Autokraten-Gipfel in Kasachstan

Erdogans Drahtseilakt zwischen Nato und Putin

Ein von der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Sputnik veröffentlichtes Foto, auf dem sich Wladimir Putin (r.) und Recep Tayyip Erdogan die Hände während ihres Treffens am Rande des Gipfels der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) geben.

Ein von der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Sputnik veröffentlichtes Foto, auf dem sich Wladimir Putin (r.) und Recep Tayyip Erdogan die Hände während ihres Treffens am Rande des Gipfels der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) geben.

Am Vorabend des Gipfels der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO) hat sich Russlands Präsident Wladimir Putin in der kasachischen Hauptstadt Astana mit seinem türkischen Kollegen Recep Tayyip Erdogan getroffen. Über den Inhalt der Gespräche wurde nicht viel bekannt. Neben Ungarn ist die Türkei das einzige Nato-Land, das nach dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine an vielseitigen Beziehungen zum Aggressor festhält.

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Zwei Wochen nach seinem Besuch bei Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un und in Vietnam möchte Putin offensichtlich „der Welt verdeutlichen, welche Bündnisse außerhalb der westlich orientierten Allianzen noch möglich sind und wie vernetzt Putin nach wie vor sei“, ist Walter Glos, Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Istanbul, überzeugt. „Putin schwebt eine andere Weltordnung vor, die nicht mehr von den USA dominiert wird“, sagte er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).

Ein Treffen der beiden Staatschefs sei schon seit Längerem in der Türkei geplant gewesen und war zuletzt zweimal verschoben worden. „Ein möglicher Grund für die Verschiebung könnte die Sicherheitslage im Schwarzmeerraum sein. Zudem muss so ein Staatsbesuch ein gewichtiges Ergebnis bringen – und bis jetzt wurde offenbar zwischen beiden Ländern noch nichts Konkretes ausgehandelt“, so Daria Isachenko von der Stiftung für Wissenschaft und Politik zum RND.

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Allein im vergangenen Jahr haben sie 13-mal miteinander telefoniert.

Daria Isachenko,

Stiftung für Wissenschaft und Politik

„Das derzeitige Treffen in Astana diente daher sicher der Vorbereitung des lange geplanten Besuchs“, ist die Expertin für türkisch-russische Beziehungen überzeugt, „allein im vergangenen Jahr haben sie 13-mal miteinander telefoniert und sich im September in Sotchi persönlich getroffen.“

Erdogan ist bestrebt, sowohl zu Russland als auch zur Ukraine gute Beziehungen aufrechtzuerhalten. Vor allem verfolgt er wirtschaftliche Interessen. „Neben dem Bau des ersten Atomkraftwerks Akkuyu an der Mittelmeerküste in der Provinz Mersin ist der Bau des zweiten Atomkraftwerkes am Schwarzen Meer auch von Russlands Staatskonzern Rosatom im Gespräch. Außerdem laufen noch die Verhandlungen über die Etablierung eines ‚Gashubs‘ in der Türkei. Neben Ausweitung der Energiebeziehungen geht es auch um die türkische Positionierung zu den Wirtschaftssanktionen“, erläutert die Politologin.

Sekundärsanktionen gegen türkische Unternehmen

Hintergrund: Trotz ihrer Nato-Mitgliedschaft beteiligt sich die Türkei nicht an den Wirtschaftssanktionen gegen Russland, hat ihre wirtschaftlichen Beziehungen zu Moskau sogar intensiviert und den Import billigen russischen Öls erhöht. Das hat dazu geführt, dass die Amerikaner sogenannte Sekundärsanktionen gegen türkische Unternehmen verhängt haben, die verdächtigt wurden, kommerzielle Aktivitäten mit Russland unter Umgehung der Sanktionen zu betreiben. Anfang des Jahres vereinbarten Ankara und Washington ein sogenanntes „Sanctions Compliance Scheme“. Dieses Handlungsschema sieht vor, dass die USA zunächst die Türkei über Unternehmen informieren, die mit ihren Russland-Geschäften möglicherweise die westlichen Sanktionen umgehen.

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Die türkischen Behörden untersuchen das und informieren die USA über die Ergebnisse. Erst dann könnten gegebenenfalls Schritte wie Sanktionen eingeleitet werden.

Was dazu führte, dass die türkische Güterausfuhr nach Russland im ersten Quartal 2024 um etwa ein Drittel gesunken ist, wie die „Financial Times“ berichtete. „Der Kreml beobachtet genau, was die Türkei macht. ‚Dass ‚unser Freund Erdogan‘ westlichem Druck ausgesetzt sei, werde dort stets thematisiert“, so die SWP-Expertin Isachenko.

Jenseits solcher Wirtschaftsinteressen hat sich die Türkei recht erfolgreich als Mediator zwischen den Konfliktparteien etabliert. Dabei hat die Türkei, anders als Moskaus engster Verbündeter Peking, „nie Zweifel an der Integrität der ukrainischen Grenzen geäußert und die Krim-Annexion durch Russland als illegal verurteilt“, so die Politologin. Andererseits habe Erdogan kein Interesse an einem schwachen Russland als Folge des Krieges. Die SWP-Expertin verweist dabei auf russisch-türkische Beziehungen, die trotz der Nato-Mitgliedschaft Ankaras bis in die Zeit des Kalten Krieges zurückreichten. Isachenko: „Ankara hat weder ein Interesse an einer monopolaren noch einer bi- oder multipolaren Welt. Statt eines ‚Blockdenkens‘ möchte Erdogan zwischen Blöcken für sein Land ein Maximum an Vorteilen herausholen.“

Russland wird in der Türkei nicht als Gefahr wahrgenommen, man betrachtet den Nachbarn als Fakt und nicht als Freund.

Walter Glos,

Konrad-Adenauer-Stiftung

„Russland wird in der Türkei nicht als Gefahr wahrgenommen“, so Glos von der Konrad-Adenauer-Stiftung, „man betrachtet den Nachbarn als Fakt und nicht als Freund.“ Zudem nutze Erdogan „die sich ihm jetzt bietende Bühne auch dafür, um seinen Einfluss insbesondere in den Zentralasiatischen Staaten zu stärken“. Die Turkrepubliken Aserbaidschan, Kasachstan, Kirgisistan und Usbekistan, kulturell und sprachlich mit der Türkei verwandt, waren bis 1991 zusammen mit Russland Bestandteil der Sowjetunion.

Erdogans Terminkalender wirkt dabei wie ein Spiegelbild seiner außenpolitischen Ambitionen, „die der regionalen Rolle der Türkei seiner Meinung nach entsprechen“, so Glos. Nach dem kasachischen Astana fliegt der türkische Präsident zum Gipfel Organisation der Turkstaaten nach Baku, anschließend zum Nato-Gipfel nach Washington.

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„Insgesamt verfolgt die türkische Außenpolitik das Ziel, als potenter Makler in heiklen Konflikten aufzutreten“, so Glos zum RND. Wobei diese Rolle aber „durch unterschiedliche Abhängigkeiten“ limitiert sei. Glos: „In Bezug auf Russland sind diese einerseits energiepolitischer Art und andererseits der russische Tourismus, auf den die türkische Wirtschaft stark angewiesen ist. International stehen sich beide Länder zudem in einer Reihe von Konflikten gegenüber: angefangen bei Libyen über Syrien bis zum Südkaukasus.“

Besondere Beziehungen

Erdogan selbst formulierte es so: „Russland und die Türkei brauchen einander in allen möglichen Bereichen“, sagte er in einem CNN-Interview vor einem Jahr und betonte, seine eigenen „besonderen Beziehungen“ zum russischen Präsidenten würden sich vertiefen. Der Westen verfolge „keinen sehr ausgewogenen Ansatz“, den man aber gegenüber einem Land wie Russland brauche, so Erdogan weiter: „Wir sind nicht an einem Punkt, an dem wir Sanktionen gegen Russland verhängen würden, wie es der Westen getan hat.“

Was sie aneinander bindet, ist ihre gemeinsame Ablehnung liberaler, westlicher Werte. Sie sind Befürworter eines streng autoritären Führungsstils und verfolgen dabei eine nationalistische, religiöse und archaische Agenda.

Am Donnerstag trifft Putin in Astana auf dem Gipfel der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO) Chinas Partei- und Staatschef Xi Jinping. Die SCO ist eine im Juni 2001 von Russland, China, Kasachstan, Kirgistan und Tadschikistan gegründete Organisation, ursprünglich mit dem Ziel einer sicherheitspolitischen Zusammenarbeit in den Grenzregionen der Mitgliedsstaaten. Heutige Schwerpunkte liegen auf der Stabilität in der Region, dem Kampf gegen Terrorismus, Separatismus und Extremismus sowie Wirtschafts- und Handelsfragen und Aspekten der Energiesicherheit. Deutlich ist ihre antiwestliche Ausrichtung. Inzwischen sind Indien, Pakistan, Usbekistan und der Iran beigetreten. Russland möchte auch die Türkei stärker in eigene Formate wie die SCO oder das Anti-G7-Bündnis BRICS einbinden.

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