Sport und Gesellschaft

Ist Frauenfußball schlechter als Männerfußball? Darum geht dieses Video gerade viral

Fußball – selbes Spiel, andere Wahrnehmung. Warum wir diese Sportart mehr durch eine Geschlechter-Brille zu sehen scheinen, als jede andere.
News zu FrauenWM Werbung der Französinnen
DeFodi Images/Getty Images

Warum Fußball unterschiedlich wahrgenommen wird – je nachdem, ob Frauen oder Männer am Ball sind.

Das Jahr 2022 hat den Frauenfußball auf ein neues Level gehoben. 18 Millionen Menschen haben hier in Deutschland das Finale der Europameisterschaft (in dem England gegen Deutschland gewann) vor dem Fernseher verfolgt. Schon in den Wochen zuvor haben sich die Spielerinnen mit ihrer authentischen Art auf Social Media in die Herzen der Fans gespielt.

Der Erwartungshaltung für die Fußball-WM der Frauen 2023 in Australien und Neuseeland ist dementsprechend hoch. ARD und ZDF übertragen die Spiele nun doch, die Preisgelder für das Turnier wurden angehoben und die deutsche Nationalmannschaft steht im Fokus der Medien wie nie zuvor.

Doch was sich seitdem nur wenig geändert hat: Das Fußballspiel der Frauen wird immer noch als "schlechter", "weniger athletisch" und "langweiliger" als das Spiel der Männer wahrgenommen. Dabei zeigt eine aktuelle Studie der Universität Zürich, dass das gar nicht der Realität entspricht, sondern vor allem mit unserer Erwartungshaltung zusammenhängt (mehr dazu lesen Sie weiter unten). Genau diesem Vorurteil hat sich der französische Telekommunikationsanbieter "Orange" angenommen und es in einem genialen Video visualisiert, das aktuell auf allen sozialen Kanälen viral geht.

Werbung zur Weltmeisterschaft der Frauen von "Orange" zeigt unsere Voreingenommenheit

Der Spot beginnt wie eine typische Sportwerbung, in der Clips mit packender Action auf dem Spielfeld zusammengeschnitten werden, untermalt von dramatischer Musik und den aufregenden Erzählungen der TV-Kommentator:innen. Im Fokus die französische Nationalmannschaft, genannt "Les Bleus", die mit der geschickten Beinarbeit des Weltmeisters Antoine Griezmann und der Torgefährlichkeit seines weltberühmten Teamkollegen Kylian Mbappé aufwarten kann.

Der (scheinbar) dramatische Höhepunkt des Spots: "Nur ‘Les Bleus’ schaffen es, diese Emotionen in uns auszulösen" steht in Englisch auf dem Bildschirm. Dann stoppt der Clip und es wird klar: Es handelt sich um Deepfakes, der Inhalt ist also nicht echt, sondern wurde mit Hilfe von künstlicher Intelligenz verändert. Statt Männern sind es nämlich die Frauen, denen die eben gesehenen Glanzleistungen gelungen sind, virtuell wurden nur die Köpfe der Spieler:innen ummontiert – es sind also "Les Bleues" und nicht "Les Bleus", die die Emotionen ausgelöst haben, denn im Französischen wird durch das extra "e" aus dem Männer- das Frauenteam.

Warum dieser Werbespot mehr als geniale Technik ist

Passend zu diesem Werbespot erschien vor Kurzem eine Forschungsarbeit der Universität Zürich, die sich Vorurteilen gegenüber Frauenfußball widmete. In der Studie, die im Fachjournal "Sport Management Review" veröffentlicht wurde, ging ein internationales Forschungsteam der Frage nach, ob das Geschlecht eine Rolle spielt, wie der Fußball wahrgenommen wird. Also: Empfinden Zuschauer:innen ein Fußballspiel als besser oder schlechter, je nachdem, ob Männer oder Frauen auf dem Fußballfeld stehen – ganz unabhängig von der tatsächlichen Spielqualität.

Studie der Universität Zürich zur spielerischen Qualität auf dem Fußballplatz

Für die Forschungsarbeit wurden 613 Proband:innen Torszenen aus WM- oder Champions-League-Spielen gezeigt, die als Saison-Highlights angepriesen wurden. Unter anderem kamen darin die US-amerikanische Topstürmerin Alex Morgan (derzeit beim Verein San Diego Wave FC) und der kroatische Teamkapitän Luka Modrić (Real Madrid) vor. Die Leistung der Beteiligten musste anschließend auf einer Skala von 1 bis 5 bewertet werden.

Eine Gruppe sah Originalvideos, in denen es klar war, ob man ein Frauen- oder Männermatch verfolgt. Für die andere Gruppe wurden die Personen in den Videos durch Unschärfefilter unkenntlich gemacht. Das Ergebnis: Die Männerfußball-Sequenzen wurden signifikant besser bewertet als die Frauenfußball-Videos. Aber: Dies galt nur, wenn die Videos nicht verpixelt waren. "Geschlechtszensiert" verschwand der Unterschied, Fußballerinnen und Fußballer wurden dann qualitativ ähnlich eingeschätzt. Kurzum: Sobald man nur den Fußball sieht, und nicht, ob Mann oder Frau spielt, wird die sportliche Qualität als ähnlich gut eingeschätzt.

Auch Rekorde werden bei den Frauen ignoriert

Dass bei Fußball mit zweierlei Maß gemessen wird, zeigt sich auch an der Art und Weise, wie über Erfolge und außergewöhnliche Leistungen berichtet wird. Eine Einheit, die sich besonders gut vergleichen lässt, sind hier gespielte Minuten bei der WM. Die FIFA teilte bei der WM in Katar mit, der Argentinier Lionel Messi habe die meisten Minuten in der Geschichte der Weltmeisterschaften gespielt (2.314 Minuten), die Leistung wurde aber eigentlich von der US-Amerikanerin Kristine Lilly übertroffen (2.536 Minuten).

Was fehlt dem Frauenfußball wirklich?

Bleibt also die Frage, warum der Frauenfußball immer noch als "weniger trickreich", "unathletischer" oder in welcher Art auch immer als "weniger wertvoll" als von Männern gespielter Fußball wahrgenommen wird. Autorin Katrin Weber-Klüver findet in ihrem Artikel bei der Zeit "Er ist kein Männerfußball" hier eine schöne Antwort: Männerfußball ist viel mehr als ein Sport. Er ist aufgeladene Historie, Mythos, Heldengeschichte. Ein Zufluchtsort für Kindheitserinnerungen. Das ist der Frauenfußball nicht. Noch nicht.

Mehr Themen auf VOGUE.de