Eine blonde Frau vor einem Mikrofon macht einen sehr niedergeschlagenen Gesichtsausdruck und hat die Augen geschlossen.
picture alliance/dpa | Harald Tittel

Eklat im BMBF
Nach Kritik von Hochschullehrenden soll Döring gehen

Hochschullehrende hatten in einem offenen Brief Kritik geübt. Das Ministerium prüfte Sanktionen. Nun muss die Staatssekretärin gehen.

18.06.2024

Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger will ihre Staatssekretärin Professorin Sabine Döring in den einstweiligen Ruhestand versetzen lassen. Darum habe sie Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gebeten, teilte die FDP-Politikerin am Sonntagabend über ihr Ministerium mit. Hintergrund sei ein Prüfauftrag zu möglichen Konsequenzen für Hochschullehrende, die einen offenen Brief zum Umgang mit propalästinensischem Protest an Berliner Hochschulen unterzeichnet hatten. 

Am 11.06.2024 sei ihr eine E-Mail aus der Fachebene ihres Ministeriums zur Kenntnis gebracht worden, welche die Prüfung potentieller förderrechtlicher Konsequenzen für die Unterzeichnenden des besagten offenen Briefes zum Gegenstand habe. Das wolle sie nun einordnen.

"Die Wissenschaftsfreiheit ist ein sehr hohes Gut und zu Recht verfassungsrechtlich geschützt", erklärte Stark-Watzinger. Der entstandene Eindruck sei geeignet, das Vertrauen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in das Bundesbildungsministerium "nachhaltig zu beschädigen". 

Stark-Watzinger hatte den Brief damals öffentlich kritisiert. Kürzlich berichtete das ARD-Magazin "Panorama" unter Berufung auf interne E-Mails, im Bildungsministerium sei hausintern um eine Prüfung gebeten worden, ob als Konsequenz aus dem Brief Fördermittel gestrichen werden können. Dies hatte für Kritik gesorgt. 

Prüfung förderrechtlicher Konsequenzen erbeten worden

"Ich habe veranlasst, dass der Sachverhalt gründlich und transparent aufgearbeitet wird", erklärte Stark-Watzinger. "Fest steht, dass eine Prüfung potenzieller förderrechtlicher Konsequenzen bei den zuständigen Fachreferaten in der Tat erbeten wurde." 

Die für die Hochschulabteilung zuständige Staatssekretärin Döring habe den Prüfauftrag veranlasst. "Ebenfalls hat sie erklärt, dass sie sich bei ihrem Auftrag der rechtlichen Prüfung offenbar missverständlich ausgedrückt habe. Nichtsdestotrotz wurde der Eindruck erweckt, dass die Prüfung förderrechtlicher Konsequenzen auf der Basis eines von der Meinungsfreiheit gedeckten offenen Briefes im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) erwogen werde." 

"Ich habe veranlasst, dass der Sachverhalt gründlich und transparent aufgearbeitet wird."
Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger

Das widerspreche den Prinzipien der Wissenschaftsfreiheit, so die FDP-Politikerin. "Prüfungen förderrechtlicher Konsequenzen wegen von der Meinungsfreiheit gedeckten Äußerungen finden nicht statt", betonte Stark-Watzinger. 

Geteilte Reaktionen auf personelle Maßnahme

Die Entscheidung von Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger, sich im Zuge der Fördergeld-Affäre von ihrer Staatssekretärin Sabine Döring zu trennen, ist laut Deutscher Presseagentur auf ein geteiltes Echo gestoßen. Vom Koalitionspartner SPD werde der Schritt begrüßt. Unionspolitiker kritisierten ihn scharf, würden von einem Bauernopfer sprechen und forderten Stark-Watzinger dazu auf, selbst zurückzutreten.

In der SPD wird der Schritt von Stark-Watzinger begrüßt. "Es ist gut, dass Bundesministerin Stark-Watzinger jetzt aufklärt und schwerwiegende Konsequenzen zieht. Nun muss verloren gegangenes Vertrauen zurückerkämpft und sichergestellt werden, dass sich solche Vorgänge nicht wiederholen und Förderentscheidungen so wie bisher ausschließlich wissenschaftsgeleitet sind", schrieb der bildungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Oliver Kaczmarek bei "X". Wissenschaftsfreiheit sei nicht verhandelbar und das Fundament auch für die Zusammenarbeit in der Ampel-Koalition.

"Nun muss verloren gegangenes Vertrauen zurückerkämpft werden."
Oliver Kaczmarek, bildungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion 

Ähnlich äußerte sich der dpa zufolge der Vorsitzende des Bundestagbildungsausschusses, Kai Gehring (Grüne). Die Leitung des Ministeriums "hat den schwerwiegenden Vorgang intern aufgearbeitet und ist dabei zu der Entscheidung gelangt, dass personelle Konsequenzen unausweichlich waren", sagte er. Es sei wichtig, dass sich die Spitze des Hauses klar zur Wissenschaftsfreiheit bekannt habe. "Dieser klare Weg muss nun glaubwürdig fortgesetzt werden, um verloren gegangenes Vertrauen wiederherzustellen."

Der bildungs- und forschungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Thomas Jarzombek, forderte die Ressortchefin zum Rücktritt auf. "Bundesministerin Stark-Watzinger hat Recht: Ein personeller Neuanfang im BMBF ist notwendig. Sie muss diesen Schritt jetzt selbst vollziehen", erklärte er. "Es war ihre Ansage, dass sich die Dozentinnen und Dozenten mit ihrem Brief nicht auf dem Boden des Grundgesetzes befänden." Damit habe sie die Richtung für das Ministerium vorgegeben. "Dass sie dies mit keinem Wort einordnet, spricht Bände über die tatsächlichen Abläufe." Schleswig-Holsteins Bildungsministerin und CDU-Vize Karin Prien – die Bildungsministerin Stark-Watzinger auch bei anderen Themen immer wieder hart kritisiert – schrieb bei "X", Döring werde "zum Bauernopfer gemacht".

Der Präsident des Deutschen Hochschulverbands (DHV), Professor Lambert Koch, hält das Vertrauen in die Bildungsministerin für erschüttert: "Stark-Watzinger, die sich der politischen Letztverantwortung nicht entziehen kann, bleibt angezählt. Dass ihre Staatssekretärin in einer politisch so sensiblen Angelegenheit ohne ihr Wissen einen Prüfauftrag vergibt, ist wenig glaubwürdig." Er betonte mit Blick auf die Ministerin: "Sehr vielen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern hat sie auch vorher mit ihrer oftmals unglücklichen Kommunikation vor den Kopf gestoßen. Das Vertrauen zu ihr ist innerhalb der Wissenschaft erschüttert."

"Stark-Watzinger, die sich der politischen Letztverantwortung nicht entziehen kann, bleibt angezählt."
Professor Lambert Koch, DHV-Präsident

Stark-Watzinger sieht keine Veranlassung für ihren Rücktritt

Das Bundesbildungsministerium hat inzwischen die Entlassung von Staatssekretärin Sabine Döring gerechtfertigt. Die Ministerin habe die in einer Mail aus der Fachebene thematisierte Prüfung förderrechtlicher Konsequenzen "weder beauftragt noch gewollt", sagte eine Sprecherin am Montag in Berlin. Sie sei im Zuge der noch laufenden Aufklärung des Falles zu der Überzeugung gelangt, dass eine ausreichende Vertrauensbasis zu Döring für die weitere Zusammenarbeit nicht mehr gegeben sei.

Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger lehnt einen Rücktritt im Zusammenhang mit der Fördergeld-Affäre ab. "Dazu sehe ich keine Veranlassung", sagte die FDP-Politikerin am Montag in Berlin vor Journalistinnen und Journalisten auf entsprechende Nachfragen. "Ich habe den betreffenden Auftrag, förderrechtliche Konsequenzen prüfen zu lassen, nicht erteilt und auch nicht gewollt", sagte die Ministerin.

"Ich habe den betreffenden Auftrag, förderrechtliche Konsequenzen prüfen zu lassen, nicht erteilt und auch nicht gewollt."
Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger

Bildungsministerin zeigt sich nach wie vor "fassungslos" 

In einem "Statement von Lehrenden an Berliner Universitäten" hatten mehr als 100 Dozierenden von mehreren Berliner Hochschulen im Mai die Räumung eines Protestcamps propalästinensischer Demonstranten an der Freien Universität Berlin kritisiert. Stark-Watzinger hatte damals entsetzt auf den Unterstützerbrief reagiert. 

"Es macht mich bis heute fassungslos, wie einseitig in diesem Brief der Terror der Hamas ausgeblendet wurde", erklärte sie nun. "Und wie dort etwa pauschal gefordert wurde, Straftaten an den Universitäten nicht zu verfolgen, während gleichzeitig antisemitische Volksverhetzung und gewalttätige Übergriffe gegen jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger zu beobachten sind."

Dieser Artikel wurde am 18.6. um 10:00 Uhr zum zweiten Mal aktualisiert (Ergänzung weiterer Reaktionen und Stellungnahmen) und am 17.6. vormittags erstmals veröffentlicht. 

dpa/cva