Zum Start des Volkskongresses

„Rund 5 Prozent“: China legt Wachstumsziel fest und steckt hohe Summen in sein Militär

Der chinesische Präsident Xi Jinping bei der Eröffnung der zweiten Session des 14. Nationalkongresses in Peking.

Der chinesische Präsident Xi Jinping bei der Eröffnung der zweiten Session des 14. Nationalkongresses in Peking.

Peking. Als die fast 3.000 Delegierten am Tiananmen-Platz aus ihren Reisebussen stiegen, war fast alles wieder beim Alten: Die Presse stürmte in Scharen auf die in Volkstracht, Militäruniform und Arbeitskleidung gehüllten Parlamentarier zu, um sie vorm Betreten der Großen Halle des Volkes für ein Kurzinterview abzufangen. Und tatsächlich: Die meisten standen tatsächlich Rede und Antwort, auch wenn die Stellungnahmen oftmals wie auswendig gelernt wirkten. Doch ohne Frage war die Regierung bemüht, sich nach vier Jahren Corona-Restriktionen beim Nationalen Volkskongress wieder von ihrer offenen Seite zu zeigen.

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Dem Premierminister Li Qiang gelang dies beim traditionellen Arbeitsbericht nur bedingt. Seine Rede bildet stets die Eröffnung und gleichzeitig auch den Höhepunkt des Volkskongresses. Mit Spannung erwarteten die Beobachter vor allem das von der Regierung ausgewiesene Wachstumsziel für das laufende Kalenderjahr. „Rund fünf Prozent“ bestimmte der Premier – wie schon bereits 2023.

Für Chinas Wirtschaft ist das Ziel ambitioniert

Wie die Kennziffer einzuordnen ist, ist eine Frage der Perspektive: Fünf Prozent ist niedrig gemessen an den Wachstumsraten, die die Volksrepublik noch in den Nullerjahren hinlegte. Doch gemessen an den derzeitigen Herausforderungen ist das Ziel dennoch sehr ambitioniert: Die Immobilienkrise wird noch auf Jahre auf das Wachstum drücken, der Binnenkonsum ist weiterhin schwach, die ausländischen Investoren halten sich derzeit ebenfalls zurück. „Es wird nicht einfach sein, die diesjährigen Ziele zu erreichen“, sagte Li Qiang dementsprechend in weiser Voraussicht.

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Doch wie das Land überhaupt expandieren möchte, bleibt für viele Experten ein. Fragezeichen. „Chinas Arbeitsbericht bestätigt dasselbe Wachstumsziel wie im letzten Jahr, legt aber keinen Plan vor. Kein Stimulus, keine Liberalisierung, nichts!“, kommentiert die Ökomomin Alicia García-Herrero von der Nataxis-Bank auf X, vormals Twitter.

Dabei hat Li Qiang durchaus selbstkritische Töne anklingen lassen. So sprach der 64-Jährige offen von den strukturellen Problemen der Volkswirtschaft sowie der Notwendigkeit, das eigene Entwicklungsmodell transformieren zu müssen. Doch gleichzeitig machte er stets deutlich, keine allzu großen Wagnisse eingehen zu wollen.

Chinesische Soldaten marschieren an der Großen Halle des Volkes vorbei, während einer vorbereitenden Sitzung des Chinesischen Nationalen Volkskongresses.

Chinesische Soldaten marschieren an der Großen Halle des Volkes vorbei, während einer vorbereitenden Sitzung des Chinesischen Nationalen Volkskongresses.

Angespanntes Verhältnis zu Taiwan

Klar ist: Li Qiang möchte die chinesische Wirtschaft auf der Wertschöpfungskette weiter nach oben treiben. Bei Elektro-Autos, erneuerbaren Energien und – mit Einschränkungen auch – Halbleitern befindet sich das Reich der Mitte bereits auf einem vielversprechenden Weg. Doch noch genieren die sogenannten Zukunftstechnologien zu wenig Umsätze, als dass sie den angeschlagenen Immobiliensektor als Wachstumsmotor ersetzen könnten.

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Die Märkte reagierten jedenfalls auf die Zukunftsvision der chinesischen Regierung wenig beeindruckt: In Shanghai blieben die Kurse am Dienstag mehr oder weniger konstant, der Hongkonger Hang Seng Index sank hingegen um mehr als zweieinhalb Prozent. Nur wenige Stunden vor Lis Rede sagte Sharmin Mossavar-Rahmani, Starbankerin bei Goldman Sachs, unverblümt in einem Fernseh-Interview: „Unsere Sicht ist, dass man nicht in China investieren sollte“.

Angesichts der angeschlagenen Wirtschaft wirkt das ebenfalls am Dienstag ausgewiesene Militäretat überaus dekadent: Erneut wird es um 7,2 Prozent steigen, und damit deutlich stärker als das BiP-Wachstum. Die Diskrepanz wird noch deutlicher, wenn man bedenkt, dass viele Kostenpunkte der Volksbefreiungsarmee in den offiziellen Statistiken gar nicht auftauchen. Doch allein die Regierungszahlen sprechen eine deutliche Sprache: Seit drei Jahrzehnten ist der Anstieg des Militäretats niemals unter 6,6 Prozent gefallen.

„Unsere Sicht ist, dass man nicht in China investieren sollte“

Sharmin Mossavar-Rahmani, Bankerin bei Goldman Sachs

Vor allem Taiwan wird die Entwicklungen mit Argusaugen verfolgen. Die Regierung des demokratischen Inselstaates dürfte zudem besorgt sein über die Sprachwahl Pekings: Taiwan wurde in Li Qiangs Arbeitsbericht zwar nur in einem Absatz erwähnt, dennoch brach er mit einer alten Standardklausel. Sprachen die chinesischen Premierminister zuvor stets von einer „friedlichen Wiedervereinigung“, ließ Li diesmal das Adjektiv „friedlich“ kurzerhand weg. Offensichtlich wird Peking künftig stärker auf Druck und möglicherweise auch militärische Macht setzen.

In der Großen Halle des Volkes war dies jedoch nur eine Randnotiz. In den Zuschauerrängen tummelten sich auch diesmal hunderte Journalistinnen und Journalisten aus dem globalen Süden, die Peking für den Nationalen Volkskongress hat einfliegen lassen. Die meisten von ihnen bleiben dank großzügiger Stipendien vier Monate im Land. Aus Sicht der chinesischen Regierung ist es eine smarte Investition, denn in weiten Teilen Lateinamerikas und auch der arabischen Welt gewinnt die Volksrepublik durchaus an „soft power“: China steht für den Aufstieg aus der Armut, den Kampf gegen Korruption und auch für eine alternative Weltmacht ohne koloniale Vergangenheit. Dass das Land gleichzeitig immer autoritärer und unfreier geworden ist, fällt für viele Beobachter aus dem globalen Süden vergleichsweise wenig schwer ins Gewicht.

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