Goldgräberstimmung ist vorbei

„Letztes Jahr war ein Realitätscheck“: Wie deutsche Unternehmen auf China schauen

Ein Beschäftigter arbeitet an einem Fahrzeug am Montageband in einem Werk von FAW-Volkswagen in Jilinchangchun (Archivbild).

Ein Beschäftigter arbeitet an einem Fahrzeug am Montageband in einem Werk von FAW-Volkswagen in Jilinchangchun (Archivbild).

Peking. Wenn die deutsche Handelskammer lädt, dann muss es schon das Kempinski sein. Bei der Präsentation der alljährlichen Geschäftsumfrage am Mittwoch ist der Ballsaal derart mit internationalen und chinesischen Journalisten gefüllt, dass sich der geneigte Beobachter fast schon an die geschäftigen Zeiten vor der Pandemie erinnert fühlt. Nur: Die Stimmung der deutschen Unternehmen ist eine grundlegend andere. Zwar nicht mehr ganz so schlecht wie während der Lockdownjahre, das schon. Die Euphorie auf dem chinesischen Markt hat allerdings endgültig gelitten. Oder, wie es AHK-Vorstandsvorsitzender Ulf Reinhardt formuliert: „Letztes Jahr war ein Realitätscheck für deutsche Unternehmen in China.“

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So gehen rund zwei Drittel aller Firmen davon aus, dass die Schwächephase auf dem chinesischen Markt erst einmal anhalten wird. Dementsprechend unterziehen 44 Prozent ihr Geschäft einer aktiven Risikominderung, indem sie also etwa ihre Produktion in andere Märkte verlagern. Doch gleichzeitig hält sich weiterhin eine hartnäckige Hoffnung: Vier von fünf Konzernen glauben, dass es perspektivisch in den nächsten fünf Jahren in China wieder bergauf geht. Doch wer sich näher mit Wirtschaftsvertretern unterhält, bekommt jedoch auch unmissverständlich zu verstehen: Die alte Goldgräberstimmung im Reich der Mitte wird auf absehbare Zeit nicht zurückkommen.

China als „globales Fitnesscenter“ für deutsche Unternehmen

Dass es bei den deutschen Unternehmen nicht mehr rundläuft, hat zum Teil berechtigte Gründe: Die chinesische Konkurrenz hat schlicht in den letzten Jahren aufgeholt, ist schneller und besser geworden. Fast die Hälfte aller deutschen Unternehmen hält es für möglich, dass ein lokaler Mittbewerber während der nächsten Jahre die Branchenführerschaft in Sachen Innovation übernehmen könnte.

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Dies sollte schlussendlich auch positive Dynamik auslösen, frei nach dem Motto des ehemaligen, langjährigen Präsidenten der europäischen Handelskammer in Peking, Jörg Wuttke, der China stets als „globales Fitnesscenter“ bezeichnet: ein hart umkämpfter Markt, an dem man sich stählen kann. Denn wer sich hier trotz der brutalen Konkurrenz über Wasser halten kann, der ist für andere Regionen bestens gerüstet.

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Doch dies ist nur ein Teil der Wahrheit. „Deutschland und die deutschen Unternehmen sind bereit für mehr Wettbewerb mit China und seinen Unternehmen, solange dieser Wettbewerb nach fairen Regeln abläuft, einen transparenten Marktzugang ermöglicht und nicht auf verzerrenden Subventionen beruht“, sagt etwa Stephan Grabherr, stellvertretender Botschafter in Peking.

Der EU-Markt ist deutlich offener für chinesische Unternehmen als umgekehrt

Denn ein wesentlicher Mitgrund, dass die deutschen Unternehmen Marktanteile verlieren, ist struktureller Natur. Zum einen verhindert die chinesische Regierung mit protektionistischen Beschränkungen und Diskriminierung gegen Privatkonzerne dieselben Wettbewerbsbedingungen: Der EU-Markt ist deutlich offener für chinesische Unternehmen als umgekehrt.

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Hinzu kommt, dass das jahrzehntealte chinesische Wachstumsmodell geradezu auf Überkapazitäten ausgelegt ist, die man wiederum anderen Handelspartnern aufzwingen muss. Die Löhne von Arbeitern werden vom Staat künstlich niedrig gehalten – etwa, indem man keine unabhängigen Gewerkschaften zulässt –, die Währung wird aktiv abgewertet, und schlussendlich werden die eigenen Industrien durch flächendeckende Subventionen unterstützt. All dies führt zu Rekordexporten bei gleichzeitig schwachem Binnenkonsum.

Fotografie von einem rissigen Solarpanel

Gegen Chinas Solarübermacht reicht nicht allein ein Bonus

Die Bundesregierung streitet mal wieder: diesmal um Subventionen für heimische Solar­technik. Die staatlichen Hilfen sollen hiesigen Firmen im Kampf gegen chinesische Dumping­importe helfen. Doch es braucht viel mehr, meint Frank-Thomas Wenzel.

Deutschland sollte mit diesem Vorwurf bestens vertraut sein, schließlich lautete die Kritik vieler EU-Länder an der deutschen Volkswirtschaft ganz ähnlich. Nur ist die Unausgeglichenheit der Volksrepublik China um ein Vielfaches extremer: Historisch gesehen gab es wohl keine moderne Wirtschaftsmacht, deren Investitionsrate derart hoch und deren Binnenkonsum gleichzeitig so niedrig war. Laut Weltbank macht Chinas Wirtschaftsleistung derzeit 18 Prozent des globalen BIP aus und generiert sogar 32 Prozent der weltweiten Investitionen, doch gleichzeitig entfallen auf das Land nur 13 Prozent des globalen Konsums.

Solange China absolut gesehen noch keine allzu große Rolle für die Weltwirtschaft gespielt hat – und man gleichzeitig erfolgreich von dem riesigen Markt profitieren konnte –, wurde das Problem willentlich ignoriert. Nun jedoch, da immer mehr europäische Kernindustrien unter chinesischen Überkapazitäten leiden, schreitet die Politik ein.

Der chinesische Markt ist für europäische Unternehmen ein schwieriger Drahtseilakt

Die USA haben es unter dem damaligen Präsidenten Donald Trump vorgemacht, sein Nachfolger Joe Biden hat die protektionistischen Maßnahmen zum Schutz der heimischen Produzenten schlussendlich fortgeführt. Für die europäische Union hingegen, die auf dem Prinzip des Freihandels beruht, ist es ein deutlich schwierigerer Drahtseilakt. Doch vor wenigen Monaten hatte erstmals auch die EU-Kommission eine Untersuchung gegen Chinas potenziell wettbewerbsverzerrende Subventionen in der E-Mobilitäts-Branche eingeführt – noch mit offenem Ausgang.

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Dabei dürfte es sich nur um einen ersten Vorgeschmack handeln, denn es gibt bereits Gerüchte über weitere geplante Untersuchungen. Dabei ist klar, dass Peking auf jede Maßnahme mit Vergeltung reagieren wird. Der Schritt zu einem offenen Handelskrieg wäre dann nicht mehr weit.

Politisch wäre dieser von beiden Seiten nicht gewollt. Doch ausgeschlossen ist ein solches Szenario keineswegs. Denn fest steht: Bislang ist Chinas Staatsführung nicht gewillt, ihr Wachstumsmodell nachhaltig umzustellen. Denn dafür müsste die Parteiführung den Binnenkonsum anheben, was de facto bedeutet, dass der Staat seiner Bevölkerung mehr Ressourcen – und damit schlussendlich mehr wirtschaftliche, aber auch politische Macht – abgibt. Für einen Parteivorsitzenden wie Xi Jinping, dessen oberste Priorität der Machterhalt der kommunistischen Partei ist, stellt dies ein Risiko dar, welches er nicht eingehen möchte.

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