Eine Frau mit braunem Haar und dunklem Anzug spricht in ein Mikrofon.
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Eklat im BMBF
Fördermittel-Affäre weiter im Aufklärungsmodus

Stark-Watzinger musste sich im Ausschuss und im Bundestag zur Fördermittel-Affäre erklären. Viele Fragen blieben offen, Antworten werden eingefordert.

04.07.2024

Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) hat sich im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung am Mittwochvormittag zur sogenannten Fördergeld-Affäre geäußert. Die Union hatte zuvor die Teilnahme Stark-Watzingers gefordert. Die Ministerin lehnte es während der Befragung weiterhin ab, ihren Rücktritt in Erwägung zu ziehen. Zudem machte sie deutlich, dass sie nur an der Beauftragung der rechtlichen Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit des offenen Briefes und dessen Unterzeichnung beteiligt gewesen sei. Von den anderen beiden Aufträgen habe sie erst im Nachhinein am 11. Juni erfahren.  

Im Ausschuss ging es um die Frage, ob und wie die Ministerin in Vorgänge in ihrem Haus im Zusammenhang mit einem Protestbrief von Berliner Dozentinnen und Dozenten, die die Räumung eines propalästinensischen Camps an der FU Berlin kritisiert hatten, eingebunden war. Stark-Watzinger hatte den im Mai veröffentlichten Brief kritisiert. Später waren Mails aus ihrem Ministerium an die Öffentlichkeit gelangt, aus denen hervorging, dass jemand an hoher Stelle im Hause um Prüfung gebeten hatte, inwieweit Aussagen im Protestbrief der Hochschullehrenden strafrechtlich relevant seien und ob das Ministerium als Konsequenz Fördermittel streichen könnte. Stark-Watzinger trennte sich in Folge von der Staatssekretärin Sabine Döring, die diesen Prüfauftrag veranlasst habe.

Auftrag Nr. 1: Abteilung 4 ordert Unterzeichnenden-Liste 

Als ersten Auftrag habe es laut Stark-Watzinger einen komplett separaten Vorgang auf der Fachebene ab dem 10. Mai gegeben. Dabei sei es um die Liste der Unterzeichnenden des offenen Briefs gegangen. Unter anderem sollte mit dieser nachvollzogen werden, in welchem Verhältnis die Unterzeichnenden des Briefes zum Ministerium stehen würden – auch in Bezug auf Fördermittel. 

Absicht der Abteilungsleitung 4 "Hochschul- und Wissenschaftssystem" sei die Sprechfähigkeit des Ministeriums in einer angesetzten Pressekonferenz gewesen. Die Ergebnisse hätten die Fachebene zu keinem Zeitpunkt verlassen und sie selbst habe erst am 11. Juni davon erfahren. Zum Verbleib dieser Liste merkte die Ministerin an, dass diese nach den Regeln der Aufbewahrungspflichten vernichtet würde. 

Auftrag Nr. 2: Dörings Anfrage zu Fördermittel-Sanktionen 

Stark-Watzinger sagte im Ausschuss, dass Staatsministerin Döring am 13. Mai 2024 telefonisch eine juristische Prüfung zu den Vorfällen an der Freien Universität Berlin beauftragt habe. Der Auftrag hätte von der Fachebene so verstanden werden können, dass sowohl eine rechtliche Prüfung als auch eine Prüfung möglicher förderrechtlicher Konsequenzen durchgeführt werden sollte. Staatsministerin Döring habe daraufhin erklärt, dass die Prüfung förderrechtlicher Konsequenzen nicht von ihr beabsichtigt gewesen sei. Die Prüfung förderrechtlicher Konsequenzen sei nach dem Tag der Veranlassung auch nicht weiterverfolgt worden, so die Bundesbildungsministerin. 

Sie selbst habe bis zum 11. Juni keine Kenntnis über den Vorgang gehabt, sagte die Ministerin. Sie habe den Auftrag, förderrechtliche Konsequenzen prüfen zu lassen, "nicht erteilt und auch nicht gewollt", führte sie im Ausschuss aus. Unmittelbar nachdem sie Kenntnis über den Auftrag erlangt habe, habe sie eine Sachstandsaufklärung veranlasst und sei daraufhin zu der Erkenntnis gelangt, dass eine Vertrauensbasis für die Zusammenarbeit mit Döring nicht mehr gegeben sei. 

Auftrag Nr. 3: Ministerin lässt Verfassungsmäßigkeit prüfen 

Die rechtliche Prüfung der Inhalte des offenen Briefes habe sie selbst schließlich am 17. Mai in Auftrag gegeben, bestätigte die Ministerin. Diese Prüfung habe ergeben, dass sich der Inhalt des offenen Briefes "im grundrechtlichen geschützten Bereich der Meinungsfreiheit" bewege. Die Inhalte des Briefes sehe sie dennoch kritisch, führte Stark-Watzinger aus. Sie forderte, dass sich jüdische Studierende und Lehrende an deutschen Hochschulen sicher fühlen müssten. Derzeit sei es jedoch so, dass sich einige jüdische Studierende bereits im zweiten Urlaubssemester befänden, da sie Angst hätten, in die Hochschulen zu gehen. Jüdische Lehrende seien Anfeindungen ausgesetzt. Die Forderung des offenen Briefes, pauschal Polizeieinsätze oder Strafen abzulehnen, empfinde sie daher als "mindestens kritikwürdig". 

Die Ministerin betonte die Bedeutung der Wissenschaftsfreiheit als "hohes Gut in unserer Demokratie". Sie erklärte, dass Fördermittel nach wissenschaftlicher Exzellenz und nicht nach politischer Weltanschauung vergeben würden, denn das sei das Kernprinzip der Wissenschaftsfreiheit. "Dafür stehe ich persönlich", konstatierte die Ministerin später noch bei der Befragung der Bundesregierung im Bundestag. 

Größtenteils skeptische Reaktionen im Bildungsausschuss 

Oliver Kaczmarek (SPD) forderte, dass das "angeknackste Vertrauen" wiederhergestellt werden müsse. So dürfe nie auch nur der Anschein entstehen, dass politische und nicht wissenschaftsgeleitete Entscheidungen im Ministerium getroffen würden. Auch Anja Reinalter (Grüne) befand, dass allein die Frage nach förderrechtlichen Konsequenzen einen gravierenden Vertrauensschaden mit sich gebracht habe. Sie plädierte erneut dafür, dass Hochschulen und Universitäten wieder sichere Orte für die Studierenden werden müssten. Stephan Seiter (FDP) forderte, dass die Politik nun vertrauensbildende Maßnahmen ergreifen müsse und machte deutlich, dass sich der Bundestag zur Wissenschaftsfreiheit bekenne. 

Für den bildungspolitischen Sprecher der Union, Thomas Jarzombek (CDU), sind viele Fragen in der Fördergeld-Affäre offen geblieben. Er kritisierte unklare oder ausbleibende Antworten der Ministerin im Ausschuss. Insbesondere die konkrete Nachfrage der CDU, wer genau am 10. Mai den Auftrag zur Erstellung einer Liste der Unterzeichnenden angeordnet habe, sei unbeantwortet geblieben. Stark-Watzinger hatte zuvor darauf hingewiesen, dass Namen auf der Mitarbeitendenebene aus Datenschutzgründen geschützt seien. 

Laut neuen Dokumenten von "FragDenStaat" sei der Prüfauftrag nicht erst am 13. Mai, sondern bereits am 10. Mai eingegangen, erklärte Nicole Gohlke (Die Linke). Dieser sei vom Pressereferat und Abteilungsleiter in Auftrag gegeben worden. Es sei daher fragwürdig, dass so viele Personen im Ministerium von dem Prüfauftrag wussten, aber nicht die Ministerin selbst, meinte Gohlke. Die Vorgänge hätten einen enormen Schaden angerichtet – im gesamten Wissenschaftsbereich müssten sich jene fürchten, die sich politisch äußern wollen, befand Ali Al-Dailami (BSW). Der Abgeordnete wollte erfahren, was passieren müsse, damit die Ministerin zurücktrete. Stark-Watzinger hat Fragen nach einem Rücktritt im Zusammenhang mit der Fördergeld-Affäre erneut zurückgewiesen. "Ich sehe dazu keine Veranlassung", erwiderte die FDP-Politikerin. 

Götz Frömming (AfD) sagte, es sei richtig, zu überlegen, was gegen die Bedrohung von jüdischen Studierenden getan werden könne. So dürften die Meinungsfreiheit und die Wissenschaftsfreiheit nicht dazu benutzt werden, israelbezogenen Judenhass weiter ausleben zu können. Rücktrittsforderungen an Stark-Watzinger seien somit inakzeptabel. 

Ähnliche Fragen und Antworten im Bundestagsplenum 

In der späteren Befragung der Bundesregierung, wo am gestrigen Mittwochnachmittag neben der Bildungsminisiterin auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck im Zentrum der Abgeordnetenfragen stand, wiederholte Stark-Watzinger in gekürzter Fassung ihre vor dem Bildungsausschuss getätigten Aussagen. Sie betonte, nach dem 7. Oktober 2023 habe ein nicht zu erwartender Antisemitismus Einzug gehalten. Zugleich machte sich Stark-Watzinger für die Wissenschaftsfreiheit stark, weil sich nur mit ihr die Fragen der Zukunft lösen ließen. 

Ausblick: Aufklärung noch nicht abgeschlossen 

"Das Kapitel Fördergeld-Affäre ist mit der Ausschuss- und Regierungsbefragung von Frau Stark-Watzinger nicht abgeschlossen. Vieles von dem, was zuletzt scheibchenweise bekannt wurde, deutet auf schwerwiegende strukturelle und kommunikative Defizite im Umfeld des Bundesbildungsministeriums hin, die nach einer gründlichen internen Aufarbeitung verlangen", erklärte der Präsident des Deutschen Hochschulverbands (DHV), Professor Lambert T. Koch im Anschluss an die Befragungsrunden. Es bleibe offen, ob es der Ministerin gelingen werde, zunächst vor allem ihr eigenes Haus wieder von sich zu überzeugen. Nur dann werde es auch nachhaltig möglich sein, gegenüber der Wissenschaft verlorengegangenes Vertrauen zurückzugewinnen. 

"Vieles von dem, was zuletzt scheibchenweise bekannt wurde, deutet auf schwerwiegende strukturelle und kommunikative Defizite im Umfeld des Bundesbildungsministeriums hin."
Professor Lambert T. Koch, DHV-Präsident

Die sogenannte Fördermittel-Affäre wird die Bildungsministerin weiter begleiten. Unter anderem durch eine kleine Anfrage der Partei Die Linke vom 18. Juni. Die Abgeordneten wollen unter anderem erfahren, ob nach Ansicht der Bundesregierung die Bundesbildungsministerin oder das BMBF ihre Kompetenzen überschritten hätten. Außerdem soll die Bundesregierung mitteilen, welche Konsequenzen sie nach der Fördergeld-Affäre ziehen wolle. Gefragt wird auch, wie das BMBF sicherstellen wolle, dass bei zukünftigen Förderentscheidungen die Unterzeichnenden des offenen Briefes und deren Projekte nicht benachteiligt würden.

Neue Vorwürfe und Gegenwehr seitens Wissenschaft 

Nach einem aktuellen Bericht des "Spiegel" (28.6.), habe es bereits am 22. Mai ein Gesprächsangebot von neun Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern per Brief an an Stark-Watzinger gegeben, die mit ihr den Austausch "abseits medialer Debatten" gewünscht hätten, um gemeinsam an den Herausforderungen der Hochschulen angesichts des Kriegs in Gaza zu arbeiten. Unter ihnen seien auch Unterzeichnende des umstrittenen offenen Briefs gewesen. Bis heute hätten Sie keine Reaktion aus dem BMBF bekommen. 

Darüber hinaus hätten diesem Bericht zufolge mindestens 50 der Unterzeichnenden inzwischen eine Anfrage gemäß Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) an das Ministerium gestellt, um mehr darüber zu erfahren, in welchem Zusammenhang ihre Daten dort gelistet und gespeichert worden seien. 

Transparenz- und Investigativ-Plattform hakt nach

Das Portal "FragDenStaat" hat zwischenzeitlich auch die Messenger-Kommunikation des BMBF im besagten Zeitraum 7. Mai bis 24. Juni nachgefordert und am 27. Juni Widerspruch gegen die bereits zugesandten Unterlagen eingelegt. Unter anderem sei das Schwärzen von Referatsbezeichnungen innerhalb der zur Verfügung gestellten E-Mail-Korrespondenz nicht durch den Schutz personenbezogener Daten zu rechtfertigen. 

Dem Eilantrag im Namen des "FragdenStaat"-Journalisten Arne Semsrot vom 28. Juni an das Kölner Verwaltungsgericht zur "Sicherung von Nachrichten über den Messenger-Dienst Wire im Zusammenhang mit einem Protestbrief von etwa 100 Lehrenden" wurde am 3. Juli stattgegeben. Im sogenannten Hängebeschluss des Kölner Gerichts heißt es dazu: "Der Antragsgegnerin wird bis zur Entscheidung des Gerichts in dem Eilverfahren 13 L 1211/24 aufgegeben, es sicherzustellen, dass Nachrichten über den Messengerdienst 'Wire (Bund)', die die Bundesministerin, ihr persönlicher Stab, die Staatssekretäre und Staatssekretärinnen sowie der weitere Leitungsstab im Zeitraum vom 7. Mai 2024 bis zum 24. Juni 2024 in Bezug auf den Protestbrief von etwa 100 Lehrenden gegen die polizeiliche Räumung einer propalästinensischen Demonstration an der Freien Universität Berlin gesendet und empfangen haben, nicht gelöscht werden". 

Das heiße laut "FragdenStaat", dass das Bildungsministerium die angefragten Wire-Nachrichten mindestens bis zum Abschluss des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nicht löschen dürfe. 

Stark-Watzinger schlägt neuen Staatssekretär im BMBF vor 

Wie am 1.7. bekannt gegeben wurde, wird die Bundesministerin den Ministerialdirektor Dr. Roland Philippi zur Ernennung zum Staatssekretär im BMBF vorschlagen. Dazu erklärt die Bundesministerin für Bildung und Forschung Bettina Stark-Watzinger, er verfüge über langjährige Verwaltungserfahrung auf Bundes- und Landesebene sowie breite bildungs-, wissenschafts- und forschungspolitische Expertise. Aufgrund seiner bisherigen Tätigkeit als Leiter der Grundsatzabteilung habe er hervorragende Kenntnisse in sämtlichen Themenfeldern des Ressorts und könne seine neue Funktion verzugslos übernehmen. "Zudem kam ihm eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung der Zukunftsstrategie Forschung und Innovation der Bundesregierung sowie bei der Konzeption der Deutschen Agentur für Transfer und Innovation (DATI) zu. Mit Dr. Philippi wird diese für die Bildungs- und Forschungspolitik in Deutschland zentrale Stelle hochqualifiziert und zügig besetzt", ergänzte Stark-Watzinger.

 

Dieser Artikel wurde am 4.7. um 11:35 Uhr zum zweiten Mal aktualisiert (Hängebeschluss Kölner Verwaltungsgericht). Erste Ergänzungen wurden am 1.7. durchgeführt (neue Erkenntnisse Gegenwehr Wissenschaft und Vorschlag für Staatsminister). Die Erstveröffentlichung war am 27.6.

cva