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US-Rückzug aus Afghanistan Bundeswehr muss den Turboabzug planen

Donald Trump fährt die Afghanistanmission der USA abrupt herunter – das setzt die Bundeswehr unter erheblichen Druck. Innerhalb kürzester Zeit muss jetzt auch für die Deutschen ein Abzugsplan her.
Bundeswehrsoldaten in Afghanistan (Archivbild): "Für den besten Fall gehofft und uns für das schlechteste Szenario vorbereitet"

Bundeswehrsoldaten in Afghanistan (Archivbild): "Für den besten Fall gehofft und uns für das schlechteste Szenario vorbereitet"

Foto: Michael Kappeler/ DPA

Die Bundeswehr wappnet sich nach den Ankündigungen der USA für einen Abzug der meisten US-Truppen aus Afghanistan bis Jahresende für ein Ende der deutschen Mission in Nordafghanistan. Spätestens seit der Pressekonferenz von Christoph Miller am Dienstag in Washington gehen die Planer im Wehrressort davon aus, dass die deutsche Ausbildungsmission in Masar-i-Scharif nach dem Abzug von rund der Hälfte der heute 5000 US-Soldaten aus Afghanistan kaum mehr zu verantworten wäre.

Miller, der als loyaler Anhänger von Donald Trump gilt, hatte am Dienstag im Pentagon den US-Abzug bis zum 15. Januar 2021 formal angekündigt. Damit wäre der wichtigste Schritt zum kompletten Abzug der USA noch vor dem Amtsantritt von Joe Biden am 21. Januar abgeschlossen. Nato-Chef Jens Stoltenberg und den afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani habe er bereits informiert, so Miller.

Der Auftritt Millers, der nach seinem Statement keine Fragen zuließ, bestätigte alle deutschen Befürchtungen. Bereits am vergangenen Donnerstag hatte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer mit ihrem neuen Kollegen, den Nochpräsident Trump erst vergangene Woche eingesetzt hatte, telefoniert. Dabei machte Miller ziemlich klar, dass er bei einer Order von Trump den US-Abzug ohne jede Verzögerung umsetzen werde.

Für die Bundeswehr und die gesamte Nato, die mit rund 12.000 Soldaten aus den Mitgliedstaaten die afghanische Armee ausbildet, ist die US-Unterstützung lebenswichtig. Zwar haben alle Partner zusammen mehr Soldaten als die USA am Boden. Ohne die stets in Bereitschaft stehenden Kampfjets der U.S. Air Force zum Beispiel wären die Nato-Truppen im Ernstfall, etwa bei einem Angriff der Taliban auf eins der Nato-Camps außerhalb von Kabul, auf sich allein gestellt.

So wenige US-Soldaten können kaum noch unterstützen

Auch für Evakuierungen verlassen sich die Partner bis heute auf die U.S. Air Force. Mit der Obergrenze von 2500 Soldaten ist diese Notfallhilfe, Militärs sprechen von  »critical enablers«, kaum mehr leistbar. Der neue Pentagon-Chef Miller sprach zwar allgemein davon, man wolle Afghanen und die Partner der Nato weiter im Kampf gegen den Terror unterstützen. Eine entsprechende Garantie, die sein inzwischen gefeuerter Vorgänger Marc Esper Berlin noch vor einigen Monaten gegeben hatte, vermied er indes.

Im Verteidigungsministerium haben die Planungen für den Abzug bereits begonnen. »Wir haben für den besten Fall gehofft und uns für das schlechteste Szenario vorbereitet«, hieß es. Schon seit einigen Monaten hatte man eine Logistikertruppe nach Masar verlegt, sie planen seitdem den Abzug. Eigentlich hatte man sich auf ein Ende der Mission im Frühsommer 2021 eingerichtet. Nun wird es schneller gehen müssen.

Nach Millers Statement wurde klar, dass Bedenken oder das Nato-Credo »Gemeinsam rein, gemeinsam raus« irrelevant sind. Trumps Sicherheitsberater prophezeite sogar, dass bis Mai 2021 alle US-Soldaten Afghanistan verlassen hätten. Dann soll nur noch eine kleine Antiterrormission am Hindukusch stationiert bleiben. Zwar kann Trump das nicht mehr entscheiden. Sein Nachfolger Biden dürfte sich aber schwertun, einen begonnenen Abzug wieder rückgängig zu machen.

Mission könnte 20 Jahre nach 9/11 auslaufen

Für Berlin bleiben kaum Optionen. Zwar könnte man Pläne entwerfen, die Ausbildungsmission »Resolute Support« von Kabul aus weiterzuführen. Gleichwohl wird der US-Abzug innerhalb der Nato einen Dominoeffekt auslösen. Kaum jemand will weiter an der verlustreichen und wenig effizienten Mission festhalten. Das Engagement des Bündnisses am Hindukusch wird also absehbar 2021 auslaufen – genau 20 Jahre nach den 9/11-Anschlägen in den USA.

Für Afghanistans Zukunft könnten Trumps letzte Amtshandlungen fatale Folgen haben. Zwar hatten die USA Ende Februar mit den Taliban ausgehandelt, dass die Militärmission Ende April 2021 beendet werden soll. Die Radikalislamisten wollten dafür ihren Kampf gegen die Kabuler Regierung einstellen. Mit dieser aber schlossen die Taliban bisher noch keinen Deal.

Nach einem US-Abzug erscheint mehr als fraglich, warum sie sich noch an die Abmachungen von Doha halten sollen.