Aus Einrichtungen der Sozialen Arbeit gibt es eine steigende Zahl an Presseberichten über Gewalt gegenüber Adressat_innen. Zeigen sich entsprechende Tendenzen in einer Befragung von über 8200 Beschäftigten der Sozialen Arbeit und gibt es eine Veränderung während der Coronapandemie?

Seit 2022 mehren sich in verschiedenen Medien und mit Blick auf unterschiedliche Bundesländer Berichte über erheblich steigende Gewalt von Fachkräften an Adressat_innen (hr 2023a; Bub 2023). Diese Berichte basieren jeweils auf unterschiedlichen Quellen sowie Datengrundlagen, so dass sich hieraus keineswegs ein bundeseinheitliches Bild zur Situation in den diversen Einrichtungen der unterschiedlichen Handlungsfelder Sozialer Arbeit (Meyer und Siewert 2021) zeichnen lässt. Gleichwohl stellen bestätigte Fälle physischer, psychischer, sexualisierter Gewalt oder entsprechender Mischformen (Bundschuh und Glammeier 2023) Brüche professioneller Normen dar und müssen Gegenstand der (Selbst‑)Aufklärung der Berufsgruppe wie der Öffentlichkeit sein.

Soziale Arbeit während der Coronapandemie

Nun verweisen einige Publikationen auf Zusammenhänge zwischen gewaltförmigen Konstellationen in Einrichtungen der Sozialen Arbeit sowie hohen Belastungswerten durch die Arbeitsbedingungen und eigene personale Ressourcen (Müller et al. 2023; Remsperger-Kehm und Boll 2021; Kalicki 2014; Remsperger 2011). Gerade während der Coronapandemie stieg die empfundene Arbeitsbelastung der BeschäftigtenFootnote 1 aus drei Gründen erheblich an (Buschle und Meyer 2020; Meyer und Buschle 2021; Meyer und Alsago 2021, 2023):

  • wegen der sich verschlechternden Lebenssituation der bereits vor Ausbruch der Coronapandemie ins Hilfesystem eingebundenen Adressat_innen,

  • wegen einer steigenden Zahl neuer Adressat_innen sowie

  • wegen erheblicher Mehrarbeit wegen fehlenden Personals

„Im Ergebnis fühlen sich 65,8 % der Befragten (n = 5689) gehetzt oder unter Druck. 60,9 % der Befragten (n = 6076) gehen regelmäßig an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit. Untersucht man vor diesem Hintergrund das Burnout-Risiko der Beschäftigten (n = 5860), so zeigen sich bundesweit und über alle Handlungsfelder Sozialer Arbeit hinweg hohe berufliche Erschöpfungswerte“ (Meyer und Alsago 2023, S. 247). Der vorliegende Beitrag untersucht nun auf Basis der dritten Online-BefragungFootnote 2 aus dem November 2022 mit rund 8210 verwertbaren Fragebogen die Einschätzungen von Beschäftigten unterschiedlicher Handlungsfelder Sozialer Arbeit mit Blick auf deren Wahrnehmungen von psychischer wie physischer Gewalt durch und gegen Adressat_innen vor sowie während der Coronapandemie. Im Fokus stehen der mögliche Zusammenhang zwischen sich verschlechternden Arbeitsbedingungen (Schell-Kiehl et al. 2022) und Gewalt gegenüber Adressat_innen sowie mögliche Zusammenhänge mit anderen Dimensionen des Arbeitsalltags. Als Gewalt wird dabei der „Gebrauch von angedrohtem oder tatsächlichem körperlichen Zwang oder physische Macht gegen die eigene oder eine andere Person, gegen eine Gruppe oder Gemeinschaft, der entweder konkret oder mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Verletzung, Tod, psychischen Schäden, Fehlentwicklungen oder Deprivation führt“ (Krug et al. 2002, S. 5), verstanden.

Gewalt durch Beschäftigte der Sozialen Arbeit

Im Fragebogen wurden die Beschäftigten nach psychischen und physischen Gewaltformen gegenüber Adressat_innen befragt.Footnote 3 Insgesamt berichten 37,1 % der Befragten (n = 5885) von psychischer Gewalt durch Beschäftigte gegenüber Adressat_innen vor Ausbruch der Coronapandemie (s. Abb. 1) – dies meint in der hier vorgestellten Studie u. a. Bevormunden, Niederbrüllen, Ignorieren, soziales Isolieren, Drohen, Beschimpfen (Bundschuh und Glammeier 2023, S. 28). Diese Quote steigt prozentual während der Coronapandemie um über 11 auf 41,5 % (n = 5661) an.

Abb. 1
figure 1

Häufigkeit von psychischer Gewalt durch Beschäftigte an Adressat_innen vor und während der Coronapandemie (Angaben in Prozent, eigene Darstellung)

Damit gibt nur etwas mehr als jede zweite Person an, dass es in ihrer Einrichtung vor Ausbruch der Coronapandemie nicht zu psychischer Gewalt gegenüber Adressat_innen gekommen sei. Während der Coronapandemie steigt die Zahl der Beschäftigten noch weiter an, in deren Einrichtung es zu psychischer Gewalt von Beschäftigten gegenüber Adressat_innen kommt. Bei einer genaueren Analyse der vorliegenden Daten zeigt sich, dass psychische Gewalt gegenüber Adressat_innen in den Handlungsfeldern Sozialer Arbeit (van Rießen und Bleck 2023) unterschiedlich stark präsent ist: Besonders häufig in der so genannten Behinderten- sowie der Suchthilfe, der Arbeit mit arbeitslosen Menschen sowie der Elementarbildung, der Kinder‑/Jugendhilfe und der migrationsbezogenen Sozialen Arbeit.

Wechselt man auf die Ebene der Arbeitsweise der Organisation (Mund 2019) – also stationär, teilstationär oder ambulant – zeigen sich bei psychischer Gewalt durch Beschäftigte an Adressat_innen vor der Coronapandemie nur geringe Unterschiede, wenn diese auch am stärksten im stationären und am geringsten im ambulanten Bereich auftreten. Dieser Trend setzt sich in der Coronapandemie mit insgesamt ansteigenden Werten fort, wobei ein besonders starkes Wachstum psychischer Gewalt gegenüber Adressat_innen im teilstationären Bereich zu verzeichnen ist. Auch physische Gewalt – hierzu zählen im vorliegenden Beitrag u. a. Schupsen, hartes Anpacken, Schütteln bis hin zu schweren Formen wie Beißen oder Fixieren (Bundschuh und Glammeier 2023, S. 28) – ist aus Sicht der Beschäftigten gegenüber Adressat_innen vorhanden und steigt während der Coronapandemie deutlich um über zehn auf 24,7 % an (s. Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Häufigkeit von physischer Gewalt durch Beschäftigte an Adressat_innen vor und während der Coronapandemie (Angaben in Prozent, eigene Darstellung)

Auch diese Dimension ist in den Handlungsfeldern unterschiedlich häufig vorhanden, wobei die bei psychischer Gewalt gegenüber Adressat_innen genannten Handlungsfelder auch bei physischer Gewalt gegenüber Adressat_innen in der gleichen Reihenfolge angeführt werden. Insgesamt deutet sich ein Zusammenhang zwischen psychischer und physischer Gewalt gegenüber den eigenen Adressat_innen vor und während der Coronapandemie an.Footnote 4 Differenziert man auch hier, gerade vor dem Hintergrund totaler Institutionen (Goffman 2016), nach der Arbeitsweise der Einrichtung, so waren vor (n = 3379) und während (n = 3370) der Pandemie besonders selten ambulante Einrichtungen (18,6/19,4 %) von physischer Gewalt betroffen, während stationäre (30/32,5 %) und teilstationäre (36,8/40,9 %) Einrichtungen häufig berührt werden.

Unterscheidet man schließlich nach Trägerarten (z. B. öffentlicher Dienst, Freie Wohlfahrtspflege, Kirche), so zeigen sich kaum relevante Zusammenhänge zum Erleben von psychischer und/oder physischer Gewalt in der eigenen Einrichtung, ebenso wenig wie mit Blick auf die verschiedenen Qualifikationen (z. B. Sozialassistent_in, Erzieher_in, Studium Soziale Arbeit sowie fachfremde Ausbildung oder Studium) oder die Unterscheidung zwischen Fach- und Leitungskräften.

Gewalt gegenüber Beschäftigten der Sozialen Arbeit

In den Einrichtungen der Sozialen Arbeit haben sich während der Coronapandemie auch aggressives Verhalten der Adressat_innen gegenüber Beschäftigten ebenso wie allgemeine Konflikte zwischen Beschäftigten und Adressat_innen und/oder deren Angehörigen deutlich gesteigert (s. Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Häufigkeit von Konflikten zwischen Beschäftigten und Adressat_innen/Angehörigen vor (n = 6310) und während der Coronapandemie (n = 6076) sowie Häufigkeit aggressiven Verhaltens von Adressat_innen gegenüber Beschäftigten vor (n = 6311) sowie während der Coronapandemie (n = 6076) (Angaben in Prozent, eigene Darstellung)

Dabei ist der Anstieg bei aggressivem Verhalten aus Sicht der befragten Beschäftigten vor allem mit der Notwendigkeit zu erklären, dass sie Adressat_innen und/oder deren Angehörige auf die Einhaltung der coronabedingten Schutzmaßnahmen hinweisen mussten (21,2 %), sich Problemlagen bei den Adressat_innen verschärften (19,3 %), unerfüllbare Erwartungen der Adressat_innen miteinander besprochen (16,9 %) oder konfrontativ aufgezeigt werden mussten (13,2 %) sowie psychische Grunderkrankungen (13,3 %) die Interaktion erschwerten. Eine Unterscheidung nach der Arbeitsweise wie nach dem Träger ergibt keine aufschlussreichen Zusammenhänge, vielmehr sind Konflikte und aggressives Verhalten von Adressat_innen in beiden Dimensionen sowohl vor wie während der Coronapandemie relativ gleich verteilt. Diese spielen auch mit Blick auf die Möglichkeit einer Verletzung der Beschäftigten durch Adressat_innen während der Arbeitszeit keine relevante Rolle. Hier geben 6,4 % der Befragten (n = 6204) an, dass sie vor der Coronapandemie durch Adressat_innen verletzt worden seien. Dieser Anteil ist während der Coronapandemie dann leicht auf 5,7 % gesunken. Aus den vorliegenden Daten ergeben sich keine Erklärungen für diese Entwicklung. Es bleiben Unklarheiten: So gibt es beispielsweise keinen statistischen Zusammenhang zwischen physischen und psychischen Gewaltformen gegenüber Adressat_innen einerseits und Gewalt gegenüber Beschäftigten andererseits. Anders ausgedrückt: Es lässt sich nicht sagen, dass Gewalt durch Beschäftigte gegenüber Adressat_innen auch Gewalt durch diese gegenüber Beschäftigten oder umgekehrt auslöst.

Arbeitsbedingungen und Gewalt

In der Untersuchung der verschiedenen Gewaltdimensionen wird deutlich, dass weder die verschiedenen Trägerarten (z. B. staatlich, kirchlich) noch die Arbeitsweise der Einrichtung (z. B. stationär) als alleinige Determinanten zur Erklärung von Gewalt in Einrichtungen der Sozialen Arbeit hinreichend sind. Ungeklärt ist, ob die zum Teil prekären Arbeitsbedingungen in der Sozialen Arbeit Effekte mit Blick auf Gewalt in Einrichtungen haben. Hintergrund dieser Hypothese ist, dass in der diesem Beitrag zugrunde liegenden Studie (Meyer und Alsago 2023) gezeigt wurde, dass eine der Hauptursachen für die durch die befragten Beschäftigten wahrgenommene „Arbeitsverdichtung, neben der wachsenden Zahl von Adressat:innen beziehungsweise den komplexer werdenden Fallkonstellationen [während der Coronapandemie, A.d.A.], […] aus Sicht der Beschäftigten (n = 5690) die höhere Arbeitsmenge aufgrund fehlender Kolleg:innen (69,3 %) [ist]“ (ebd., S. 246f.). Fragt man vor diesem Hintergrund, welche Auswirkungen diese drei Aspekte auf gewalttätige Situationen haben, so zeigen sich in den vorliegenden Daten zunächst auf den ersten Blick keine signifikanten Zusammenhänge. Lediglich mittlere Zusammenhänge lassen sich zwischen dem Verzicht auf gesetzlich festgelegte Erholungspausen während der Coronapandemie sowie einer hohen Zahl an Konflikten (r = 0,305) bzw. aggressivem Verhalten der Adressat_innen (r = 0,305) nachweisen. Gerade auf Pausen verzichten besonders häufig jene Beschäftigten in der Sozialen Arbeit während der Coronapandemie, wenn sie wegen fehlender Kolleg_innen Mehrarbeiten leisten (r = 0,532).

Wenn es also auch keinen unmittelbaren statistischen Zusammenhang gibt, deutet sich eine Verbindung zwischen den empfundenen Arbeitsbedingungen und der erlebten Gewalt in Einrichtungen der Sozialen Arbeit an: Auf gesetzlich festgelegte Erholungspausen (42,4 %) wird in der Praxis (n = 6312) ebenso verzichtet (+25,1 %) wie auf ausreichende Genesungszeiten bei einer Erkrankung. Immerhin erschienen in den vergangenen zwölf Monaten (11/2021–2022) rund 45,2 % der Befragten eine Arbeitswoche (fünf Tage) oder mehr krank zur Arbeit (n = 6076).Footnote 5 Diese steigende Belastung durch widrige Arbeitsbedingungen wirkt sich auf das Burnout-Risiko aus (Meyer und Alsago 2023) und steht statistisch in einem mittleren Zusammenhang mit der Zahl der Konflikte wie des aggressiven Verhaltens. Gleichwohl ist aus unterschiedlichen Forschungsbereichen deutlich ein Zusammenhang zwischen beruflichen Belastungen und der Zahl der Konflikte nachzuweisen (Kahl und Bauknecht 2023): Gewalt in Einrichtungen der Sozialen Arbeit ist aus dieser Perspektive das Ergebnis von einer steigenden Zahl an Konflikten und einer sich hochschaukelnden aggressiven Stimmung, der dann von beiden Seiten irgendwann Taten folgen.

Worte stehen, so das Fazit dieses Beitrags, am Anfang von Akten der Gewalt (Meyer 2016). Insofern müssen neben bereits intensiv diskutierten institutionellen Aspekten wie Gewaltschutzkonzepten (Maywald 2019), auch weitere Dimensionen wie Arbeitsbedingungen und Gefährdungsanalysen durch die Einrichtungsträger in den Blick genommen werden. Dringend muss der Fachkraftmangel fokussiert werden, wobei die aktuelle Fehlentwicklung kaum kurzfristig bei der Beibehaltung professioneller Qualitätsstandards gelöst werden kann. Eine Studie im Kontext der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in kirchlichen Kinderheimen (Müller et al. 2023) zeigt deutlich, dass gewaltförmige Konstellationen in Einrichtungen der Sozialen Arbeit sowohl durch die „Beschäftigungs- und Verweildauer des Personals“ wie auch durch „oft gänzlich fehlende oder mangelnde pädagogische Ausbildung“ (ebd., S. 23) möglich werden. Keine Lösung kann insofern die Gewinnung fachfremden Personals zur Deckung des Personalbedarfs sein, wie es in einigen Bundesländern mit Blick auf die Kinder‑/Jugendhilfe diskutiert wird (hr 2023b).

Auf der Ebene der Berufsgruppe bedarf es parallel dazu einer Diskussion über die professionellen Standards, diese haben sich während der Coronapandemie bei einer großen Mehrheit der Beschäftigten verändert (Meyer und Alsago 2023), sowie einer berufsethischen Reflexion der Machtbedingungen. Mit Blick auf die während der gesamten Coronapandemie nur geringe Steuerung der Schutzmaßnahmen für die Beschäftigten durch die Träger wäre außerdem eine intensivere Überwachung der Arbeitsschutzrichtlinien in der Sozialen Arbeit durch die zuständigen staatlichen Stellen anzuraten. Außerdem sollte das Personal mit Blick auf die Wahrnehmung eigener Ressourcen besser geschult werden, um mit herausfordernden Situationen umzugehen.

Insgesamt zeigen die Untersuchungen der Arbeitsbedingungen während der Coronapandemie sowie an deren Ende erhebliche Veränderungen innerhalb der Arbeitsabläufe (Meyer und Alsago 2023, 2021; Meyer et al. 2022; Buschle und Meyer 2020), die zumeist aus Vorgaben anderer Akteur_innen (z. B. Politiker_innen, Träger_innen) resultieren und unmittelbar wie mittelbar Einfluss auf den Alltag der Beschäftigten haben. Diese erleben, dass scheinbar klare berufliche Standards keineswegs im Verantwortungsbereich der Berufsgruppe liegen. Vielmehr werden Berufsethik wie Einrichtungskonzeptionen, beides normative Grundlagen der Arbeit, als kurzfristig änderbar durch Dritte erlebt. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie zeigen somit auch, wie wenig stark berufsethische Standards im Alltag Sozialer Arbeit etabliert sind und damit auch nicht als relevante Leitlinien gelten. Gleichzeitig gibt es offenbar, obwohl viele Beschäftigte von den Missständen in der eigenen Einrichtung wissen, kaum Kulturen der inneren Gerichtsbarkeit.

Diese Befunde sind alarmierend: Es scheint keineswegs ein einheitliches Fundament für die eigene Arbeit zu geben, was wiederum Folgen für eigene Autonomie gegenüber der Gesellschaft – ein zentrales Professionsmerkmal – hat. Wo die Berufsgruppe weder Zu- noch Durchgriff hat, können sich alle Arten von Arbeitsabläufen, auch dysfunktionale, ergeben. Es fehlt am Ende die Macht der Berufsgruppe, in den eigenen Reihen für eine berufsethisch begründete Etablierung von als authentisch etikettierten Arbeitsabläufen zu sorgen. Für die Zukunft wird zu klären sein, welche professionstheoretisch relevanten Folgen die Coronapandemie hat und wie sich die zunehmende Arbeitsverdichtung sowie veränderte Rahmenbedingungen auf die Prozesse der Professionalisierung Sozialer Arbeit auswirken.