Anzeige

Zweiter Weltkrieg Dönitz – die absurde Regierung des letzten Führers

Karl Dönitz (Mitte), General Alfred Jodl und Rüstungsminister Albert Speer nach ihrer Verhaftung.
Karl Dönitz (Mitte), General Alfred Jodl und Rüstungsminister Albert Speer nach ihrer Verhaftung.
© akg-images / Picture Alliance
Nach dem Tod von Hitler bildete Großadmiral Dönitz eine letzte Reichsregierung. Die gespenstische Veranstaltung herrschte noch nach der Kapitulation über einen Mini-Bezirk. Denn eine Zeit lang hatte Churchill große Pläne mit dem letzten Führer.

Am 30. April 1945 nahm sich Adolf Hitler das Leben. Zuvor änderte er seine Nachfolgeregelung. Herman Göring, Chef der Luftwaffe und Mitstreiter Hitlers seit den Anfängen der Partei, wurde auf dem Berghof verhaftet und aller Ämter entkleidet. Dem Führer war in seinem unterirdischen Versteck zugetragen worden, dass Göring an ihm vorbei einen Separatfrieden mit den West-Alliierten abschließen wollte.

Der zweitmächtigste Mann im Reich, Heinrich Himmler, schied aus ähnlichen Gründen aus dem Rennen. Himmler, hauptverantwortlich für den Holocaust und zahlreiche weitere Kriegsverbrechen, lebte gegen Kriegsende in der absurden Illusion, USA und Großbritannien würde ausgerechnet mit ihm über Nachkriegsdeutschland herrschen wollen.

Herrschaftsbereich im Norden

Also bestimmte Hitler in seinem politischen Testament, dass er kurz vor seinem Selbstmord verfasste, Karl Dönitz zum Nachfolger. Seit 1943 war der Großadmiral Oberbefehlshaber der Flotte. Für Dönitz sprach aus Hitlers Sicht dessen unverbrüchliche Treue. In den letzten Kriegsjahren war Dönitz mit seinem fanatischen Willen aufgefallen, den längst verlorenen U-Boot-Krieg mit allen Mitteln fortzuführen. Doch vor allem sprach für Dönitz, dass er sich im größten noch vom Reich beherrschten Gebietsteil aufhielt, denn Schleswig-Holstein, Dänemark und Norwegen waren noch nicht von den Alliierten befreit.

Rechtlich waren die testamentarischen Verfügungen Hitlers mehr als zweifelhaft, doch nach dem Rücktritt des Zwischenkabinetts Goebbels kam die Regierung Dönitz am 2. Mai 1945 ins Amt. Und das blieb sie auch nach der bedingungslosen Kapitulation am 8. Mai. Erst am 23. Mai lösten die Alliierten die gespenstische Veranstaltung auf und verhaften die Mitglieder der Reichsregierung.

Bizarre Vorhaben der Pseudo-Regierung

Über die Arbeit der letzten Reichsregierung in ihrer Zuflucht in der Marineschule Mürwik bei Flensburg sind zahlreiche Anekdoten überliefert, die am Realitätssinn der Beteiligten zweifeln lassen. Dort grübelte man über den Wiederaufbau des Landes, die Notwendigkeit einer neuen Geheimpolizei als Nachfolger des gefürchteten SDs und war ratlos, was man nun mit dem Hitlergruß anstellen solle, wo Hitler doch schon tot war. Tagte das Kabinett unter Hitler praktisch nie, wurden nun regelmäßige Sitzungen abgehalten. Dabei beschäftigte sich die Regierung mit Fragen, als herrschte Frieden, unter völliger Verkennung der Tatsache, dass ihr Herrschaftsbereich weiter schrumpfte. Am Ende war das "Reich" nur noch ein fünf Kilometer langer Streifen entlang der Flensburger Förde.

Diese Absonderlichkeiten sollten aber nicht den Blick auf das eigentliche politische Ziel von Dönitz verstellen. Hitler hatte ihn beauftragt, "den Krieg mit allen Mitteln weiter fortzusetzen". Doch Dönitz wusste, dass der Krieg verloren war, und er hatte anders als Hitler kein Interesse an einem sinnlosen Widerstand nur um des Widerstandes willen. Sein Ziel war es, einen separaten Waffenstillstand, wenn nicht gar Frieden mit den West-Alliierten zu erreichen. Im Osten wollte er aber weiterhin kämpfen.

An irgendeinen Sieg gegen die Rote Armee war nicht zu denken, hinhaltende Verteidigung der letzten Truppen sollte Zivilisten die Flucht nach Westen ermöglichen und es zurückflutenden Einheiten der Wehrmacht erlauben, in westliche Gefangenschaft zu gehen. Sein Adjutant notierte nach der ersten Kabinettssitzung: "Es muss das Hauptziel der Regierung sein, möglichst viele deutsche Menschen vor der Vernichtung durch den Bolschewismus zu retten."

Flucht aus dem Osten

Teilweise wurden diese Ziele auch erreicht. So kapitulierten die Wehrmachtsteile im Westen in schneller Folge. Die Städte Hamburg und Lübeck wurden kampflos übergeben und Millionen Menschen gelangten in den Tagen der Dönitz-Regierung in das von den West-Alliierten kontrollierte Gebiet. Doch man darf nicht vergessen, dass es Dönitz verstand sich mit seinen Memoiren ("10 Jahre und 20 Tage", 1958) ein eigenes Denkmal zu errichten. Er arbeitete geschickt mit der anti-kommunistischen Stimmung der Nachkriegszeit. Von den offenkundigen Verstrickungen wurden offen die Dinge zugegeben, die Dönitz nicht abstreiten konnte.

Bei ihm kam hinzu, dass er, der seine U-Boote rücksichtlos verheizte, nun die Tapferkeit der deutschen Soldaten und Matrosen rühmte und so wie andere führende Militärs den Geist der späten 1950er Jahre traf. In kühner Verdrehung der Tatsachen präsentierte sich Dönitz als reiner Militär, der gewissermaßen nur das Unglück hatte, unter Hitler zu dienen.

In der heutigen Forschung ist die Zahl der "Geretteten" ebenso umstritten wie der Sinn der ganzen Evakuierungsaktion. In den 1960er Jahren urteilte die Öffentlichkeit, dass die Flucht vor den Roten jedes Opfer wert gewesen sei. Das Propaganda-Schlagwort "Lieber tot als rot" rettete sich nahtlos von dem Zweiten Weltkrieg in den Kalten Krieg. Dabei kostete die Fortführung des Krieges weiter große Opfer. Und Gefangennahme durch die Rote Armee bedeute nicht unbedingt Tod und Vergewaltigung. Nach den Ausschreitungen bei der Einnahme von Berlin ergriff die sowjetische Führung drakonische Maßnahmen, um Übergriffe ihrer Soldaten zu stoppen. Sondertruppen sorgten auf stalinistische Weise für Ordnung. Der Zeitzeuge und Publizist Erich Kuby notierte damals, wie Vergewaltiger zur Abschreckung vor der angetretenen Truppe hinter Lkws zu Tode geschleift wurden.

Faustpfand im Poker um die Nachkriegsordnung

Nach der Kapitulation am 8. Mai waren die Tage dieser Regierung eigentlich vorbei. Nur ein abenteuerliches Kalkül des britischen Premiers Winston Churchills hielt sie am Leben. Churchill war überzeugt, dass es zur Konfrontation mit der UdSSR kommen würden. "Wir haben das falsche Schwein geschlachtet", sagte er später in Bezug auf Hitler und Stalin. Die Zwangsrekrutierung deutscher Soldaten durch die Besatzungsmächte verbot das Völkerrecht. Doch mit einer amtierenden deutschen Regierung hätten die Westmächte legalen Zugriff auf deutsche Truppen bekommen. Auch die gefangenen Soldaten hätten als Verbündete wieder eingesetzt werden können. Also dufte der letzte Führer mit einigen Bürokraten über den "Sonderbereich Mürwik" um die Marineschule herum herrschen. Starrsinnig ließ Dönitz dort weiterhin Hitlerbilder hängen und Reichsflagge hissen.

Den Sowjets bleiben diese Überlegungen nicht verborgen. Sie forderten dem Umzug der Regierung in das von ihnen kontrollierte Berlin. Als das nicht geschah, übten sie so viel Druck aus, dass die Amerikaner die Regierung festsetzen. Dönitz trug bei seiner Verhaftung noch seinen goldenen Admiralsstab.

Später wurde er als Hauptkriegsverbrecher in Nürnberg angeklagt und zu zehn Jahren Haft verurteilt.

Quellen: Guardian, SHZ

Lesen Sie auch:

Hitlers Flieger hätten den Luftkrieg über England gewinnen können – sagt die Mathematik

Wie Hitlerjunge Wilhelm Hübner die letzten Tage des Krieges erlebte

Der Büchsenöffner – die Hs 129 sollte der stärkste Panzerknacker des Krieges werden

Warum die deutschen Panzer keine Wende in der Normandie-Schlacht erzwingen konnten

Mehr zum Thema

Newsticker

VG-Wort Pixel