Gute Nachricht für Hypertoniker: Bei einer COVID-19-Erkrankung können sie ACE-Hemmer und ARB weiter einnehmen

Julia Rommelfanger

Interessenkonflikte

10. September 2020

Amsterdam – Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die infolge einer Infektion mit dem SARS-COV2-Virus hospitalisiert wurden, können ihre ACE-Hemmer und Angiotensin-Rezeptor-Blocker (ARB) weiter nehmen. So jedenfalls lautet die erste Erkenntnis aus BRACE CORONA, der ersten randomisierten Studie zur Sicherheit der Blutdrucksenker-Therapie im Hinblick auf das Fortschreiten von COVID-19. Die Studienergebnisse wurden auf einer Hot-Line-Session der virtuellen Jahrestagung der European Society of Cardiology (ESC) präsentiert [1].

BRACE CORONA – „heißeste Studie“ des ESC 2020

„Das ist die vielleicht heißeste Studie, die wir hier besprechen“, verkündete Prof. Dr. Gerhard Hindricks, Leiter der Rhythmologie am Herzzentrum Leipzig, zum Auftakt der virtuellen Studienpräsentation aus Amsterdam, wo der ESC-Kongress ursprünglich stattfinden sollte. „BRACE CORONA ist eine der Schlüssel-Studien zu den Auswirkungen einer ACE-Hemmer-Therapie in COVID-19-Patienten.“

 
BRACE CORONA ist eine der Schlüssel-Studien zu den Auswirkungen einer ACE-Hemmer-Therapie in COVID-19-Patienten. Prof. Dr. Gerhard Hindricks
 

„Es handelt sich hierbei um die ersten randomisierten Daten zu den Auswirkungen des Stopps beziehungsweise Weiterführens von ACE-Hemmern oder ARB in COVID-19-Patienten“, sagte Studienleiter Prof. Dr. Renato Lopes, Duke Clinical Research Institute, Durham, USA, der die Ergebnisse präsentierte. „Bei Patienten, die mit COVID-19 im Krankhaus behandelt wurden, hat sich ein zeitweises Aussetzen der Therapie für eine Dauer von 30 Tagen nicht auf die Zahl der außerhalb des Krankenhauses überlebten Tage ausgewirkt.“

Aus bisherigen Beobachtungsstudien ging nicht klar hervor, in welchem Ausmaß sich die Medikamente, die auch von Herzinsuffizienz-Patienten eingenommen werden, auf die COVID-19-Erkrankung auswirken – und ob die Einnahme bei wegen Corona hospitalisierten Patienten fortgeführt oder gestoppt werden sollte. Einerseits deuteten präklinische Untersuchungen bei der weiteren Einnahme der Medikamente auf eine Verschlechterung  des Zustands von COVID-19-Patienten hin. Andererseits zeigten sich auch Vorteile – eine Minderung von Lungenschädigungen und ein Schutz vor Angiotensin-II-bedingten Entzündungen in der Lunge. 

Bei ACE-2 handelt es sich nämlich auch um den funktionalen Rezeptor für verschiedene Coronaviren, so auch für das SARS-CoV-2-Virus, das ihn zum Eindringen in die Zelle nutzt. Die Einnahme von ACE-Hemmer und ARB ist mit einer Zunahme von ACE-2-Rezeptoren verbunden. Daher wird vermutet, dass die Bluthochdruck-Medikamente sowohl eine Infektion mit dem Virus begünstigen als auch den Krankheitsverlauf von Infizierten verschlimmern.

Stopp versus Weiterführen der Therapie

In der in Brasilien durchgeführten Studie „Continuing versus Suspending Angiotensin-Converting Enzyme Inhibitors and Angiotensin Receptor Blockers: Impact on Adverse Outcomes in Hospitalized Patients with Severe Acute Respiratory Stress Syndrome Coronavirus 2 (SARS-CoV-2)“ (BRACE CORONA), einer Phase-4-Studie, wurden bei Patienten, die eine kontinuierliche ACE-Hemmer- oder ARB-Therapie erhielten und aufgrund einer COVID-19-Erkrankung im Krankenhaus behandelt wurden, 2 Strategien gegenübergestellt:

  • 30-tägiger Stopp der Medikation (334 Patienten) oder

  • Weiterführen der Therapie (335 Patienten).

Primärer Studienendpunkt war das Überleben der Patienten nach 30 Tagen sowie die Dauer des Krankenhausaufenthalts.

Nicht an der Studie teilnehmen durften Patienten, die mehr als 3 Blutdrucksenker oder die Sacubitril/Valsarten-Kombination einnahmen; ebenso hämodynamisch instabile Patienten. Von Anfang April 2020 bis Ende Juni 2020 wurden 659 Patienten (Durchschnittsalter 56 Jahre; 40% Frauen) in die Studie eingeschlossen, die alle ACE-Hemmer (15%) oder ARB (85%) einnahmen und infolge einer Infektion mit dem SARS-CoV2-Virus in einer von 29 Kliniken in Brasilien behandelt wurden.

„Atemberaubendes“ Ergebnis

Dass die Ergebnisse bereits am 1. September, also weniger als 5 Monate nach Beginn des Enrollments, präsentiert wurden, nannte Hindricks „atemberaubend“.

 
BRACE CORONA ist aufgrund der Randomisierung eine wichtige Studie. Bei den Ergebnissen ist aber vermutlich das letzte Wort noch nicht gesprochen. Prof. Dr. Gianfranco Parati
 

Alle Patienten hatten Bluthochdruck, 1,4% eine Herzinsuffizienz; mehr als die Hälfte war adipös. Im Schnitt waren die Patienten 6 Tage nach dem Auftreten der ersten Symptome hospitalisiert worden. Einen milden Verlauf der COVID-19-Erkrankung zeigten 57%, einen mittelschweren Verlauf 43%. Patienten mit schwerem Verlauf waren von der Teilnahme ausgeschlossen.

In jeder Gruppe starben 9 Patienten. Innerhalb der 30 Tage Follow-up verbrachten diejenigen, bei denen die Therapie gestoppt wurde, im Schnitt 22 Tage außerhalb des Krankenhauses, Patienten, die die Bluthochdruck-Medikamente weiter einnahmen 23 Tage (p = 0,09). Insgesamt 92% der Patienten, deren Therapie gestoppt wurde, hatte am Ende des Follow-ups überlebt, von den Weiterbehandelten waren es 95%.

„Diese Erkenntnisse weisen also darauf hin, dass ein routinemäßiges Aussetzen der Bluthochdruck-Therapie im Krankenhaus behandelter COVID-19-Patieten mit leichten und mittelschweren Verläufen keinen klinischen Vorteil bringt“, sagte Lopes. „Daher sollte die Medikation bei denjenigen mit einer entsprechenden Indikation weitergeführt werden.“

Diskussion: Mortalitätsraten nach nur 30 Tagen nicht aussagekräftig

„Die Frage ist, ob ACE-Inhibitoren COVID-19-Patienten schützen oder ihnen schaden“, kommentierte Prof. Dr. Gianfranco Parati, Bereich kardiovaskuläre, neurale und metabolische Wissenschaften an der Universität Mailand, Italien, nach der Studienpräsentation. Da bisherige Studien nicht zu einem eindeutigen Ergebnis kamen, empfehlen die Fachgesellschaften bislang ein Fortführen der Therapie.

„BRACE CORONA ist aufgrund der Randomisierung eine wichtige Studie“, sagte Parati. „Bei den Ergebnissen ist aber vermutlich das letzte Wort noch nicht gesprochen.“ Angesichts der wichtigen Rolle, die das Alter und die Begleiterkrankungen für das Mortalitätsrisiko der COVID-19-Patieten spielen, seien die Studienergebnisse so nicht in den Klinikalltag übertragbar.

Bei älteren Patienten sei der Effekt von ACE-Hemmern und ARBs größer als bei jüngeren. BRACE Corona hatte ein verhältnismäßig junges Patientenkollektiv. „Ich denke, künftig sollten auch Patienten höheren Alters untersucht werden, denn junges Alter bietet bereits einen Schutz“, sagte Parati. Bei diesem Patienten sei das Absetzen der Medikamente möglicherweise unerheblich.

 
Bei Patienten mit schwerem Verlauf kennen wir die Antwort bereits – wir müssen diese Medikamente absetzen. Prof. Dr. Renato Lopes
 

Tatsächlich war jedoch ein Viertel der BRACE-CORONA-Patienten älter als 75 Jahre, so Lopes. Zwar zeigte sich beim primären Endpunkt kein signifikanter Unterschied zwischen älteren und jüngeren Patienten; je älter und kränker die Patienten jedoch waren, desto vorteilhafter wirkte sich das Fortführen der Therapie gegenüber einem Aussetzen der Medikation aus, räumte der Studienleiter ein.

Parati wies zudem auf einen möglicherweise unterschiedlichen Effekt von ARB und ACE-Hemmern hin. In BRACE Corona sei die überwiegende Mehrheit mit ARB behandelt worden – daher sei dieser potenziell unterschiedliche Mechanismus in dieser Studie schlecht untersuchbar. „In der primären Studienanalyse ging es darum das ganze Renin-Angiotensin-System zu testen“, sagte Lopes. „Daher haben wir ARB und ACE-Hemmer zusammen analysiert.“

Eine Sensitivitätsanalyse habe jedoch keine signifikanten Interaktionen ergeben, fügte er an. „In anderen Worten war der Behandlungseffekt bei ACE-Hemmern und ARB sehr konstant. In Norditalien haben wir ebenfalls ähnliche Effekte bei der Schutzfunktion beider Medikamentenklassen festgestellt“, sagte Parati.

Er bemängelte jedoch, dass bei einem Follow-up von nur 30 Tagen eine „verlässliche Aussage zum Mortalitätsrisiko bei diesen Niedrig- bis Moderat-Risiko-Patienten relativ jungen Alters schwierig ist“. Die Mortalitätsrate falle mit 2,76% relativ niedrig aus; ebenso der Anteil der Patienten mit schweren Atemproblemen. „Bei Patienten mit schwerem Verlauf kennen wir die Antwort bereits – wir müssen diese Medikamente absetzen“, auch, da schwere Verläufe häufig mit septischem Schock einhergingen, entgegnete Lopes.
 

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