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Verteidigungsbündnis wird 75 Wie die Politik die Marke Nato demontiert

Flaggen der Mitgliedsstaaten vor dem Hauptquartier der Nato in Brüssel (Archivbild)
Wie steht es um die Marke Nato? Ein PR-Experte erklärt es.
© Emmi Korhonen / Lehtikuva / DPA
Die Nato wird 75. Der Ukraine-Krieg ist zum Ernstfall für das Verteidigungsbündnis geworden. Die Politik aber schadet der Nato mit bizarrer Kommunikation. Ein Zwischenruf aus Sicht der Markenforschung.

Das Markenkonzept hat eine steile Karriere hingelegt. Es hat sich von der Produktkommunikation schnell auf andere Bereiche wie Dienstleistungen oder Nationen („Nation Brands“) ausgedehnt. Auch in der Politik wird das Markenkonzept angewandt. Marken kondensieren Leistungsversprechen in einem Markenzeichen, das für bestimmte Werte steht. Im besten Fall präsentiert das markenführende Unternehmen sein Produkt und überzeugt durch Leistung.

Vor diesem Hintergrund ist die Kommunikation der Politik zur Nato ein bizarres Schauspiel – vor allem aus bundesdeutscher Sicht.

Prof. Dr. Lies

Zur Person

Jan Lies, Jahrgang 1970, ist Experte für PR- und Kommunikationsmanagement. Seit 2013 lehrt er als Professor für Betriebswirtschaftslehre insbesondere Unternehmenskommunikation und Marketing an der FOM Hochschule in Dortmund.

Worin das Markenversprechen der Nato besteht

Die Nato ist ein Verteidigungsbündnis von 32 Ländern. Das Leistungsversprechen der Marke Nato besteht in der Verteidigung ihrer Mitglieder im Angriffsfall. Dies reduziert sich nicht nur auf die Militärleistung. Die Nato ist zugleich auch ein Ausweis der Risikosenkung für ihre Mitgliedsstaaten: Wird ein Nato-Land angegriffen, stehen alle gemeinsam zur Verteidigung bereit. So gelangt die Marke Nato zur Stärke einer Familienmarke, die von den Einzelmarken der Streitkräfte ihrer Mitgliedsländer abgebildet wird. Wenn ein Verteidigungsfall eintritt und damit ein Kunde anklopft, ist die Nachfrage da. 

Wie die Ukraine zum Testmarkt der Marke Nato wurde

Die Marke Nato ist mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine und der wiederholten Drohung mit Atomschlägen akut gefordert. Ein Kunde droht im wahrsten Sinne des Wortes mit Auftrag. Die Ukraine ist damit ein ungewollter Testmarkt für die Nato. In der Demokratie können, sollen und müssen der Umgang mit solchen kriegerischen Aggressionen öffentlich diskutiert werden. Die politische Frage, ob und inwieweit die Nato eingreift, wurde vor rund zwei Jahren schnell und klar beantwortet. Sie hilft der Ukraine. Die Marke Nato hat nun jederzeit Einsatzbereitschaft zu liefern. Aus Kundensicht sind die (Miss-)Erfolge der Ukraine entscheidend dafür, ob er seine Nachfrage ausdehnt.

Wie die Politik die Marke Nato demoliert und demontiert

Vor diesem Hintergrund ist umso bizarrer, wenn die Berliner Politik die Leistungsfacetten und Produktionsweisen der Nato öffentlich nicht nur stetig diskutiert, sondern kleinteilig öffentlich darüber streitet. Die Marke Nato kann weder national noch international überzeugen, wenn im Wochentakt die Auslieferung des Produkts vom eigenen Management kritisch beäugt wird. 

Solche Diskussionen sind mehrfach schädlich: Sie geben Einblicke in die (schwache) Leistungsfähigkeit und Organisation der Verteidigungsfähigkeit, decken Führungsstreitigkeiten innerhalb und zwischen Nato-Partnern auf und demotivieren die Truppe mit ihren Offizieren. Wer eine starke Marke positioniert, kommt nicht auf den Gedanken, Produktionsgeheimnisse öffentlich zu machen. Es ist darum keine öffentliche Frage, wie die Nato ihre Schlagkraft oder gar Einsätze organisiert. 

Weder Abstimmungen über Organisationsfragen von Einsätzen noch gar Ausrüstungsfragen gehören in die öffentliche Diskussion. Auch die Diskussion über die Frage, welche Nation welche Ausrüstung zur Leistung der Nato beisteuert, hat in der Öffentlichkeit nichts verloren. Wenn eine nationale Regierung Bedenken hat, im Krisenherd Präsenz zu zeigen oder bestimmte Waffen zu liefern, gehört das nicht in die Kundenkommunikation. 

Dies entspricht aus Markensicht nicht nur einer Veröffentlichung von Produktionsgeheimnissen, sondern einer aktiven Demontage der Marke Nato. Wenn bei geheimen Sondersitzungen des Verteidigungsausschusses des Bundestags mehr als 100 Teilnehmer dabei sind, um sich danach über Leaks zu wundern, dann ist das ein Beispiel gelebter Unverantwortlichkeit. So gewährt das Markenmanagement hierzulande tiefe Einblicke in das Chaos eines geradezu unwilligen Kunden- und Liefermanagements.

Worin die Rolle von Politik, Bürgern und Medien in der Nato besteht

Ob Produktmarke oder politische Marke: Sie präsentieren sich in ihrer Gesamtheit. Bürger und Politiker sind nicht die Kunden der Marke Nato. Sie sind vielmehr die Mitarbeiter und verantwortliche Manager ihrer Verteidigungsmarke. Politik, Bürger und auch Medien müssen eine neue Rolle lernen. 

Wenn Medien, Bürger und Politik staatliche Institutionen in der Demokratie sonst im Zuge der sozialen Kontrolle kritisch kommentieren, müssen sie jetzt selber liefern. Sie haben gemeinsam mit dem Produktmanagement, also dem Militär, dafür zu sorgen, dass die Nato das Image „Verteidigungsbereitschaft“ jederzeit überzeugend darstellt. „One Voice to the Customer“, also mit einer Stimme sprechen, gehört zu den wichtigen Grundregeln der Markenkommunikation. Tatsächlich erinnern sich bundesdeutsche Verantwortungsträger offenbar nur zeitweise daran, dass stets in Abstimmung mit den Nato-Partnern gehandelt und auch gesprochen wird.

Zur Demokratie gehört nicht nur das Recht auf Meinungsäußerung, sondern auch die Pflicht, erteilte Mandate handlungsfähig zu machen. Dafür verleiht Demokratie Macht und damit Ämter auf Zeit. Mandatsträger müssen in der Lage sein, ihren Auftrag auszuüben. Sie dürfen dabei nicht jederzeit hinter der Front mit Meinungskriegen des eigenen Managements bombardiert werden, wenn sie glaubwürdig und motiviert arbeiten sollen. Wenn Diskussionsbedarf besteht, ist dieser hinter verschlossenen und abhörsicheren Türen zu bedienen. Nur so kann ein Verteidigungsbündnis als ernstzunehmende Institution wahrgenommen werden.

Fazit: Wie die Politik von der Markenführung lernen kann

Die Idee der Marke Nato ist aktuell wichtig wie lange nicht. Blickt man auf zwei Jahre Nato-Testmarkt Ukraine, ergibt sich keine sichtbare Lernkurve: von der Debatte über Bereitstellung von Helmen zu Beginn des Überfalls bis zur Taurus-Marschflugkörper-Debatte heute. Kein Markenunternehmen würde auf den Gedanken kommen, die Leistungsfähigkeit seiner Marken öffentlich zu diskutieren oder gar im Detail in Produktionsverfahren blicken zu lassen. Das verantwortliche Management ist sich seiner Rolle aber noch immer nicht bewusst. Der Spirit der Demokratie muss vom Streit- auf den Umsetzungsmodus umschalten: in der Verteidigung genauso wie in vielen anderen Bereichen der Politik.

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