„Völlig unzeitgemäß!“ Warum die Corona-App für Ärzte ein Flop war – und wie unser Datenschutz auch sonst die Medizin behindert

Prof. Dr. Markus Lerch

Interessenkonflikte

9. Mai 2022

Transkript des Videos von Prof. Markus Lerch, München

Sehr geehrte Damen und Herren,

mein Name ist Markus Lerch, ich bin Internist und war in diesem Jahr Kongresspräsident und Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM). Unser Jahreskongress 2022 in Wiesbaden ist gerade zu Ende gegangen. 

Wir haben uns dort mit Grenzen der Inneren Medizin auseinandergesetzt. Ein Thema, das wir in der Corona-Krise gelernt haben, ist der Datenschutz. Was der Datenschutz in der Medizin macht, welche Rolle er spielt und welche Limitierungen er uns für die Patientenversorgung aber auch für die Forschung auferlegt.

Kommunikation per Fax

Die härteste Erfahrung war tatsächlich der Datenschutz in der Corona-Pandemie. Das wichtigste Kommunikationsmittel zwischen Ärzten, Krankenhäusern und den dafür zuständigen Gesundheitsämtern war die Fax-Maschine. Es gab keine Möglichkeit, digital Daten auszutauschen, digital Fälle zu melden.

Das hat dazu geführt, dass die Verantwortlichen für die Bekämpfung der Pandemie in Deutschland nur mit großer Verzögerung und sehr großer Ungenauigkeit über Informationen verfügt haben.

Corona-App – kein Game Changer

Dann kam die Corona-App. Sie wurde viel gelobt. Die Briten haben mit Neid auf die Entwicklung dieser Corona-App geschaut. Technisch war sie perfekt gemacht. 42 Mio. Deutsche haben die App auf ihr Smartphone herunter geladen. Aber sie wurde kein Game Changer.

Warum war das so? Nur 20%, nur jeder 5. positive Fall ist jemals in der App angekommen. Die Gesundheitsämter hatten keine Möglichkeit auf diese Ergebnisse zuzugreifen oder diese Ergebnisse zu nutzen. Auch die Labore haben die positiven Befunde nicht in die App eingespielt, sondern jeder, der die App genutzt hat musste freiwillig und selbstbestimmt entweder mitteilen, dass er positiv war.

Es gab keine genauen Orts- und Zeitangaben. Kontakte wurden nur sehr vage angegeben und man konnte es nicht wissenschaftlich auswerten. Es sind keine personenbezogenen Daten gesammelt worden, deshalb ist im Nachgang keine wissenschaftliche Auswertung des Effekts der App möglich.

Das ist dem Datenschutz geschuldet. Man ist davor zurück geschreckt, personenbezogene Daten einzuspielen. Man wollte, dass es unbedingt auf Freiwilligkeit beruht.

Dabei muss man bedenken, dass die Gesundheitsämter ganz weitreichende Zugriffsrechte auf die persönlichen Daten der Erkrankten haben. Sie haben nur keine Mittel, das Ganze nachzuverfolgen und zu überprüfen.

Die Gesundheitsämter können mit der Polizei vor Ihrer Tür stehen und wenn Sie nicht öffnen und die Quarantäne verletzen, haben sie einen großen Katalog von Maßnahmen, die tief in die Persönlichkeitsrechte eingreifen, aber eben nicht digital. Das ist ein Missverhältnis zwischen unseren Prioritäten.

Deutsche Lesart der DSGVO unzeitgemäß und nicht sachgerecht

Wir müssen die Diskussion über den Datenschutz in der Medizin einfach führen. Es gibt Regelungen in der deutschen Lesart der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), die völlig unzeitgemäß und nicht sachgerecht sind.

Man unterstellt immer Google, Apple und anderen Internetkonzernen eine große Sammelwut und es ist richtig, das zu begrenzen. Es ist richtig, dass jeder Patient unbedingt davor geschützt werden muss, dass seine Daten missbraucht werden und dass ihm dadurch Schaden zugefügt wird.

Aber es geht nicht um die Verhinderung der Nutzung medizinischer Daten, das ist ein Allgemeingut. Wir kennen das auch nicht im Melderecht und vor allem nicht im Steuerrecht. Natürlich dürfen Steuerdaten anonymisiert ausgewertet werden, sonst wüssten wir überhaupt nicht, wieviel Steuervolumen unserem Staat zur Verfügung steht.

Ähnliches müssten wird doch auch mit Gesundheitsdaten machen können. Die Bayerische Akademie der Wissenschaften hat gerade eine sehr ausgewogene Empfehlung abgegeben, wie man damit in Zukunft umgehen sollte.  

Unser Anliegen umfasst 4 Punkte:

  1. Der Datenschutz muss nicht die Nutzung von Daten verhindern, sondern Schaden von Patienten abwenden, der durch Missbrauch der Daten entsteht. Das muss das Ziel sein. Das sind 2 völlig verschiedene Dinge. Es sollten nicht immer technische Blockaden errichtet werden, damit Daten nicht genutzt werden.
     

  2. Datensparsamkeit mag sinnvoll sein, wenn man nicht will, dass die Schufa das eine oder andere erfährt. Das kann aber nicht in der Medizin gelten. Wir brauchen so viele Daten, wie wir nur sammeln können. Wir benötigen sie zum einen für die Behandlung des einzelnen Patienten, hier müssen wir möglichst viele Daten haben um das Bild zusammen zu setzen, was zu seiner Diagnostik und seiner Behandlung beiträgt.
    Zum anderen brauchen wir möglichst viele Daten im Zusammenhang mit Krankheiten für die Forschung, sonst finden wir nie heraus, welche Biomarker eine Erkrankung oder den Erfolg einer Therapie vorhersagen oder welche Zusammenhänge z.B. zwischen Nebenwirkungen und Wirkungen einer Therapie bestehen.
    Datensparsamkeit hat in der Medizin und bei Patientendaten keinen Platz!
     

  3. Die Fristen zur Löschung von Daten sind in der Medizin überhaupt nicht sinnvoll. Nach 15 Jahren sollen die Daten von Studien wieder gelöscht werden. Warum soll das so sein? Es ist ein unglaublicher Schatz, Daten für Langzeitbeobachtungen zu sammeln. Das funktioniert nicht, wenn man sie löschen muss.
    Ein Beispiel: Wir hatten 1982 den größten Trichinose-Ausbruch auf der Welt. Die Patienten wurden ganz engmaschig nachverfolgt. Alle therapeutischen Maßnahmen wurden genau dokumentiert. Diese Daten hätten nach 15 Jahren, also 1997 gelöscht werden müssen. Wenn man das gemacht hätte, wüssten wir den Langzeitverlauf dieser Erkrankung nicht, wir wüssten nicht, woran die Betroffenen versterben und wir wüssten nicht, welche Behandlung effektiv ist und welche nicht. Datenlöschung macht keinen Sinn!
     

  4. Wie im Steuerrecht oder im Melderecht und in vielen anderen Bereichen unseres Gemeinwesens muss es möglich sein, anonymisierte Daten oder  - wie die bayerische Akademie der Wissenschaften empfiehlt – pseudonymisierte Daten auch ohne die persönliche individuelle Zustimmung einer Person behalten und für Forschungszwecke nutzen zu dürfen. Dabei entsteht niemandem ein Schaden. Aber für das Gemeinwohl, für die Gesundheitsversorgung und für die Gesundheitsversorgung der Zukunft ist es absolut essenziell.
    Warum ist das wichtig? Immer die schwersten Fälle, z. B. im Traumaregister der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie, müssen in ein Register eingegeben werden. Dieses Register besteht seit über 15 Jahren mit vielen Tausend Fällen um heraus zu finden, welches die beste Versorgung für den individuellen Patienten ist. Daraus werden Leitlinien erstellt, danach werden Behandlungen ausgerichtet.
    Die Schwerstverletzten können aber keine Zustimmung geben zur Einspeicherung ihrer anonymisierten Daten.
    Deshalb ist seit Einführung der DSGVO die Datenqualität massiv zurückgegangen. Es werden immer weniger Patienten in das Register eingegeben und vor allem die schwersten Fälle werden nicht eingegeben, weil eine Zustimmung nicht möglich ist. Die Daten von an Unfällen Verstorbenen können nicht mehr eingegeben werden, weil es nicht möglich ist, diese Daten anonymisiert für die Forschung und für die Weiterentwicklung der Behandlung zu nutzen. Deshalb muss es auch da eine gesetzliche Möglichkeit geben, die komplett anonymisierten bzw. pseudonymisierten Daten eines Menschen für die Forschung und die Weiterentwicklung der Medizin zu nutzen.

Das sind unsere 4 wichtigsten Anliegen, warum wir glauben, dass die DSGVO oder ihre Interpretation, die in Deutschland anders als in anderen Ländern ist, geändert werden muss und auch die lokal völlig unterschiedlichen Gesetze in den Ländern auf einen Standard gebracht werden müssen.

Das ist wichtig für jeden einzelnen Patienten und für unser Gemeinwesen, um medizinischen Fortschritt zu erreichen und die Diagnostik und Therapie in Zukunft zu verbessern.

Gesundheitsdaten-Nutzungs-Gesetz und Register-Gesetz für medizinische Daten

Vieles von dem was wir fordern ist bereits jetzt im Rahmen der DSGVO absolut möglich und muss nur in nationales Recht umgesetzt werden. Wir sind sehr hoffnungsvoll, dass die neue Regierung, die angekündigt hat, dass es ein Gesundheitsdaten-Nutzungs-Gesetz und ein Register-Gesetz für medizinische Daten geben soll, das auch umsetzt.

Es ist z.B. möglich, mit pseudonymisierten Daten zu arbeiten oder aber auch ohne individuelles Einverständnis anonymisierte Daten zu nutzen. Man muss jetzt nur die Leitplanken setzen, dass das möglich wird, dass auch die enge Zweckbestimmung wegfällt. Wenn jemand z.B. zugestimmt hat, dass seine persönlichen Gesundheitsdaten für eine Hypertonie-Studie untersucht werden dürfen, soll man auch mit den gleichen Daten nach Diabetes oder nach Herzkrankheit untersuchen dürfen und sie nachträglich auswerten dürfen.

Das liegt ausschließlich an der engen deutschen Auslegung der DSGVO, das ist in anderen Ländern längst Standard. Da müssen wir mit unseren Datenschützern sprechen, dass diese Nutzung einfach legitim und dem Patienten einfach zu erklären ist.

Andere Dinge in der DSGVO müssen für die Medizin angepasst werden, das ist z. B. die Datenlöschung. Wir sind mit diesen Forderungen überhaupt nicht allein. Schon 1 Jahr nach Einführung der DSGVO hat 2017 der Sachverständigenrat Gesundheit unter dem Vorsitz von Prof. Dr. Ferdinand Gerlach genau diese Empfehlung gemacht.

Inzwischen gibt es von vielen Fachgesellschaften und von nationalen Akademien diese Empfehlung. Wir hoffen nur, dass die Datenschützer, also die Profis in diesem Geschäft, zuhören und die Anliegen der Medizin berücksichtigen. Und wir hoffen, dass vor allem der Gesetzgeber das jetzt zum Wohle der Allgemeinheit in  einem reformierten Gesundheitsdaten-Nutzungsgesetz und einem Registergesetz für medizinische Daten auch umsetzt, die über die Routinedaten hinaus gehen und Daten, die mit anderen Techniken gewonnen sind, wie Proteomics, Genomics u.a. einschließen.

 

Kommentar

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