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Hermann-Josef Tenhagen

Neun Erkenntnisse Wie Sie sich auf die neue private Altersvorsorge einstellen

Hermann-Josef Tenhagen
Eine Kolumne von Hermann-Josef Tenhagen
Die Riester-Rente ist oft in der Kritik, die Bundesregierung will das Sparen fürs Alter deshalb neu aufstellen. Die ersten Vorschläge einer Arbeitsgruppe liefern wichtige Erkenntnisse, wie das aussehen könnte.
Rentenbescheid: Die gesetzliche Rente allein reicht oft nicht

Rentenbescheid: Die gesetzliche Rente allein reicht oft nicht

Foto: Felix Kästle / picture alliance / dpa

Wenn ich nicht mehr weiter weiß, gründ' ich einen Arbeitskreis. Nach diesem Motto hat die Ampelkoalition zu Beginn der Legislatur die Fokusgruppe private Altersvorsorge ins Leben gerufen, zu der die einschlägigen Ministerien, Verbraucherschützer und Lobbyverbände der Versicherer und Fondsgesellschaften gehören. In dieser Woche nun, am 18. Juli, hat die Altersvorsorge-Runde ihren Abschlussbericht veröffentlicht .

Der schreibt eine ganze Menge an Erkenntnissen fest, aus denen jetzt Politik folgen könnte. Ob das passiert, ist erst mal unklar – keine Garantie.

Aber Sie, liebe Leserin, können auch ohne eine solche Garantie Schlüsse für sich ziehen. Egal, ob aus den Erkenntnissen politisches Handeln wird oder nicht.

1. Längst nicht alle sorgen privat vor

Seit der Jahrtausendwende haben tatsächlich deutlich mehr Bürgerinnen und Bürger mit zusätzlicher Altersvorsorge angefangen, gleich zu Beginn waren es sogar Millionen mehr. Die gesetzliche Rente war ihnen nicht mehr sicher genug. Doch schaut man sich die wachsenden Zahlen genauer an, verraten sie auch: Es sorgen vor allem die Menschen zusätzlich vor, die ohnehin schon finanziell besser gestellt sind. Diejenigen mit dem geringsten Einkommen können am wenigsten vorsorgen und sorgen auch am wenigsten vor. Mehr als die Hälfte hat keinen zusätzlichen Vertrag. Bei den am besten Verdienenden haben dagegen inzwischen fast 90 Prozent einen zusätzlichen Vertrag.

Wichtig für Sie: Auch wenn Sie gut verdienen, wird die gesetzliche Rente im Alter nicht ihren jetzigen Lebensstandard decken können. Sie sollten tatsächlich weiter zusätzlich fürs Alter sparen, über Fonds, betrieblich oder auch mit einem Riestervertrag, wenn Sie stark von der Förderung profitieren .

2. Die gesetzliche Rente allein reicht nicht

Der Bericht der Fokusgruppe räumt wenigstens mit dem Mythos auf, dass jede und jeder ausreichend zusätzlich fürs Alter vorsorgen könne. Wer wenig Einkommen habe, für den sei »in erster Linie die Absicherung über die GRV (gesetzliche Rente) entscheidend«. Das bedeutet auch: Eine Lebensstandardabsicherung liegt für diese Gruppe weit in der Ferne, wenn die gesetzliche Rente nicht wesentlich reformiert wird. Fast 20 Prozent der aktuellen Rentnerinnen und Rentner sind heute schon akut armutsgefährdet, schreibt selbst das Wirtschaftsministerium in einem Sondervotum zu dem Bericht.

3. Riester ist nicht immer schlecht

Spannend: Auch viele Geringverdiener haben Riesterverträge. Nach den jüngsten Zahlen gibt es rund 16 Millionen Verträge, von denen knapp 11 Millionen bespart werden. Mehr als die Hälfte der Riester-Sparer/innen (57 Prozent) sind Frauen und viele bekommen neben der direkte Zulage für sich und die Kinder keine steuerlichen Vorteile. Sie sind aber nicht notwendigerweise arm. »Ein erheblicher Teil der Geringverdienenden, die einen Riestervertrag besparen, lebt in Haushalten mit höherem Einkommen.« Riester wird offenkundig tatsächlich häufig in Ehen und Lebensgemeinschaften genutzt, um die Rente der schlechter verdienenden aufzubessern. Haben Sie einen solchen Riestervertrag, sparen Sie weiter . Das lohnt sich sehr oft, egal was Kritiker sagen. Auch die Fokusgruppe schlägt jedenfalls keine Abschaffung von Riester, sondern nur Verbesserungen für Riester-Sparerinnen vor. Dazu gehört, mehr Förderung für ältere Kinder – jeweils 300 Euro im Jahr – , mehr Förderung für junge Sparerinnen und Sparer, mehr Flexibilität bei der Auszahlung und mehr Möglichkeiten bei der Einzahlung. Manches davon hatte ich schon vor Jahren gefordert.

4. Steuern zahlen auf die Rente

Aus diesen Erkenntnissen leitet die Fokusgruppe ab, dass die Förderung von Altersvorsorge für alle Sparerinnen, die nicht Geringverdiener sind, auch künftig über das aktuelle Steuermodell der nachgelagerten Besteuerung erfolgen sollte. Das bedeutet: Man zahlt Geld während des Erwerbslebens, wenn man höhere Steuern zahlt; und entnimmt es in der Rente, dann mit niedrigeren Steuersätzen. Von dieser Förderung der privaten Altersvorsorge würden vor allem Bürgerinnen und Bürger profitieren, »denen eine eigene Sparleistung für die zusätzliche Altersversorgung möglich ist... Dies schließt die breite Mittelschicht der Bevölkerung als Zielgruppe ein.«

5. Auch ETF-Sparpläne sollen möglich werden

Auch das Modell des Sparens mit Zertifizierung und staatlicher Förderung – à la Riester-Rürup und Betriebsrente – würde die Fokusgruppe anfassen. Es könne so aufgebohrt werden, dass damit auch Aktiensparen in einem Fonds-Spardepot einfach möglich würde. Dann könnte jeder und jede fürs Alter individuell aus ihrem versteuerten Einkommen in klassische Fondssparpläne mit ETF einzahlen. Die Idee: Pro Person soll ein solches Depot möglich sein. Gewinne sollen beim Ansparen nicht besteuert werden und in der Rente umso weniger, je länger das Depot schon läuft. Wer früher Geld herausnimmt, verliert für dieses Geld seine Steuervorteile.

Heißt für Sie: Wenn Sie ohnehin vorhaben, mit ETF fürs Alter zu sparen, machen Sie einfach weiter .

Abwarten sollten Sie dann nicht. Denn wenn die Neuregelung kommt, können Sie leicht ein eventuell sogar kostenloses zusätzliches Depot speziell fürs Altersvorsorgesparen einrichten. Bei der digitalen Rentenübersicht ist bereits vorgesehen, dass solche Fonds-Depots in der Übersicht geführt werden könnten, auch wenn es diese Produkte heute noch gar nicht gibt.

6. Leider kein Deutschlandfonds

Einen Staatsfonds zum obligatorischen Altersvorsorgesparen nach skandinavischem Vorbild lehnt die Fokusgruppe hingegen mit Mehrheit ab. Ein solches System sei zu kompliziert. Dabei liegen die jährlichen Kosten für Sparerinnen und Sparer im schwedischen System nur bei 0,05 bis 0,15 Prozent. In Deutschland sind sie aktuell 10- bis 20-mal so hoch.

Dass dem skandinavischen Vorsorge-Modell eine Abfuhr erteilt wird, war beinahe abzusehen. Schließlich sind die Profiteure der aktuellen Systeme, die bei einem solchen Staatsfonds viel zu verlieren hätten, in der Fokusgruppe private Altersvorsorge sehr stark vertreten. »Diesen Mitgliedern der Fokusgruppe ist es wichtig, den spezifischen Charakter der drei Säulen der Alterssicherung und die Produktvielfalt in der geförderten pAV (privaten Altersvorsorge) zu erhalten«, heißt es im Bericht denn auch deutlich genug. Apropos Lobbyarbeit: Den Arbeitgeberverbänden war es zusätzlich wichtig, dass nicht sie es sind, die damit belastet werden, das Geld für ein neues quasi-obligatorisches System bei Ihren Mitarbeiterinnen einzubehalten und an einen solchen Staatsfonds zu überweisen.

Wenn Sie preiswert fürs Alter vorsorgen wollen, sollten Sie auch angesichts dieses Widerstandes vorläufig weiter auf ihre eigenen preiswerten ETF-Sparpläne setzen. Dafür gibt es heute bei etlichen Banken kostenlose Depots und sogar Sparpläne, bei denen die Raten ohne Gebühren eingezahlt werden können .

7. Automatisch sparen klappt besser

Auch sozialpolitisch ist die Ablehnung des Staatsfonds in der Fokusgruppe übrigens bemerkenswert. Schließlich müssen auch die versammelten Experten einräumen, dass eine »besonders überzeugende Studie mit dänischen Daten zu dem Ergebnis kommt, dass Personen vor allem ihre Altersvorsorgeersparnis aufgrund von automatischer Einbeziehung und passivem Verhalten erhöhen.« Will die Politik in der Breite wirklich deutlich mehr Altersvorsorge, müsste sie sich demzufolge für ein Opt-Out-System entscheiden. Also ein Altersvorsorge-Modell, bei dem die Menschen aktiv werden müssen, um nicht mehr einzuzahlen. Denn nur dann legen Bürgerinnen und Bürger, die das können, tatsächlich mehr Geld für ihre Altersvorsorge zurück. Steuerliche Anreize hingegen führten »dagegen nur bei knapp 20 Prozent der Betroffenen zu Anpassungen im Sparverhalten.«

8. Mehr Auswahl und Transparenz

Einig war sich die Fokusgruppe, dass am bestehenden System eine Menge zu reparieren ist und dass jenseits der Lösung über Steuervorteile gerade auch für Niedrigverdiener Verbesserungen erforderlich sind. Untere Einkommensgruppen, junge Menschen und Eltern von Kindern und jungen Erwachsenen sollten auch in Zukunft »besonders hohe Förderquoten erreichen«. Was dafür geändert werden müsse:

  • Mehr Auswahl und bessere Vergleichbarkeit der Produkte. Das zumindest meint die Fokusgruppe. Mehr als 60 Prozent der Riester-Sparerinnen haben nicht einmal zwei unterschiedliche Produkte vor dem Abschuss verglichen und häufig von Vertrieben teure Lösungen verkauft bekommen.

  • Die Kosten müssten runter. Geringe Kosten müssten »sichergestellt werden«, heißt es dann. Geschehen soll das vor allem durch mehr Konkurrenz: »Einfache und kostengünstige Wechselmöglichkeiten«, sollten den Wettbewerb stärken. Die oft kritisierten Abschlusskosten sollten in laufende Kosten auf die gesamte Vertragslaufzeit umgerechnet werden, auch damit sie beim Wechsel von Produkten und Anbietern nicht erneut anfallen.

  • Warum diese Konkurrenz allerdings besonders wirkungsvoll sein soll, wenn die Zielgruppe der Kunden bereits heute nicht einmal beim Abschluss der Produkte die Kosten vergleicht und Vorteile der Konkurrenz so gar nicht in Anspruch nehmen wird, bleibt ein Geheimnis dieser Fokusgruppe. Deshalb hat der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) an diesem Punkt auch einen Widerspruch zu Protokoll gegeben: Der VZBV glaubt in der aktuellen rechtlichen Situation mit einem provisionsorientierten Vertrieb nicht an die Wirksamkeit der Konkurrenzmechanismen.

  • Was ganz sicher fehlt: Die Experten geben keine Empfehlung für eine staatliche Regulierung zu hoher Kosten.

9. Das Glaubwürdigkeitsproblem der Versicherer und Fondsanbieter

Ein letzter, wenn auch wichtiger, Schluss, den Sie als Leserin aus dem Fokus-Bericht ziehen sollten: Was ebenso fehlt, ist das Eingeständnis der Beteiligten, warum das mit dem Aktiensparen in Deutschland bislang so schwierig ist. Versicherer und Fondsgesellschaften verlangen auch in der Fokusgruppe wieder, dass ihre Kunden bei den Altersvorsorgeprodukten möglichst auf Garantien verzichtet sollen, weil solche Garantien die möglichen Renditen gerade beim Sparen mit ETF und anderen Aktienfonds mindern. Warum aber Bürgerinnen und Bürger diesen Anbietern glauben sollten, dass ohne Garantien mehr bei der Geldanlage herauskommt, wenn diese Unternehmen selbst gerade im Altersvorsorgemarkt auf das garantierte Geldverdienen nicht verzichten wollen und mindestens in der Vergangenheit besonders hohe Kosten abgezwackt haben, das erschließt sich nicht.

Kein Missverständnis: Über die vergangenen Jahrzehnte ließen sich mit internationalen Aktienfonds bei niedrigen Kosten tatsächlich deutlich höhere Renditen erwirtschaften – drei bis fünf Prozent mehr pro Jahr waren drin im Vergleich zu Staatsanleihen, das schreibt selbst die Fokusgruppe in ihrem Bericht. So sehen wir das bei »Finanztip« auch und ich empfehle das auch . Aber das Glaubwürdigkeitsloch haben Versicherer und Fondsgesellschaften mit diesem Fokus-Bericht nicht geschlossen.

Übrigens: Wenn Sie damals einen dieser teuren Versicherungsverträge mit Fonds abgeschlossen haben, können Sie selbst oft die Kosten erheblich senken. Sie können nämlich vielfach die teuren Fonds, in denen ihr Versicherer Ihr Geld anlegt, durch einen weltweit gestreuten Aktien-ETF aus der Liste des Versicherers ersetzen lassen (zum Beispiel den MSCI World). Dafür genügt oft ein einfaches Schreiben. Auch das gesamte Kapital in einen günstigeren ETF übertragen zu lassen, ist kostenfrei. Und es ermöglicht Ihnen, dank geringerer Kosten, potenziell deutlich mehr Rendite . Das hilft Ihrer Altersvorsorge heute schon mehr als dieser Arbeitskreis.