bestimmt unsere Art zu leben, wie wir miteinander umgehen, und es stellt über alles die Würde des Menschen.

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Das Grundgesetz wurde dadurch ein Teil der nationalen Identität der Bundesrepublik Deutschland, nur wenige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Zivilisationsbruch der Schoa. Wer diese Grundüberzeugung verstehen will, der muss das Grundgesetz immer auch im Kontext seiner Zeit begreifen. Es markiert einen Anspruch, der sicher nicht ab Tag eins erfüllt wurde, aber dessen Geltung wir uns für jeden kommenden Tag zur Orientierung gesetzt haben. Und dieser Anspruch war auch ein Signal nach außen, dass es nun ein „anderes Deutschland“ gibt.

Diese Entwicklung wurde auch in der jüdischen Welt wahrgenommen. Es waren vielfach pragmatische Gründe, aber auch der Geist des Grundgesetzes war für viele Jüdinnen und Juden ein Grund, in ihre deutsche Heimat zurückzukehren, nach dem Schrecken und dem Grauen, das sie nur wenige Jahre zuvor genau dort erlebt hatten und das bis heute nachwirkt. So war es auch für meine Familie, die in den 1950er-Jahren aus Israel nach Franken zurückkehrte.

Verfassungsfeinde sind nicht willkommen

Wir sollten uns dessen bewusst sein, wenn wir heute über Änderungen des Verfassungstextes diskutieren. Und in der aktuellen Situation, nach dem 7. Oktober, ist unser Grundgesetz der Maßstab unseres Zusammenlebens. Lieber Herr Minister Buschmann, Sie haben vor wenigen Wochen auf dem Gemeindetag des Zentralrats eine beeindruckende Rede gehalten. Sie haben dort unter anderem gesagt: „Wer es in diesem Land nicht erträgt, dass das Judentum zu Deutschland gehört, der stellt sich ins Abseits und der hat ein Problem und der ist es, der dann eben nicht zu Deutschland gehört.“

Ich war und bin Ihnen für das, was Sie dort gesagt haben, sehr dankbar. Ich meine, wir können das sogar allgemeiner formulieren: Wer es in diesem Land nicht erträgt, nach den Werten unserer Verfassung zu leben, der hat ein Problem und der kann nicht zu Deutschland gehören.

Wer jüdischen Studenten den Zugang zum Hörsaal verwehrt, der ist Antisemit – und der ist Verfassungsfeind. Der freie Zugang zu Bildung ohne Ansicht von Herkunft und Religion ist in Deutschland nicht verhandelbar.

Wer auf deutschen Straßen Hamas-Terror feiert, die Vergasung von Juden fordert und sich Adolf Hitler zurückwünscht, der ist Antisemit – und der ist Verfassungsfeind. Er tritt die Menschenwürde mit Füßen und verherrlicht den Nationalsozialismus.

Wer die Opfer der Schoa verächtlich macht oder die Schoa leugnet, der ist Antisemit – und der ist Verfassungsfeind. Er steht im Gegensatz zum Geist des Grundgesetzes und zu allem, wofür die Mütter und Väter unserer Verfassung einstanden.

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Und ein ganz aktuelles Beispiel: Wer, im Übrigen konspirativ, die Verschleppung tausender friedlicher deutscher Staatsbürger und ausländischer Geflüchteter plant, der ist Verfassungsfeind und gehört entsprechend behandelt. Wer sich immer schon gefragt hat, warum die AfD vom Bundesverfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft wird, der hat nun eine Antwort. Dieses Treffen, das nicht die erste Zusammenkunft von AfD-Funktionären mit rechtsextremen Gruppen war, zeigt eindrücklich, welch große Gefahr von der AfD und ihren Unterstützern für unsere freiheitlich-demokratische Gesellschaft und unser friedliches Zusammenleben ausgeht.

Zum Grundgesetz bekennen und es feiern

Ich möchte zum Abschluss einen Wunsch äußern, der unserem Land und unserer Gesellschaft vielleicht guttäte: In Deutschland ist man schon lange auf der Suche nach einem geschichtsträchtigen Feiertag, der den Zusammenhalt in unserem Land stärkt. Der 9. November ist hierfür nicht geeignet, auch der 3. Oktober hat es bisher nicht geschafft, unsere Gesellschaft emotional zu erreichen. Der Tag des Grundgesetzes, der 23. Mai, an dem 1949 das Grundgesetz erlassen wurde, wäre ein Tag, der dem gerecht werden könnte.

Viele Bundesländer feiern den Erlass ihrer Landesverfassungen bereits mit Stolz. In den USA machte Franklin D. Roosevelt den Constitutional Day sogar zum „I am an American day“, heute Citizenship Day. Ein bundesweiter Verfassungstag könnte für Deutschland auch auf dem Weg zu einem Einwanderungsland ein wichtiger Schritt sein.

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