Anzeige

EM 2024 Träge und schwerfällig: Englands Erfolg ist kaum zu begreifen

Am Ende zählt nur der Sieg: Englands Spieler stürmen nach dem gewonnenen Elfmeterschießen gegen die Schweiz los
Am Ende zählt nur der Sieg: Englands Spieler sind nach dem Erfolg im Elfmeterschießen gegen die Schweiz nicht zu halten
© David Inderlied / DPA
England steht nach dem gewonnenen Elfmeterschießen gegen die Schweiz im Halbfinale. Wie konnte das passieren? Das Team spielt ideenlos. Leider passt das zur sportlichen Qualität des Turniers.

Es gehört zu den Mysterien des Fußballs, dass schwache Leistungen und sportliche Einfallslosigkeit manchmal zum Erfolg führen. Das hat gewiss viel mit der inneren Logik eines großen Turniers zu tun, wie es eine Europameisterschaft ist. Taktische Zwänge, reiner Ergebnisfußball, ein einzelner Geniestreich oder schlicht der Zufall, sich auf der leichten Seite des Turnierbaums wiederzufinden, können über Sieg und Niederlage entscheiden.

Die englische Mannschaft demonstriert gerade genau diese Fähigkeiten. 

Nach dem gewonnenen Elfmeterschießen im Viertelfinale gegen die Schweiz steht die Mannschaft von Trainer Gareth Southgate im Halbfinale der EM und man fragt sich: Welchen Fußball-Gott beten die Three Lions an, dass sie auf so unverschämte Art so weit gekommen sind?

Der Gegentreffer der Schweiz war für England ein Wachmacher – für kurze Zeit

Im Spiel gegen die Schweiz in der Düsseldorfer Arena gelang der erste Schuss auf das Tor in der 51. Minute! Es waren aber die Eidgenossen in Gestalt des Angreifers Breel Embolo, die ihn abgaben. Jener Embolo, den die Deutschen noch aus seiner Zeit bei Schalke 04 und Borussia Mönchengladbach kennen, war es auch, der den Ball 23 Minuten später zur verdienten Führung der Schweizer über die Linie drückte. Für die Engländer war der Gegentreffer ein Wachmacher. Plötzlich legten sie zu und Bukayo Saka gelang durch einen verdeckten Distanzschuss fünf Minuten später der Ausgleich.

Die Engländer Ivan Toney, Declan Rice und Jude Bellingham (v.l.n.r.) feiern nach dem Sieg ihres Teams gegen die Schweiz im Elfmeterschießen

Elfmeterdrama: England besiegt Schweiz im Viertelfinale – alle Highlights im Video

06:06 min

Es kam tatsächlich so etwas wie ein Fußballspiel zustande, es ging in die Verlängerung, in der die Schweizer die aktivere Mannschaft waren. Die Entscheidung fiel im Elfmeterschießen, das die Engländer mit 5:3 gewannen. Der Schweizer Manuel Akanji war die tragische Figur des Abends. Sein Strafstoß wurde von Keeper Jordan Pickford pariert. 

Das ist die Geschichte des Spiels in der Kurzfassung. Man könnte die Phrase bemühen, dass die Partie von seiner Spannung lebte, um es sich schön zu reden. Aber ein Fest war es lediglich für die englischen Anhänger. Sie feierten ihr Team mit lauten Gesängen noch lange nach dem Schlusspfiff. Wahrscheinlich können sie es nach den Leistungen ihrer Mannschaft bei dieser EM ebenfalls kaum begreifen, wie das möglich war.

Englands unansehnliche Auftritte

Denn die erfolgreiche Partie gegen die Eidgenossen stellte so gut wie keine Verbesserung zu den bisher gezeigten Leistungen dar. Durch eine starke erste Halbzeit im ersten Spiel gegen Serbien und einen aufdrehenden Jude Bellingham war der einzige Sieg in der Vorrunde gelungen. Dennoch war der erfolgreiche Auftakt kein Startsignal für attraktiveren Fußball. Im Gegenteil: Die Three Lions, einer der größten Favoriten auf den EM-Sieg, wurschtelten sich einfach weiter durch. 

Es folgten unansehnliche Auftritte gegen Dänemark und Slowenien, in denen die hochklassig besetzte Mannschaft sich jeweils zu einem Remis (1:1, 0:0) quälte. Die Kritik auf der Insel war vernichtend, die Fans im Stadion buhten die Spieler aus und warfen nach dem tor- und trostlosen Duell gegen Slowenien Bierbecher nach dem Trainer. Schön daran war aus englischer Sicht nur der Einzug in die nächste Runde.

Die Weltklasse-Offensive um Bellingham, Kane, Saka und Foden ist hauptsächlich durch Ideenlosigkeit und einen schimpfenden Bellingham aufgefallen, wenn er mal wieder keinen Ball bekommen hat. Ein funktionierendes Mittelfeld mit Vertikalpässen in die Spitze oder ein effektives Pressing – Fehlanzeige. Schnelle Kombinationen sind eine Rarität. Nur die Defensive ist stabil. Die Umstellung des Systems von Vierer- auf eine Dreierkette und einer andere Staffelung in der Offensivreihe durch Southgate brachten gegen die Schweiz kaum Besserung.

Frankreich steht auch für unattraktiven Minimalismus

Lediglich die zwischendurch aufflackernde Genialität Bellinghams oder Sakas bewahrte die Three Lions bisher vor dem Aus: Bellinghams sensationelles Fallrückzieher-Tor im Achtelfinale gegen die Slowakei rettete die Mannschaft in die Verlängerung (in der Kane den Siegtreffer köpfte). Gegen die Schweiz war es Sakas Disanzschuss. Und die neugewonnene Nervenstärke im Elfmeterschießen, muss man fairerweise hinzufügen.

Im Halbfinale trifft England jetzt auf die Niederlande, eine lösbare Aufgabe und ein Duell zweier großer Fußball-Nationen. 

England steht jedoch nicht allein da, wenn es um unattraktiven Minimalismus geht. Mit Frankreich, das im zweiten Halbfinale gegen Spanien spielt, hat es ein weiteres Team mit dieser Art des Fußballs in die Runde der letzten Vier geschafft. Die Kunst der Franzosen besteht darin, dass sie in fünf Spielen kein Tor aus dem Spiel heraus erzielt haben. Zwei Eigentore, ein verwandelter Strafstoß durch Kylian Mbappé und ein gewonnenes Elfmeterschießen reichten. Letzteres fand im Hamburger Volkspark gegen Portugal statt. Zum Leidwesen der zahlreichen neutralen Zuschauer war dieses Viertelfinale ebenfalls ein sportlicher Tiefpunkt des Turniers.

Der träge Fußball à la England und Frankreich ist leider zu einem Markenzeichen der EM geworden. Zum Glück sind da die Spanier, die beweisen, dass man mit einer attraktiven Spielweise weit kommt. Oder die Türken oder die Georgier, die ihr Herz in die Hand nahmen. Schade aus deutscher Sicht ist, dass es für die DFB-Elf nicht gereicht hat. Nimmt man den schönen und aufregenden Fußball zum Maßstab, hätte sie mehr verdient gehabt.

Mehr zum Thema

Newsticker

VG-Wort Pixel