Rechtsruck bleibt aus

Linken gelingt Überraschungserfolg bei Parlamentswahlen in Frankreich

Der Kopf der Linken in Frankreich: Jean-Luc Mélenchon (Mitte) feiert den Wahlsieg mit seinen Mitstreiterinnen und Mitstreitern.

Der Kopf der Linken in Frankreich: Jean-Luc Mélenchon (Mitte) feiert den Wahlsieg mit seinen Mitstreiterinnen und Mitstreitern.

Paris. Das Jubelgeschrei brach an diesem Sonntagabend in Paris nicht bei jener Wahlparty aus, wo es alle im Vorfeld erwartet hatten, nämlich bei der Feier des rechtsextremen Rassemblement National (RN). Sondern im Nordosten der Hauptstadt, wo das Linksbündnis Neue Volksfront seine Anhänger versammelt hatte, lagen sich Menschen in den Armen lagen und stimmten spontan die Marseillaise an, so als sei Frankreich jetzt gerettet.

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„Die Stimmung ist unbeschreiblich“, rief ein Reporter in eine Fernsehkamera. Überraschend lag das Bündnis Nouveau Front populaire (NFP) aus der Linkspartei LFI (La France Insoumise, „Das unbeugsame Frankreich“), Sozialisten, Grünen und Kommunisten an erster Stelle, gefolgt vom Lager des Präsidenten Emmanuel Macron und erst auf dem dritten Platz stehenden rechtsextremen RN von Marine Le Pen.

Jordan Bardella, Vorsitzender der rechtspopulistischen Partei Rassemblement National (RN), spricht nach der zweiten Runde der Parlamentswahlen im Hauptquartier der Partei.

Jordan Bardella, Vorsitzender der rechtspopulistischen Partei Rassemblement National (RN), spricht nach der zweiten Runde der Parlamentswahlen im Hauptquartier der Partei.

Bei dessen Wahlveranstaltung am Abend war die Atmosphäre gedrückt. Dennoch versuchte RN-Parteichef Jordan Bardella, seinen Anhängern Mut zu machen. „Ich weiß, dass Millionen von Menschen enttäuscht sein werden“, rief der 28-Jährige. „Aber heute beginnt alles erst!“ Im Fall einer absoluten Mehrheit für seine Partei hätte Bardella Regierungschef werden sollen, der in Interviews längst davon sprach, was er alles unternehmen werde, „wenn ich in ein paar Tagen Premierminister bin“. Davon konnte nun keine Rede mehr sein.

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07.07.2024, Frankreich, Nantes: Menschen warten auf die Ergebnisse der zweiten Runde der Parlamentswahlen. Bei der Parlamentswahl in Frankreich liegt ersten Hochrechnungen zufolge das Linksbündnis überraschend vorn. Foto: Jeremias Gonzalez/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Linker Paukenschlag – die große Verliererin heißt Marine Le Pen

Völlig überraschend hat bei der Parlamentswahl in Frankreich das linke Bündnis gewonnen. Der favorisierte rechtsextreme Rassemblement National landet nur auf Rang drei. Ein gutes Ergebnis für Frankreich, findet RND-Korrespondentin Birgit Holzer – für Macron wird die Arbeit deshalb aber nicht leichter.

Niemand erreicht absolute Mehrheit

Keiner der drei Blöcke erzielte die absolute Mehrheit von mindestens 289 der 577 Sitze in der Nationalversammlung. Den finalen Ergebnissen zufolge bekam das Linksbündnis mindestens 181 Sitze, Macrons Allianz mehr als 160 und der RN 143. Das sind zwar deutlich mehr als die bisherigen 88 RN-Abgeordneten. Aber das Ergebnis liegt weit hinter den Erwartungen zurück. Die Republikaner erreichten 45 Sitze.

Aufgrund der außerordentlichen Dynamik für die Rechtsaußen-Partei in allen Umfragen und auch bei der ersten Runde vor einer Woche hatte die Wahl als historisch gegolten. Dementsprechend groß war das Interesse trotz der gerade begonnenen Sommerferien. Die Wahlbeteiligung war ungefähr so hoch wie bei der ersten Runde, als 67 Prozent der Berechtigten ihre Stimme abgaben.

Der Chef der Linkspartei LFI Jean-Luc Mélenchon versuchte, sich als unbestreitbarer Anführer der Linken aufzuschwingen, indem er kurz nach 20 Uhr als Erster, noch vor Vertretern seiner Bündnispartner, vor die Mikrofone trat. „Die Lektionen des Votums sind eindeutig: Die Niederlage des Präsidenten und seiner Koalition ist klar bestätigt, der Präsident muss sie eingestehen, ohne zu versuchen, sie auf irgendeine Weise zu umgehen“, tönte der linke Volkstribun, den viele auch aus dem eigenen Lager kritisch sehen, auch weil ihm immer wieder Antisemitismus vorgeworfen wurde.

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Im Vorfeld der Wahl war ein Streit darüber entbrannt, welche Persönlichkeit die Linken im Fall eines Wahlsiegs, der lange als utopisch galt, als Premierminister vorschlagen würden. Die Debatten darüber werden künftig noch mehr an Fahrt aufnehmen. Der ehemalige sozialistische Präsident François Hollande wird als gewählter Abgeordneter in die Nationalversammlung einziehen – und zweifellos eine entscheidende Rolle suchen.

Der Kopf der Linken: Jean-Luc Mélenchon.

Der Kopf der Linken: Jean-Luc Mélenchon.

Mit bedingt wurde die Niederlage für den RN, weil sich die anderen Parteien im Vorfeld gegen Rechtsaußen verbündet hatten. In mehr als 200 Wahlbezirken, wo sich Kandidaten der drei großen Lager RN, Neue Volksfront und Macrons Mitte-Bündnis für die zweite Runde qualifiziert hatten, zogen sich die Drittplatzierten zurück, um die Wahlchancen der RN-Bewerber zu schmälern.

Macron verliert trotz ausbleibenden Rechtsruckes

Es war ein Wiedererstarken einer „republikanischen Front“ gegen die Rechtsextremen, die jahrzehntelang üblich war. Zuletzt war sie gebröckelt – bis nun eine Übernahme der Macht durch die Partei greifbar erschien. Ökonomen, Gewerkschafter, Künstler, Musiker und Sportler wie Fußball-Star Kylian Mbappé hatten im Vorfeld davor gewarnt. Geschäftsinhaber in den größeren Städten fürchteten Ausschreitungen am Rande von Protesten gegen Rechts und verbarrikadierten teils ihre Läden. Landesweit waren 30.000 Polizisten und Polizistinnen und Gendarmen im Einsatz, davon 5000 in Paris.

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Macrons Lager hatte zwar das Nachsehen, allerdings war das Resultat weniger dramatisch als befürchtet. Durch seine einsam und überraschend getroffene Entscheidung am Abend der EU-Wahlen, die Nationalversammlung aufzulösen, hat er sich noch weiter von den Menschen entfernt – und von bisher loyalen Mitstreitern. Innenminister Gérald Darmanin hat angekündigt, nach der Wahl das Kabinett verlassen zu wollen und, sollte er ein Mandat erhalten, lieber als einfacher Abgeordneter „ein neues Projekt aufzubauen“. Und das wenige Wochen vor den Olympischen Spielen in Paris, bei denen die von Darmanin betreuten Sicherheitsfragen entscheidend für das Gelingen sein werden.

Für den Staatschef steht nun eine komplizierte „Kohabitation“ an, bei der der Präsident und der Regierungschef nicht vom selben politischen Lager sind. Damit drohen mühsame Absprachen oder gar eine Blockade, sollten Kompromisse nicht gelingen. Der bisherige Premierminister Gabriel Attal kündigte an, dem Präsidenten wie von der Verfassung vorgesehen am Montagmorgen seinen Rücktritt anzubieten. Doch auch der 35-Jährige, der nur sechs Monate im Amt war, zeigte sich am Abend kämpferisch. Seine Formation habe dreimal mehr Sitze bekommen, als Umfragen vorausgesagt hatten – dennoch gebe es kein Weiter so. „Eine neue Ära beginnt“, sagte Attal. „Wir müssen alles in Frage stellen, um ein neues politisches Angebot zu schaffen.“

Es klang nicht nach Aufgabe. Macron äußerte sich nicht offiziell. Der Élysée-Palast ließ am Sonntagabend wissen, der Präsident warte erst die Strukturierung der neuen Nationalversammlung ab, bevor er „die notwendigen Entscheidungen“ treffe. Tatsächlich wird er diese mehr denn je berücksichtigen müssen.

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