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Steigender Meeresspiegel "Ein Meter reicht, um ein Erdbeben zu triggern"

Die Insel Mosambik liegt in einer seismisch leicht aktiven Zone. Erdbeben treten dort häufiger auf als anderswo
Von Beben und Fluten zerstört: Die Insel Mosambik liegt in einer seismisch leicht aktiven Zone. Erdbeben treten dort häufiger auf als anderswo
© Thomas Trutschel / Imago Images
Was haben Fans von Taylor Swift und tektonische Platten gemeinsam? Beide können Erdbeben auslösen. Künftig wird der Boden wohl häufiger wackeln, zeigt eine aktuelle Untersuchung. Das hat einen bestimmten Grund, erklärt Studienautor Marco Bohnhoff.

Herr Bohnhoff, dass der Klimawandel Erdbeben auslöst, klingt sehr weit hergeholt. Wie kommt man auf diese Idee?
Von früheren Untersuchungen bei Wasserspiegelschwankungen an Stauseen oder auch aus der Erdöl- und Erdgasförderung, wo Wasser in den Untergrund gepresst wird, wissen wir, dass kleine Veränderungen beim Druck Erdbeben auslösen können. Ob der weltweit ansteigende Meeresspiegel einen Einfluss auf das Auftreten von Erdbeben haben könnte, ist bisher noch nicht diskutiert worden.

Marco Bohnhoff

Zur Person

Marco Bohnhoff ist am Deutschen Geoforschungszentrum des Helmholtz-Instituts Potsdam tätig. Dort beschäftigt er sich mit der Frage, ob auch Menschen durch Eingriffe im Boden Erdbeben auslösen können. Seine jüngste Studie zu dem Thema erschien Ende Mai. Mit dem stern hat er über die Ergebnisse gesprochen.

Sie haben das mit einer aktuellen Studie untersucht.
Wir haben ein Modell entwickelt, das die Prognosen des Weltklimarats zum Anstieg des Meeresspiegels einbezieht. Unsere Szenarien zeigen, dass bereits geringe Schwankungen des Meeresspiegels den Druck auf den Boden so verändern, dass Erdbeben wahrscheinlicher werden.

Wie hoch müsste das Wasser steigen?
Ein Meter reicht aus, um Erdbeben zu triggern, mancherorts auch weniger.

Welches Erdbeben wurde zuletzt vom Klimawandel ausgelöst?
Das lässt sich noch nicht eindeutig messen. Historisch gesehen haben Klimaveränderungen aber immer wieder Erschütterungen ausgelöst, etwa in Skandinavien. Dort fanden in den vergangenen 10.000 Jahren nach der letzten Eiszeit Erdbeben statt, obwohl es dort keine aktive Plattengrenze wie etwa rund um den Pazifik gibt. Wir wissen aber, dass sich Skandinavien durch das Abschmelzen der Eispanzer bis heute hebt. Die Spannung im Boden lässt sich berechnen und so ließen sich die Erdbeben in der Region auf die Entlastung durch das geschmolzene Eis zurückführen. Unser Modell zeigt jetzt, dass die Wahrscheinlichkeit für Erdbeben durch den menschengemachten Klimawandel steigt.

In Nordeuropa dürften Erdbeben seltener auftreten, aber man kann sie nirgendwo ausschließen

Welche Regionen der Erde sind betroffen?
Wenn der Meeresspiegel ansteigt, wächst das Risiko zunächst überall dort, wo es Wasser gibt. Das gilt für ungefähr 70 Prozent der Erdoberfläche. Speziell gefährdet sind damit die Küstenregionen, wo 40 Prozent der Weltbevölkerung leben. Kritisch wird es vor allem in seismischen Risikogebieten wie beispielsweise San Francisco, Los Angeles oder Istanbul. Dort könnten bereits minimale Änderungen beim Meeresspiegel starke Erschütterungen auslösen.

Sensibles Gefüge: Ein Überblick über die tektonischen Platten auf der Erde
Sensibles Gefüge: Ein Überblick über die tektonischen Platten auf der Erde
© Depositphotos / Imago Images

Sie fallen dort stärker aus als anderswo?
In bestimmten Regionen schon, etwa entlang des pazifischen Feuergürtels, an der Westküste Lateinamerikas, vor Japan oder auch im Mittelmeer. In diesen Subduktionszonen treffen die Kontinentalplatten aufeinander und schieben sich übereinander. Erhöht sich dort der Druck durch den steigenden Meeresspiegel, verkleben sich die Platten zunächst. Erdbeben werden dort etwas verzögert, fallen dann aber umso stärker aus, weil der Ladeprozess unvermindert weitergeht.

Gefäährliche Zone: Am Ring of Fire rund um den Parifik treffen mehrere tektonische Platten aufeinander
Gefäährliche Zone: Am Ring of Fire rund um den Parifik treffen mehrere tektonische Platten aufeinander
© Depositphotos / Imago Images

Wie lauten Ihre Prognosen für Europa?
Vereinfacht gesagt, ist vor allem der Süden des Kontinents betroffen – Griechenland, Italien und die Türkei. In Nordeuropa dürften Erdbeben seltener auftreten, aber die Beispiele Skandinavien oder Indien zeigen, dass man sie nirgendwo ausschließen kann. Es wird dann auch Regionen treffen, von denen wir es jetzt noch nicht erwarten. 2001 gab es beispielsweise im Bundesstaat Gujarat in Indien ein Beben der Stärke acht. Damals wusste man noch nicht, dass im Nordwesten des Landes an der Grenze zu Pakistan eine seismische Gefährdung besteht, weil Erdbeben dort nur alle 700 bis 800 Jahre auftreten.

Laut United States Geological Survey finden schon jetzt pro Jahr weltweit über hunderttausend Erdbeben statt, mehr als 100 davon haben eine Stärke von sechs oder mehr. Wie stark wird die Zahl zunehmen?
Das haben wir noch nicht berechnet. Wir wollen auf dem Gebiet aber weiter forschen.

Sind genaue Erdbeben-Prognosen überhaupt möglich? 
Wir müssen erst noch den Zusammenhang zwischen steigendem Meeresspiegel und Erdbeben genauer abbilden. Theoretisch müssten wir dafür mindestens 100 Jahre lang Messungen durchführen, weil das eigentliche Objekt – die gesamte Erde und langfristige Klimaveränderungen – nicht innerhalb von ein paar Jahren erfasst werden können. So viel Zeit haben wir aber nicht, deshalb suchen wir gezielt Regionen aus, in denen sich die Auswirkungen des steigenden Meeresspiegels auf den Druck im Boden messen lassen. Parallel führen wir Messungen in geologischen Reservoiren und an Stauseen durch und testen Simulationen. So können wir Modelle erstellen, die sich auf verschiedene Regionen übertragen lassen, denn die physikalischen Auswirkungen des ansteigenden Meeresspiegels sind überall gleich.

Nicht die Erdbeben sind das Problem, sondern die anfällige Infrastruktur

Lassen sich solche Naturkatastrophen noch verhindern?
Das ist unwahrscheinlich. Selbst wenn wir unsere CO2-Emissionen noch heute stoppen würden, würde der Meeresspiegel erst einmal noch weiter ansteigen. Erst wenn dieser Prozess endet, werden auch die Erdbeben wieder seltener. Aber das kann noch Jahrhunderte, wenn nicht sogar Jahrtausende, dauern.

Was bedeutet das für die Menschen in den Risikogebieten? Werden sie ihre Heimat verlassen müssen?
"Earthquakes don't kill people, but buildings do", heißt es unter uns Wissenschaftlern. Nicht die Erdbeben sind das Problem, sondern die anfällige Infrastruktur. Bei der Erdbebenkatastrophe im Südosten der Türkei im Februar 2023 gab es nur deshalb so viele Opfer, weil die Gebäude instabil waren. Der beste Schutz ist, erdbebensicher zu bauen.

Gibt es erdbebensichere Städte überhaupt?
Musterbeispiel dafür ist der Ballungsraum Tokio-Yokohama, eine der größten Megacities. Dort hat die Regierung über Jahrzehnte massiv investiert, die Bauvorschriften sind dort sehr streng und werden auch eingehalten. Das Erdbeben von 2011 war eines der vier stärksten jemals gemessenen Erdbeben weltweit, hat aber durch seismische Wellen vergleichsweise wenige Gebäude zerstört oder Menschenleben gefordert. Die größten Schäden wurden damals durch den Tsunami verursacht. In der taiwanesischen Hauptstadt Taipeh, die ebenfalls erdbebengefährdet ist, gibt es ein 400 Meter hohes Gebäude mit einem Gegengewicht, das Schwankungen ausgleichen soll. Das Gebäude hat jetzt noch kein großes Beben erlebt, aber es sollte auch starke Erschütterungen überstehen.

Haben Sie Tipps für Städte wie Rom, Athen oder Istanbul in Südeuropa, wenn der Boden dort künftig häufiger wackelt?
Wir müssen unsere Bauvorschriften anpassen und vor allem auch einhalten. Daran führt kein Weg vorbei. Technisch ist das möglich, aber in Teilen auch teuer.

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