Hintergrund

Die Infektion durch „severe acute respiratory syndrome coronavirus type 2“ (SARS-CoV-2) mit der daraus folgenden Coronavirus Disease 2019 (COVID-19) wurde zunächst als eine nur den Respirationstrakt betreffende Krankheit wahrgenommen. Die medizinischen Bemühungen der ersten Monate der Pandemie richteten sich daher zum Großteil auf das Verständnis der Pathogenese und der Etablierung geeigneter Therapien bei COVID-bedingten Lungenerkrankungen. Mittlerweile gibt es jedoch ein umfangreiches Wissen zum systemischen COVID-19-Symptomkomplex mit den wechselseitigen Beeinflussungen von Darm und COVID-19 bis hin zur Erarbeitung protektiver oder schädlicher Darmmikrobiomkompositionen [1]. Ein wichtiges Forschungsfeld der Arbeitsgruppe der Autoren mit den Kooperationspartnern im mitteldeutschen Raum war die Beantwortung zahlreicher Fragen der Patient*innen mit einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung (CED). In dieser Übersicht sollen die Evidenzen zusammengefasst werden.

SARS-CoV-2-Infektionsrisiko bei CED

Systematische Befragungen von Patient*innen mit CED belegen, dass sie sich zu Beginn der Pandemie sorgten, dass bei ihnen ein erhöhtes Risiko für eine Infektion mit SARS-CoV‑2 und/oder einen schweren COVID-19-Verlauf besteht [2,3,4]. Anfänglich wurde die Frage, wie hoch das Risiko für eine SARS-CoV-2-Infektion bei CED-Patient*innen ist, aus Daten zum erhöhten Risiko, an Influenza zu erkranken, extrapoliert [5]. Bereits früher beschrieben Ko und Mitarbeiter für Patient*innen im ersten CED-Krankheitsjahr eine infektionsbedingte Hospitalisierung von 7,9 %. Dabei waren mehr als ein Drittel der stationären Aufnahmen durch Infektionen des Respirationstrakts bedingt und damit häufiger als Infektionen des Gastrointestinaltrakts [6]. Die ersten epidemiologischen Daten zu Beginn der Coronapandemie deuteten hingegen darauf hin, dass CED-Patient*innen kein erhöhtes Risiko für eine SARS-CoV-2-Infektion bzw. eine COVID-19-Erkrankung haben [7,8,9]. Vor diesem Hintergrund war eine große multizentrische Kohortenstudie aus den europäischen Coronahotspots der 1. Welle (Norditalien, England, Frankreich, Spanien, Portugal, Griechenland, Russische Föderation und Israel) mit 23.879 CED-Patient*innen von besonderem Interesse. In dieser wurde bei nur 97 CED-Patient*Innen eine SARS-CoV-2-Infektion diagnostiziert. Das entsprach einem Prozentsatz von 0,4 % und lag damit in der gleichen Größenordnung wie die Infektionsrate in der Gesamtbevölkerung [10].

CED-Patient*innen haben kein erhöhtes Risiko für eine SARS-CoV-2-Infektion

In der ersten großen Kohortenstudie aus Deutschland wurde die Prävalenz von SARS-CoV-2-Antikörpern bei Patient*innen mit immunologisch vermittelten Erkrankungen (CED, rheumatoide Arthritis, Psoriasis etc.) im Vergleich zu Mitarbeitern im Gesundheitswesen und einer weiteren Kontrollkohorte untersucht. Die Patient*innen mit immunologisch vermittelten Erkrankungen mit einer Antizytokintherapie (n = 534) wiesen in 0,75 % SARS-CoV-IgG-Antikörper auf. Bei Patient*innen ohne Antizytokintherapie (n = 259) betrug diese 3,09 %; bei im Gesundheitswesen arbeitenden Personen (n = 285) 4,21 % und bei davon unabhängigen Kontrollpersonen (n = 971) 2,27 % [11]. Somit war die Prävalenz für SARS-CoV-2-IgG-Antikörper als Ausdruck einer COVID-19-Erkrankung bei mit Biologika behandelten Patient*innen sogar niedriger als in der Kontrollgruppe. Es ist vorstellbar, dass dies durch eine höhere Adhärenz immunsuppressiv behandelter Patient*innen an Hygiene- und Abstandsregeln zur Vermeidung einer SARS-CoV-2-Exposition zu erklären ist. Eine andere – von den Autoren favorisierte – Erklärung wäre die Inhibition der immunologischen Antwort, sodass eine COVID-19-Erkrankung zu niedrigeren Antikörperkonzentrationen führt. Letzte Unsicherheiten zum potenziell erhöhten Infektionsrisiko wurden durch eine sehr große Studie aus Kanada aufgehoben, in der 493.499 Patient*innen mit immunologisch vermittelten chronisch-entzündlichen Erkrankungen mit 2.466.946 Kontrollpersonen verglichen wurden. Es zeigte sich, dass Patient*innen mit entzündlichen Erkrankungen zwar häufiger getestet wurden, aber keine höhere Infektionsquote aufwiesen [12]. In der Zusammenfassung dieser Daten konnte damit ein erhöhtes Risiko für SARS-CoV-2-Infektionen bei CED-Patient*innen ausgeschlossen werden. Die diesbezüglichen Sorgen der Patient*innen – die sich auch in einer hohen Rate „präventiver Krankschreibungen“ äußerten [13] – können somit ausgeräumt werden.

Wechselseitiger Einfluss von SARS-CoV-2-Infektion und CED

Die vorherrschenden Symptome einer SARS-CoV-2-Infektion in einer großen britischen Serie von mehr als 20.000 hospitalisierten Patient*innen waren Fieber (72 %) und dominant respiratorische Symptome wie Husten (69 %) und Kurzatmigkeit (71 %) [14]. Das SARS-CoV‑2 kann jedoch jedes Organ schädigen und so zeigen sich auch bei Patient*innen mit CED typische Manifestationsmuster. Die Subgruppenanalyse des Secure-IBD-Registers von fast 3000 CED-Patient*innen mit COVID-19 weist aus, dass bei 764 (26 %) neue gastrointestinale Symptome, wie Durchfall, Bauchschmerzen, Übelkeit und Erbrechen, auftraten [15]. Es ist daher auch bei einem vermeintlichen Schub eines Morbus Crohn oder einer Colitis ulcerosa wichtig, das Vorhandensein von COVID-19-typischen Begleitsymptomen zu erfragen [16].

Die Auswertung der Daten eines Registers der German IBD Study Group (GISG) zur retrospektiven Dokumentation klinischer Parameter und Veränderungen einer immunsuppressiven Therapie von SARS-CoV-2-infizierten CED-Patient*innen zeigte, dass mit Beginn einer COVID-19-Erkrankung nur 1,6 % der CED-Patient*innen mit gesicherter SARS-CoV-2-Infektion über veränderte gastrointestinale Symptome berichteten. Im weiteren Verlauf der COVID-19-Erkrankung kam es dann aber bei 43,5 % der CED-Patient*innen zu einer Veränderung gastrointestinaler Symptome [17]. Diese Rate ist mehr als doppelt so hoch wie bei COVID-19-Patient*innen ohne gastrointestinale Grunderkrankung [18]. Eine höhere Stuhlfrequenz und/oder eine geringere Stuhlkonsistenz waren im GISG-Kollektiv die am häufigsten genannten abdominellen Symptome. Die höhere Stuhlfrequenz war dabei signifikant mit der Notwendigkeit einer Hospitalisation verbunden, was eine aktuelle Metaanalyse bestätigt [19]. Entwickelt sich eine nicht vorbestehende Hämatochezie, ist diese mit der höchsten Hospitalisierungswahrscheinlichkeit verbunden. Eine Hämatochezie wurde hingegen nur kasuistisch bei schwer erkrankten COVID-19-Patient*innen ohne CED berichtet [20].

Eine erhöhte CED-Aktivität ist mit einem erhöhten COVID-19-Hospitalisierungsrisiko assoziiert

Mehrere Studien belegen Assoziationen zwischen erhöhter CED-Aktivität, einem erhöhten COVID-19-Hospitalisierungsrisiko und einer erhöhten Notwendigkeit respiratorischer Unterstützungsmaßnahmen. So zeigt eine aktuell publizierte Auswertung des SECURE-IBD-Registers, das > 6000 SARS-CoV-2-infizierte CED-Patient*innen untersuchte, dass Patient*innen mit einer hohen CED-Aktivität gegenüber Patient*innen mit einer CED in Remission ein mehr als doppelt so hohes Risiko für den kombinierten Endpunkt „Intensivstation/Beatmung/Tod“ hatten. Diese relative Risikoerhöhung fand sich insbesondere bei Patient*innen, die jünger als 50 Jahre waren [21]. Auch die Daten der GISG-Kohorte weisen in diese Richtung: SARS-CoV-2-infizierte Patient*innen mit Remission/leichter/mittlerer bzw. hoher CED-Aktivität wurden in 11 %/17 %/22 % bzw. 67 % hospitalisiert (p < 0,001; [17]). Übereinstimmend zeigten zudem Berichte aus der Rheumatologie, dass auch eine erhöhte Aktivität einer rheumatologischen Grundkrankheit ein unabhängiger Risikofaktor für COVID-19-bedingte Krankenhausaufenthalte ist [22, 23]. In der Zusammenfassung zeigt sich einerseits die Notwendigkeit einer effektiven Krankheitskontrolle entzündlicher Erkrankungen – aber andererseits auch kein erhöhtes Risiko unter einer steroidfreien immunsuppressiven Medikation.

CED-spezifische medikamentöse Therapie und COVID-19

Bei CED-Patient*innen, aber auch behandelnden Ärzt*innen, besteht auch heute noch die Sorge, dass aufgrund einer immunsupprimierenden Therapie eine SARS-CoV-2-Infektion mit einem höheren Risiko für einen schweren Verlauf der Infektion einhergeht. Schon frühzeitig fiel auf, dass eine systemische Steroidtherapie das Risiko für COVID-19-Komplikationen erhöht [24]. Zur Beurteilung des Risikos der Medikamente, die zur Behandlung der CED eingesetzt werden, war schon im ersten Jahr der Pandemie das bereits zitierte internationale SECURE-IBD-Register sehr hilfreich. Hier zeigte sich, dass das Risiko für schwere COVID-19-Verläufe (definiert durch die Notwendigkeit einer intensivmedizinischen Betreuung, Beatmung oder Tod) von der Art der immunsuppressiven Therapie abhängig ist. So ist es insbesondere beim Einsatz systemisch wirkender Steroide sowie beim Einsatz von Sulfasalazin oder 5‑Aminosalizylsäure erhöht. Im Gegensatz dazu ist eine Therapie mit Antikörpern gegen Tumornekrosefaktor (TNF) oder dem Interleukin(IL)-12/IL-23-Antagonisten Ustekinumab oder dem Integrinantagonisten Vedolizumab (VEDO) nicht mit einem erhöhten Risiko für schwere Verläufe von COVID-19 assoziiert [25]. Als weitere „Risikomedikation“ erwiesen sich Thiopurine – sowohl als Monotherapie wie auch in der Kombinationsbehandlung. Diese zeigten ebenfalls im Vergleich zu einer Monotherapie mit TNF-Antikörpern ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf [26]. Eine große internationale Fallsammlung zu Patient*innen mit immunologisch vermittelten Erkrankungen bestätigt diese Erkenntnisse. Hier wurden Daten von 6077 Patient*innen aus 74 Ländern erhoben; die größten Gruppen betrafen Patient*innen mit rheumatoider Arthritis und Morbus Crohn. Insgesamt wurden 1297 Patient*innen (21,3 %) hospitalisiert und 189 Patient*innen (3,1 %) verstarben. Es zeigte sich, dass im Vergleich zur TNF-Antikörper-Monotherapie ein höheres Risiko für Patient*innen mit einer TNF-Antikörper-Kombinationstherapie mit Azathioprin/6-Mercaptopurin, einer Azathioprin-/6-Mercaptopurin‑/Methotrexatmonotherapie und einer Januskinaseinhibitormonotherapie bestand [27].

In der Zusammenfassung sind systemische Steroide ein wichtiger Risikofaktor für einen schweren COVID-Verlauf. Nicht nur aus diesen Gründen sollte eine systemische Steroidtherapie nur kurzfristig durchgeführt und so früh wie möglich beendet werden. Direkt antiinflammatorisch wirkende Biologika reduzieren hingegen die Gefahr für einen schweren Verlauf; die Medikation mit diesen Substanzen sollten daher bei einer SARS-CoV-2-Infektion nicht unterbrochen oder abgesetzt werden. Eine Kombinationstherapie aus Azathioprin und z. B. TNF-Antikörpern sollte kritisch geprüft und ggf. in eine TNF-Antikörper-Monotherapie überführt werden.

Einfluss von Immunsuppressiva oder Biologika auf die Immunantwort nach SARS-CoV-2-Vakzinierung

Seit längerer Zeit ist bekannt, dass die Therapie mit Immunsuppressiva oder TNF-Antikörpern zu einer verminderten Immunantwort nach Vakzinierung gegen Pneumokokken‑, Influenza oder auch Hepatitis-B-Infektionen führt [28,29,30]. Vor diesem Hintergrund war es wichtig, humorale und zelluläre Immunantworten nach SARS-CoV-2-Vakzinierung bei Patient*innen mit CED zu untersuchen. Die zugrunde liegende Hypothese ist dabei, dass Patient*innen mit einer systemisch wirkenden Immunsuppression, z. B. durch eine Therapie mit Steroiden, Azathioprin, TNF-Antikörpern oder Ustekinumab, nach Vakzinierung eine niedrigere oder verzögerte Immunreaktion aufweisen als Patient*innen, die z. B. mit dem vergleichsweise darmselektiven Biologikum VEDO behandelt werden. Aus früheren Arbeiten ist bekannt, dass die Immunantwort auf eine parenteral verabreichte Hepatitis-B-Vakzinierung im Gegensatz zur enteral verabreichten Choleravakzinierung unter VEDO nicht beeinträchtigt ist [31]. Die bisher größte Studie zu diesem Thema wurde durch Kennedy und Mitarbeiter vorgelegt [32]. Sie untersuchten die Anti-SARS-CoV-2-Antikörper-Serokonversionsraten bei Infliximab (IFX, n = 865) im Vergleich zu VEDO-behandelten Patient*innen (n = 428). Primäres Zielkriterium war die Antikörperkonzentration 3–10 Wochen nach einmaliger Vakzinierung. Sekundäre Zielkriterien waren die Serokonversionsraten (definiert durch einen Grenzwert > 15 U/ml), nach einer SARS-CoV-2-Infektion bzw. nach der 2. BNT162b2-Vakzinierung. Es zeigte sich, dass die Anti-SARS-CoV-2-Antikörperkonzentrationen bei IFX-behandelten Patient*innen niedriger waren als bei VEDO-behandelten Patient*innen (6,0 U/ml [±5,9] vs. 28,8U/ml [±5,4]; p < 0,0001). Ein Alter über 60 Jahre, der Einsatz klassischer Immunsuppressiva (z. B. Azathioprin), Morbus Crohn und Rauchen waren mit niedrigeren Anti-SARS-CoV-2-Antikörper-Konzentrationen assoziiert. Die Serokonversionsraten bei Patient*innen mit durchgemachter SARS-CoV-2-Infektion waren sowohl nach einmaliger als auch 2‑maliger Vakzinierung höher als bei Nichtinfizierten.

Nur sehr wenige Patient*innen wiesen weder ausreichende B‑ noch T‑Zellantworten gegen die SARS-CoV‑2-Impfung aus

Einige Anti-TNF-behandelte CED-Patient*innen äußern aufgrund solcher Daten die Sorge, dass die bei ihnen erreichbare Antikörperantwort nicht ausreicht, um einen schweren COVID-19-Verlauf zu verhindern. Sie wünschen daher eine quantitative Bestimmung ihrer Antikörpertiter. In der Protektion gegen SARS-CoV‑2 ist zudem nicht nur die humorale, sondern auch die zelluläre Immunantwort wichtig. Untersuchungen der Arbeitsgruppe der Autoren zeigten, dass nach 2‑maliger Vakzinierung bei einem Teil der Patient*innen mit immunsuppressiver Therapie Defizite sowohl in der humoralen als auch in der zellulären Immunantwort zu beobachten sind. Interessanterweise sind diese Defizite nicht konkordant, d. h. es gibt Patient*innen mit unzureichender humoraler Immunantwort und einer robusten T‑Zell-Antwort wie bei gesunden Kontrollen. Nur sehr wenige Patient*innen wiesen weder ausreichende B‑ noch T‑Zellantworten aus [33].

Diese Daten wurden zu einem Zeitpunkt erhoben, als die SARS-CoV-2-Infektionen durch die Alpha- und Delta-Varianten bedingt waren. Unklar blieb, welchen Effekt die Medikation bei Vakzinierung und vorherrschenden Omikron-SARS-CoV-2-Varianten hat. Hierfür sind die Ergebnisse der jüngst publizierten CLARITY-IBD-Studie von Interesse, einer prospektiven, multizentrischen Observationskohortenstudie, die die Effekte der IFX-/VEDO-Medikation auf eine SARS-CoV-2-Infektion bei 7224 CED-Patient*innen untersucht. Es zeigte sich, dass nach 3‑maliger SARS-CoV-2-Vakzinierung die 50 %-Neutralisierungstiter bei IFX-Patient*innen im Vergleich zu VEDO-Patient*innen signifikant niedriger sind. Besonders wichtig ist aber, dass Durchbruchsinfektionen bei IFX-Patient*innen signifikant häufiger als bei VEDO-Patient*innen (13,7 %; 95 %-Konfidenzintervall: 11,5–16,2; vs. 7,0 %; 4,8–10,0; p = 0,00040) beobachtet wurden. Patient*innen mit TNF-Antikörper-Therapien sollten deshalb auf die Möglichkeit und Notwendigkeit der 2. Booster-Impfung hingewiesen werden [34].

Bereitschaft zur SARS-Cov-2-Impfung bei CED-Patient*innen

Die Autoren befragten im Januar 2021, dem ersten Monat der Anti-SARS-CoV-2-Impfkampagne, 1032 CED-Patient*innen und 410 Kontrollpatient*innen, ob sie sich gegen SARS-CoV‑2 impfen lassen wollen. Faktoren, die mit der Bereitschaft zu einer SARS-CoV-2-Impfung assoziiert waren, waren männliches Geschlecht und das Vorhandensein von mindestens einer schweren SARS-CoV-2-Infektion unter engen Freunden oder Familienmitgliedern. Darüber hinaus waren Patient*innen mit arterieller Hypertonie eher bereit, eine SARS-CoV-2-Impfung zu erhalten, während andere Komorbiditäten nicht mit der SARS-CoV-2-Impfungsabsicht assoziiert waren [35].

Eine ebenfalls im Jahr 2021 durchgeführte Studie berichtete, dass sich 95 % von 461 Biologikainfusionspatient*innen mit CED vollständig impfen ließen, darunter sogar 100 % der über 60-Jährigen. Elf von 16 der nichtgeimpften CED-Patient*innen waren Frauen, 5 dieser 11 Patientinnen waren aktiv kinderwünschend, schwanger oder in der Postpartalzeit [36]. Wenngleich gut belegt ist, dass gerade Frauen in diesen Lebensphasen – wie auch ihre Kinder – sehr gut von einer Impfung gegen SARS-CoV‑2 profitieren, zeigen diese Daten, dass im Einzelfall ein wertschätzendes Erfragen des Hintergrunds einer Zurückhaltung gegenüber einer Anti-SARS-CoV-2-Impfung und eine sachliche Information über spezifische Risiken einer COVID-19-Erkrankung angezeigt ist. Alle unerwünschten Schwangerschaftsausgänge sowie relevante mütterliche Komplikationen sind bei schwerem COVID-19-Verlauf deutlich erhöht [37].

SARS-CoV-2-Vakzinierung und mögliche Schubinduktion bei CED

Die Akzeptanz von Vakzinierungsprogrammen in der Gesamtbevölkerung ist für die gesellschaftlich angestrebte „Herdenimmunität“ von großer Bedeutung. Die Zulassung der verschiedenen Impfstoffe gilt dabei als der „Wellenbrecher“ in der Pandemie. Auch wenn diese Impfstoffe in sehr großen Zulassungsstudien bezüglich ihrer Sicherheit evaluiert wurden, wurden sog. vulnerable Patient*innen einschließlich Patient*innen mit immunologisch vermittelten Erkrankungen ausgeschlossen. Somit sind die Ängste und Sorgen von CED-Patient*innen vor einer schützenden Vakzinierung gut nachvollziehbar [4]. Auch sind bei Patient*innen mit immunologisch vermittelten Erkrankungen einschließlich Patient*innen mit CED Krankheitsschübe nach Vakzinierung berichtet worden [38, 39]. Eine Übersicht aus der Nephrologie berichtet über wenige Fälle eines akuten Schubs bei Glomerulonephritis und Transplantatabstoßungen [40]. Aus theoretischen Überlegungen heraus könnte eine Stimulation des Immunsystems, wie sie nach einer Vakzinierung auftritt, einen Krankheitsschub auslösen („Hit-and-run“-Hypothese; [41]).

Und so gibt es durchaus Patient*innen, die nach Anti-SARS-CoV-2-Impfung über deutliche CED-Schub-typische Beschwerden berichten und dieses auch über soziale Medien teilen. Ebenso wurde auch in der wissenschaftlichen Literatur von Einzelfällen einer postvakzinalen Erstmanifestation eines Morbus Crohn berichtet [42]. Vor diesem Hintergrund sind valide epidemiologische Untersuchungen wichtig. Der Fragebogen der Autoren zu CED-spezifischen Symptomen nach Anti-SARS-CoV-2-Impfung wurde von 914 Patient*innen beantwortet, von denen 781 (85,4 %) eine vorherige Impfung gegen SARS-CoV‑2 angaben. Es zeigte sich, dass die Impfung gegen SARS-CoV‑2 nicht mit einem erhöhten Risiko für CED-Schübe oder außerplanmäßige Besuche in CED-Ambulanz oder -Praxis verbunden war. Darüber hinaus wurden auch typische Symptome eines CED-Schubs, wie Bauchschmerzen, erhöhte Stuhlfrequenz oder rektale Blutungen, durch die Impfung nicht beeinflusst [43]. Auch umfassendere Analysen sehen kein erhöhtes Risiko für akute CED-Schübe nach Vakzinierung [44, 45] und auch keine spezifischen Sicherheitsbedenken einer SARS-CoV‑2 Vakzinierung bei Patient*innen mit rheumatoider Arthritis [46, 47]. Dennoch induzierten mögliche Impfnebenwirkungen eine Vielzahl neuer Fragen in der Sprechstunde; ein Beispiel zeigt Abb. 1.

Abb. 1
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Eine 48-jährige Patientin mit Colitis ulcerosa bekam 5 Tage nach der 2. Vedolizumabinfusion und 8 Tage nach der 1. Anti-SARS-CoV-2-Impfung livide Punkte an beiden Unterschenkeln. Unter der Verdachtsdiagnose einer Vaskulitis wurden über mehrere Tage 60 mg Prednisolon verordnet, was zu einer vollständigen Restitutio führte. Es bestand zunächst die Frage, ob Vedolizumab oder der mRNA-Impfstoff Comirnaty® (Biontech, Mainz, Deutschland) ursächlich war. Die 2. Impfung mit Comirnaty® erfolgte 10 Tage nach Absetzen von Prednisolon, was keine erneuten Symptome induzierte. Vedolizumab wurde hingegen dauerhaft abgesetzt und die Colitis ulcerosa ist bislang in klinischer Remission. (Die Autoren danken freundlich für die Erlaubnis der Patientin zum Abdruck dieser Abbildung)

Post-COVID-Probleme bei CED-Patient*innen

Nach COVID-19 leiden einige Patient*innen noch Monate oder sogar Jahre später unter verschiedenen physischen und psychischen Störungen, obwohl das Virus im Nasen-Rachen-Abstrich schon lang nicht mehr nachweisbar ist. Die Ursachen dieses Post-COVID- oder Long-COVID-Syndroms sind noch weitgehend unbekannt. Ausgehend von der bereits im Jahr 2020 gewonnenen Erkenntnis, dass SARS-CoV‑2 noch lange nach negativ gewordenen Nasen-Rachen-Abstrichen in Analabstrichen nachgewiesen werden kann [48], untersuchten österreichische Kollegen, ob eine intestinale SARS-CoV-2-Antigen-Persistenz mit postakuten Krankheitssymptomen assoziiert ist. Im Median 7 Monate nach einer SARS-CoV-2-Infektion wurden Dünn- und Dickdarmstufenbiopsien bei 46 Patient*innen mit CED gewonnen. Aus diesen Biopsien erfolgten Polymerasekettenreaktionen mit reverser Transkription (rtPCR) zur Amplifikation und zum Nachweis verschiedener viraler mRNA. Bei zwei Drittel der Patient*innen mit postakuten COVID-19-Symptomen, aber bei keinem der diesbezüglich unauffälligen Patient*innen fand sich SARS-CoV-2-RNA in der Schleimhaut. Damit findet sich ein erster Hinweis, dass die Persistenz des SARS-CoV-2-Antigens im Darm eine mögliche Grundlage für postakute COVID-19-Symptome ist. Ob sich aus der Beschreibung dieses Phänomens weitere pathophysiologische Erkenntnisse des postakuten COVID-19 ergeben, kann nur durch weitere klinische Studien außerhalb des CED-Patient*innenkollektivs beantwortet werden [49].

Zusammenfassung

Die hier diskutierten Studien belegen, dass Patient*innen mit CED kein erhöhtes Risiko einer SARS-CoV-2-Infektion oder einer schweren COVID-19-Erkrankung tragen. Hohes Alter, männliches Geschlecht, signifikante Komorbiditäten und eine systemische Steroidtherapie erhöhen jedoch dieses Risiko. Die CED-Patient*innen weisen bei begleitender COVID-Erkrankung häufiger als Nicht-CED-Patient*innen gastrointestinale Symptome auf und es sollte daher bei einem vermeintlichen CED-Schub auch an eine SARS-CoV-2-Infektion gedacht werden. Patient*innen mit einer stabilen Remission haben ein deutlich niedrigeres Risiko eines schweren COVID-19-Verlaufs als Patient*innen im akuten CED-Schub oder im chronisch-aktiven Verlauf. Daher soll – auch im Fall einer SARS-CoV-2-Infektion – eine remissionserhaltende Therapie beibehalten werden. Optimal ist hier eine Monotherapie mit einem Biologikum; systemisch wirksame Steroide sollten hingegen vermieden oder nur sehr kurz eingesetzt werden. Alle Patient*innen mit CED sollten ausreichend gegen SARS-CoV‑2 geimpft werden, auch wenn das Impfansprechen medikationsabhängig eingeschränkt sein kann. Es gibt bislang keine Hinweise, dass die Impfung mit einem erhöhten Risiko unerwünschter Ereignisse einhergeht. Der Wissenszuwachs zu SARS-CoV-2-Infektionen bei immunologisch vermittelten Erkrankungen ist aktuell sehr schnell. Die Autoren hoffen, mit ihrer Übersicht eine aktuelle Hilfestellung für die CED-Sprechstunde oder die klinische Visite gegeben zu haben.

Fazit für die Praxis

  • Patient*innen mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED) tragen generell kein erhöhtes Risiko einer schweren Coronavirus Disease 2019 (COVID-19). Risikofaktoren sind jedoch hohes Alter, männliches Geschlecht, Komorbiditäten und eine systemische Steroidtherapie.

  • Nach Infektion mit „severe acute respiratory syndrome coronavirus type 2“ (SARS-CoV-2) weisen CED- Patient*innen häufiger als Nicht-CED-Patient*innen gastrointestinale Symptome auf.

  • Patient*innen mit einer stabilen Remission der CED haben ein deutlich niedrigeres Risiko eines schweren COVID-19-Verlaufs als Patient*innen im akuten CED-Schub oder im chronisch-aktiven Verlauf.

  • Am sichersten ist eine Monotherapie mit einem Biologikum; systemisch wirksame Steroide sollten hingegen vermieden oder nur sehr kurz eingesetzt werden.

  • Alle Patient*innen mit CED sollten ausreichend gegen SARS-CoV‑2 geimpft werden, auch wenn das Impfansprechen medikationsabhängig eingeschränkt sein kann.