Kommentar zum AfD-Parteitag

Geschlossen und umso gefährlicher

Alice Weidel und Tino Chrupalla nach ihrer Wiederwahl als Parteichefs der Alternative für Deutschland (AfD) beim Parteitag in Essen.

Alice Weidel und Tino Chrupalla nach ihrer Wiederwahl als Parteichefs der Alternative für Deutschland (AfD) beim Parteitag in Essen.

Essen. Bei der AfD gab es bisher immer eine Konstante: Die Brüche, die Zerrissenheit der sich immer wieder häutenden Rechtspartei drangen auf den Parteitagen an die Oberfläche. Kampf­kandidaturen entwickelten sich zu erbitterten Auseinandersetzungen, Personaldebatten waren Stellvertreter­kämpfe tiefer inhaltlicher Konflikte.

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In Essen an diesem Wochenende scheint eine neue Partei aufzutreten. Eine „Altpartei“, in der alle Konflikte bereits im Vorfeld abgeräumt sind, in denen die Listenplätze im Hinterzimmer ausgekungelt werden. Die Parteivorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla werden beide ohne Gegenkandidaten mit sehr ordentlichen Ergebnissen wiedergewählt. Auch der Rest des vorher abgesprochenen Vorstands­tableaus geht durch, die Mehrzahl ebenfalls ohne Gegenkandidierende.

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Und die Anträge, bei denen Beobachter, auch der Autor dieser Zeilen, offenen Zoff erwartet hatten, werden entweder zurückgezogen oder entschärft. Keine Debatte mehr über den verkorksten Europawahlkampf und die halb verweigerte Solidarität mit den Skandal-Spitzenkandidaten Maximilian Krah und Petr Bystron.

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Und auch der Thüringer Rechtsextreme Björn Höcke, der bisher jede Zusammenkunft zur Selbstdarstellung genutzt hat, ist in der Essener Grugahalle dieses Mal fast unsichtbar, geht am ersten Tag kein einziges Mal ans Rednerpult. Die Debatte, ob die AfD von einer Einer­spitze geführt werden soll, wird nach wenigen Minuten abgebrochen und sich für das „Weiter-so“ entschieden.

Realistisches Erwartungsmanagement scheint die AfD nicht zu kennen

Selbstkritisch sind nur die Vorsitzenden: Man habe mindestens 4 Prozent bei der Europawahl liegen gelassen, räumt Chrupalla auf der Bühne ein. Bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg sieht der Parteichef schon „die Sonne der Regierungsbeteiligung im Osten aufgehen“.

Geschlossenheit hat die AfD gelernt, Erwartungs­management ist indes noch ein Fremdwort für sie. Und das ist ein Problem. Denn Chrupalla weiß es eigentlich besser: Auch wenn die AfD dreimal als stärkste Partei ins Ziel kommen könnte, die Regierungsbeteiligung ist mangels Koalitionspartnern dieses Mal noch äußerst unwahrscheinlich, wenn nicht ausgeschlossen.

ESSEN, GERMANY - JUNE 29: Alice Weidel, co-leaders of the far-right Alternative for Germany (AfD) political party, attends the AfD federal party congress on June 29, 2024 in Essen, Germany. The AfD achieved strong results in recent elections to the European Parliament. The party is now looking to elections scheduled for September in the German states of Thuringia, Brandenburg and Saxony, where it is currently in first place in polls in all three. (Photo by Thomas Lohnes/Getty Images)

Der „gärige Haufen“ gibt sich beim AfD-Parteitag handzahm

Die AfD trifft sich zum Bundesparteitag und vermeidet dabei offenen Streit. Stattdessen erklären die alten und neuen Parteivorsitzenden ihre gegenseitige Liebe. Drei Monate vor den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg versucht sich die AfD in Geschlossenheit und Professionalität.

Sollte aber die AfD im Herbst mit leeren Händen dastehen, wird der Essener Burgfrieden nicht lange halten. Denn die Differenzen zwischen den verschiedenen Parteigruppierungen sind nicht beigelegt, sondern nur unter dem Deckel gehalten.

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Auf dem Parteitag wird die faschistische Kraft radikalisiert und professionalisiert

Aber die Partei hat seit dem Chaos-Parteitag von 2015, ebenfalls in der Essener Grugahalle, massiv dazugelernt. Niemand kann mehr erwarten oder darauf hoffen, dass sich diese Partei auf dem Weg zur Macht selbst ein Bein stellt.

Und wer die Bewerbungsreden hört, kann keinen Zweifel mehr haben, dass sich hier eine offen faschistische Kraft gleichzeitig radikalisiert und professionalisiert. Die AfD ist vereint in ihrem Hass auf die liberale Demokratie der Bundesrepublik, auf die Gewaltenteilung, auf die offene Gesellschaft. Sie hat kaum noch ein parteiinternes Korrektiv. Am Stand der Jugend­organisation Junge Alternative werden neben Kraftpulver auch Aufkleber mit „Döp dödö döp“ verkauft, dort wird also das rassistische Gegröle zu Gigi d’Agostinos „L’amour toujours“ gefeiert. Bundesvize und Jurist Stephan Brandner, mit 90 Prozent wiedergewählt, droht demokratisch gewählten Politikern Prozess und Haftstrafen durch eine „entpolitisierte“, also gesäuberte Justiz an.

Die AfD ist im elften Jahr ihres Bestehens zwar nicht erwachsen, aber strategisch diszipliniert geworden. Und damit ist sie gefährlicher denn je.

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