Politik & Gesellschaft

Endlich faire Bezahlung für Frauen: Gehört die Gender Pay Gap bald der Vergangenheit an? 

Ist das ein Meilenstein für die Gender Pay Gap? Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass Frauen Anspruch auf die gleiche Bezahlung wie ihre männlichen Kollegen haben.
Gender pay gap
Alexey Kuzma

Gender Pay Gap: Was bedeutet das neue Gerichtsurteil für Equal Pay?

18 Prozent. So hoch soll der durchschnittliche Lohnunterschied zwischen Frauen und Männern in Deutschland sein. Eine immense Lohnlücke, die auch bei gleicher Qualifikation und gleichen beruflichen Anforderungen und Voraussetzungen bislang immer noch schätzungsweise sieben Prozent betrug und somit nicht einmal ansatzweise geschlossen werden konnte. 

Betonung "bislang". Denn vergangene Woche fällte das Bundesarbeitsgericht (BAG) ein Urteil, das vom Bundesfamilienministerium als "bemerkenswert und ein deutliches Zeichen für die Durchsetzung der Entgeltgleichheit für gleiche Arbeit" bezeichnet wurde. Denn tatsächlich haben laut Urteilsspruch (Az. 8 AZR 450/21) Frauen ein Recht auf die gleiche Bezahlung wie ihre männlichen Kollegen – auch, wenn diese ein höhere Gehalt verhandelt haben. Könnte die Lohnlücke (engl. "Gender Pay Gap") also tatsächlich der Vergangenheit angehören?

Aziza Yakhloufi, Rechtsanwältin und Fachanwältin für Arbeitsrecht, hat für VOGUE das Urteil des Bundesarbeitsgerichts eingeschätzt. 

Das steckt hinter dem Gerichtsurteil zur Gender Pay Gap

Doch wie kam es überhaupt zu dem Urteil? Angestrebt hatte den Gerichtsstreit um Equal Pay die Mitarbeiterin eines Metallunternehmens in Dresden. Wie die Tagesschau online berichtet, wurde die Frau Anfang 2017 eingestellt – fast zeitgleich mit einem männlichen Kollegen mit derselben Jobbeschreibung und derselben Position innerhalb des Unternehmens. Im Zeitverlauf fand die Frau nun heraus, dass besagter Kollege – auch nach Einführung eines Tarifvertrags – deutlich mehr Gehalt verdiente.

Der einzige Unterschied der beiden Mitarbeitenden, welcher somit für die Gehaltsdifferenz verantwortlich sein könnte? Das Geschlecht. Ein inakzeptabler Zustand, der nicht nur moralisch zu verurteilen ist, sondern auch EU-Recht widerspricht. So sieht der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union vor, dass "jeder Mitgliedstaat stellt die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit sicher." Als Mitglied der EU hat Deutschland folglich das sogenannte "Entgelttransparenzgesetz" erlassen, auf dem wiederum das "Entgeltgleichheitsgebot" basiert. Das besagt, dass bei gleichwertiger Arbeit einem:r Arbeitnehmer:in wegen des Geschlechts kein geringeres Entgelt gezahlt werden darf als einem:r Arbeitnehmer:in des anderen Geschlechts. 

Diese Rechtsgrundlage nahm die Frau zum Anlass und klagte gegen ihre:n Arbeitgeber:in. Der:die wiederum berief sich auf den Grundsatz der Vertragsfreiheit und gab an, der Mann habe lediglich besser verhandelt. So berichtet die Tagesschau, der:die Arbeitgeber:in habe den Unterschied mit dem besseren Verhandlungsgeschick des Mannes rechtfertigt: "Beiden sei zunächst das gleiche Gehaltsangebot gemacht worden, der Mann habe mehr gefordert, um den Arbeitsvertrag zu unterschreiben. Zudem sollte er eine Leitungskraft ersetzen."

Das Arbeitsgericht sowie das Landesarbeitsgericht in Sachsen wiesen die Klage der Frau ab. Sie gab jedoch nicht klein bei und legte Berufung ein. Der Rechtsstreit ging somit in die nächsthöhere Instanz: das Bundesarbeitsgericht.

Das gab der Frau nun recht und stellte im Urteilsspruch fest, dass "die Klägerin aufgrund ihres Geschlechts" von ihrem:r Arbeitgeber:in benachteiligt worden war, wie es seitens der Vorsitzenden Richterin Prof. Dr. Anja Schlewing hieß. Dabei ließ das Bundesarbeitsgericht die Rechtfertigung der Firma, der Mann habe schlichtweg besser verhandelt, nicht zu. Die Frau soll nun nachträglich 14.500 Euro entgangenen Lohn sowie eine Diskriminierungsentschädigung in Höhe von 2.000 Euro erhalten.

Das bedeutet das Gerichtsurteil für die Gender Pay Gap

Ein Urteil, das die Arbeitswelt in Deutschland künftig massiv verändern könnte, wie auch der Frauenring sowie der Deutsche Gewerkschaftsbund erklärten. Denn folglich gilt: Verdienen ein Mann und eine Frau in gleicher Position unterschiedlich viel, liegt der Verdacht nahe, dass eine verbotene und rechtswidrige Diskriminierung aufgrund des Geschlechts vorliegt.

"Letztendlich ist die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts auch ein starkes Zeichen an Frauen", so Aziza Yakhloufi und erklärt weiter: "Wir beobachten in der Praxis häufig, dass gerade Frauen eher auf Konsens bedacht sind und in Verhandlungen mit niedrigeren Forderungen auftreten und deshalb schlechtere Verhandlungsergebnisse erzielen. Es ist wichtig zu erkennen, dass es sich hierbei um sozialtypische, aber nicht geschlechtsspezifische Verhaltensweisen handelt."

Automatisch das gleiche Gehalt steht den unterschiedlichen Arbeitnehmer:innen eines Unternehmens jedoch auch nach dem Urteilsspruch des BAG nicht zu. Individuelle Gehaltsunterschiede sind nach wie vor möglich. Diese müssen jedoch objektiv begründet werden – wobei das Verhandlungsgeschick nicht zählt. Vielmehr können als nachvollziehbare Gründe eine bessere Qualifikation sowie eine längere Betriebszugehörigkeit herangezogen werden. 

Aziza Yakhloufi, die die Frankfurter Niederlassung von Rödl & Partner leitet, sagt dazu: "Die Entscheidung wird jedoch nicht individuelle Gehaltsverhandlungen ersetzen. Für Arbeitgeber:innen wird es aber schwieriger zu begründen, warum vom Entgeltgleichheitsgebot abgewichen werden soll. Insoweit ist die Auslegung des Urteils zu befürworten, wonach allein Verhandlungsgeschick keine geschlechtsbezogene Ungleichbehandlung rechtfertigt."

Das bedeutet: Um ein allgemeingültiges Grundsatzurteil handelt es sich bei der Entscheidung des BAG nicht, vielmehr wird es künftig auf den jeweiligen Einzelfall ankommen. Jedoch: Der Präzedenzfall könnte dazu führen, dass in den kommenden Wochen und Monaten zahlreiche Arbeitsverträge aufgrund der Gehälter auf den Prüfstand kommen. Das führt schon jetzt zu heftiger Kritik an dem Urteilsspruch.

So zitiert die Tagesschau Reinhold von Eben-Worlée, den Präsidenten des Verbands der Familienunternehmer mit den Worten: "Die Entscheidung ist ein scharfer Eingriff in die Verhandlungsfreiheit […] und offenbart die Absurdität des Entgelttransparenzgesetzes." Den Arbeitgeber:innen würde damit das Recht genommen, Verträge frei zu gestalten. Zudem stünden sie fortan unter Generalverdacht. Die Vertragsfreiheit sei für den Verband ein wichtiges Gut, da es auf den "Grundwerten unseres Wirtschaftssystems wie Wettbewerb, Leistungsfähigkeit und Eigenverantwortung" basiere.

Wie wird sich das Urteil auf den Arbeitsmarkt auswirken?

Eine massive Klagewelle ist dennoch mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten. Denn: Um nachweisen zu können, dass Frauen weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen müssen sie deren Gehalt erst einmal offiziell kennen. Zwar besteht gemäß Entgelttransparenzgesetz ein Auskunftsanspruch – dieser gilt jedoch erst ab einer Betriebsgröße von 200 Mitarbeitenden. In Unternehmen mit weniger Beschäftigten können Frauen also gar nicht erst herausfinden, ob sie beim Gehalt benachteiligt werden.

Aziza Yakhloufi zieht diesen Ausblick auf die Zukunft: "Unternehmen werden die Entscheidung wohl dadurch umsetzen, dass Personalverantwortliche und HR im Hinblick auf die Entgeltgleichheit zwischen Männern und Frauen besonders sensibilisiert werden. Sollten Frauen in die Gehaltsverhandlung mit zu niedrigen Summen einsteigen, dürfte es in der Praxis nun vermehrt Hinweise auf ein angemessenes Gehalt geben. Dies kann im Einzelfall bereits jetzt beobachtet werden. Es ist wahrscheinlich, dass Unternehmen außerdem zu einer verstärkten Leistungsdokumentation übergehen werden, um im Falle eines Streits Kriterien vorlegen zu können, warum ein Gehaltsunterschied existiert. Häufig findet eine solche Dokumentation z.B. im Rahmen von Personal- und Gehaltsgesprächen statt."

Auf dem Weg zu Equal Pay liegen also noch einige Steine vor uns.

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