Nato-Gipfel in Washington

Stoltenbergs großer Wurf: Ein riesiges Nato-Paket für die Ukraine zum Abschied

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg wirft vor einem Baseballspiel zwischen den Washington Nationals und den St. Louis Cardinals den ersten Pitch.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg wirft vor einem Baseballspiel zwischen den Washington Nationals und den St. Louis Cardinals den ersten Pitch.

Brüssel/Berlin. „Stoltenberg“ und die Nummer eins steht auf der Rückseite des Baseballtrikots, mit dem Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Montagabend ins Stadion von Washington einlief. Mit dem ersten Pitch auf dem Feld, er warf jedoch viel zu weit, läutete der Norweger zugleich das Gipfeltreffen des Militärbündnisses ein. Es wird sein letzter Nato-Gipfel als Generalsekretär sein, ehe er das Amt im Oktober an den Niederländer Mark Rutte übergibt.

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Staats- und Regierungschefs, Außen- und Verteidigungsminister und Fachleute aus der ganzen Welt sind in die US‑Hauptstadt gekommen, um den 75. Geburtstag des Militärbündnisses zu feiern und die Weichen für die Zukunft zu stellen. Höchste Priorität hat „die Fortsetzung und Angemessenheit der Unterstützung für die Ukraine“, sagte die finnische Außenministerin Elina Valtonen dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Russlands Aggression richtet sich gegen das gesamte Bündnis, nicht nur gegen die Ukraine oder Russlands Grenznachbarn.“ Die effektivste Weise, auf diese Bedrohung zu reagieren, sei, der Ukraine ausreichende Mittel zur Verteidigung ihrer Unabhängigkeit zu liefern.

Russlands Aggression richtet sich gegen das gesamte Bündnis, nicht nur gegen die Ukraine oder Russlands Grenznachbarn.

Elina Valtonen,

finnische Außenministerin

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Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) rief die Verbündeten zur verstärkten Unterstützung der Ukraine bei der Luftverteidigung auf. „Deutschland ist vorangegangen, indem wir jetzt ein drittes Patriot-System zur Verfügung gestellt haben, das für die Luftverteidigung sehr wichtig ist“, sagte Scholz am Dienstag in Berlin vor seinem Abflug in die US‑Hauptstadt. Man habe „aus sehr guten Gründen“ andere Staaten in Europa und in der Welt gebeten, mehr für die Fähigkeit der Ukraine zu tun, damit sie sich gegen russische Raketenangriffe wehren kann. Der Kanzler betonte, es sei „gut und richtig“, dass Europa, die USA und andere Verbündete die Ukraine finanziell, humanitär und eben auch mit Waffenlieferungen unterstützten. Die klare Botschaft sei: „Wir werden der Ukraine so lange beistehen, wie das erforderlich ist.“ Der russische Präsident Wladimir Putin werde nicht darauf setzen können, „dass er diesen Krieg gewissermaßen aussitzt und wartet, bis die Unterstützung für die Ukraine nachlässt“.

An diesem Mittwoch wollen die Regierungschefs dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj ein großes Ukraine-Paket übergeben. Ziel ist es, dem von Russland angegriffenen Land dauerhafte Unterstützung zuzusichern, unabhängig von Regierungswechseln und innenpolitischen Spannungen in den USA oder einem anderen Bündnisland. „Russland muss verstehen, dass es nicht den längeren Atem hat“, sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Putin müsse sich hinsetzen und eine Lösung akzeptieren, bei der die Ukraine als souveräner, unabhängiger Staate bestehen bleibe.

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Kernstück des Pakets ist das Nato Security Assistance and Training for Ukraine (NSATU), das die Koordinierung der Waffenlieferungen und der Ausbildung ukrainischer Soldaten von den USA in die Nato überführt. Eigentlich sollte es den Namen „Nato Mission für die Ukraine“ tragen, doch die deutsche Regierung befürchtete, dass dieser Name irrtümlich so verstanden werden könnte, dass das Bündnis Soldatinnen und Soldaten in die Ukraine schicken wolle. Die Ähnlichkeit zu Afghanistan Mission und Mali Mission sei zu groß und Russland könnte dies als Vorwand für Propaganda gegen die Nato nutzen, hieß es aus Berlin. Wenngleich andere Nato-Mitglieder die Sorgen nicht nachvollziehen konnten, einigte man sich schließlich auf einen anderen Namen.

Nun entsteht für die Ukraine-Hilfe ein eigenes Nato-Hauptquartier auf dem US‑Stützpunkt in Wiesbaden, wo schon bisher die Militärhilfe für Kiew koordiniert wurde. Die Ukraine soll auf Nato-Standard gehoben werden, und die westlichen Waffen treiben die „Natoisierung“ der Ukraine in Rekordtempo voran, heißt es aus Bündniskreisen. Ukrainische Soldaten bekommen Trainings auf Nato-Niveau, werden mit Nato-Taktiken vertraut gemacht und verwenden Nato-Standardwaffen. Von einem „unumkehrbaren Weg in Richtung Mitgliedschaft“ sprechen Nato-Diplomaten, eine Einladung soll beim Gipfeltreffen indes noch nicht an das sich im Krieg befindliche Land ausgesprochen werden. Zur Überbrückung gibt es eine ganze Reihe an bilateralen Sicherheitsabkommen, die Kiew schwere Waffen und Munition zusichern. Erst am Montag schloss Präsident Wolodymyr Selenskyj in Warschau ein Abkommen mit der Regierung von Donald Tusk ab. Polen prüfe demnach die Lieferung weiterer MiG‑29-Kampfjets an die Ukraine.

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Wenn Selenskyj aus Washington zurückkehrt, muss er aber mehr nach Kiew mitbringen. Das wissen auch die Nato-Verbündeten und so wollen sie sich auf ein Minimum von 40 Milliarden Euro Militärhilfe für ein Jahr verpflichten. Dies entspricht der Unterstützung im vergangenen Jahr, man will das Niveau also mindestens halten. Aus der Pattsituation auf dem Schlachtfeld kommt die Ukraine damit aber kaum heraus. „Zu viel zum Sterben, zu wenig für einen Sieg“, sagte ein Nato-Militär. Zumal es sich bei den 40 Milliarden um die gesamte Militärhilfe handelt, also auch um Waffen, die sich Staaten beispielsweise aus EU‑Mitteln erstatten lassen oder über bilaterale Abkommen versprochen haben. Welches Land wie viel der 40 Milliarden Euro bezahlt, darauf konnte man sich nicht einigen. Nur so viel: Zur fairen Lastenteilung soll das Bruttoinlandsprodukt zumindest „berücksichtigt“ werden.

Das Ukraine-Paket stammt von 31 der 32 Nato-Mitglieder. Ungarn gehört nicht dazu. Der ungarische Präsident Viktor Orban hatte hinter vorgehaltener Hand klargemacht, dass er alle Nato-Beschlüsse zur Ukraine blockieren werde, wenn er nicht von sämtlichen Verpflichtungen ausgenommen wird. Stoltenberg musste persönlich bei Orban in Budapest vorstellig werden und ihm versichern, sich nicht am Hilfspaket beteiligen zu müssen. Ungarn habe beim Krieg zwischen Russland und der Ukraine eine andere Position als die anderen Nato-Mitglieder, sagte Stoltenberg anschließend, und er könne daran nichts ändern. Was er aber ändern konnte: Ungarn blockiert die Beschlüsse zur Ukraine nicht länger und muss sich weder finanziell noch mit Personal oder Waffen beteiligen.

Die enge Verbindung Orbans zu Putin bereitet vielen Diplomaten innerhalb der Nato Sorgen. Erst in der vergangenen Woche war Orban persönlich nach Moskau gereist, um Gespräche mit dem Kreml zu führen. Kann man noch brisante Informationen in der Nato austauschen, wenn Ungarn mit am Tisch sitzt? Daran haben immer mehr Nato-Insider ihre Zweifel, vor allem aus Ländern an der Nato-Ostflanke.

Am Dienstagabend soll Orban mit am Tisch sitzen, wenn das 75‑jährige Bestehen der Nato mit einem Festakt gefeiert wird. Ob er dann von seiner jüngsten Reise zu Wladimir Putin und Xi Jinping berichtet? Im Vorfeld war zu hören, dass kaum ein Regierungschef besonders scharf darauf war, Orbans Reiseeindrücke zu hören. Beim Galadinner soll vor allem Stoltenberg seine Abschiedsshow mit Lobeshymnen bekommen, der das Bündnis zehn Jahre lang geprägt hat. Das Dinner findet im Andrew W. Mellon Auditorium statt, jenem Ort, an dem auch 1949 der Gründungsvertrag der Nato unterzeichnet wurde. Das Bündnis sei auf der Grundlage eines einzigen Versprechens gegründet worden, sagte der Norweger kurz vor der Feier: „Ein Angriff auf einen Verbündeten ist ein Angriff auf alle.“ Auf dieser Grundlage sei die Nato heute die mächtigste und erfolgreichste Allianz der Geschichte.

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