Clemens Küpper wünscht sich für die kommenden Monate ein paar Praktikanten in seinem Unternehmen – und zwar aus der Politik. Der Geschäftsführer der Eisengießerei Baumgarte aus Bielefeld will den Entscheidern aus dem Bundestag hautnah vermitteln, wie der Alltag in einem mittelständischen Industrieunternehmen aussieht. „Dann erfahren sie endlich mal selbst, welche Auswirkungen ihre Entscheidungen zu neuen Gesetzen und Verordnungen haben“, begründet Küpper seine Idee.
Seit einiger Zeit schon ärgert sich der Unternehmer über den Umgang der Politik mit der Wirtschaft im Allgemeinen und dem Mittelstand im Besonderen. In den Sonntagsreden werde dieser Mittelstand zwar gerne vereinnahmt. „Rückendeckung oder Hilfe bekommen wir aber nicht“, beklagt Küpper beim Zukunftstag der Gießerei-Industrie in Düsseldorf. „Was haben wir getan, dass man uns so sehr misstraut und dass immer neue Vorgaben und Regeln erfunden werden?“ Im Moment fühle es sich jedenfalls eher wie ein Gegeneinander statt wie ein Miteinander an.
„Politiker sollten mal dabei sein, wenn wir einen Nachhaltigkeitsbericht schreiben, wenn wir Einkaufs- und Entsorgungsnachweise in irgendwelche Portale eintragen oder einen Vortrag über das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz bei der IHK anhören“, meint Küpper. Dann jedenfalls bestehe die Chance, dass Verständnis entsteht und endlich über praxisgerechte Lösungen für den industriellen Mittelstand gesprochen wird. „Und vielleicht kann die ein oder andere Berichtspflicht dann abgeschafft werden.“
Noch viel wichtiger ist Küpper aber das Thema Energiekosten. Lag deren Anteil an den Produktionskosten früher bei zehn bis 15 Prozent, seien es heute eher 25 Prozent. „Ja, der Strom ist wieder günstiger geworden. Aber er kostet immer noch deutlich mehr als früher. Zudem scheint niemand zu verstehen, dass es noch weitere Kosten gibt in diesem Bereich – zum Beispiel Netzentgelte, die mittlerweile höher sind als früher der Strompreis alleine.“
Das sei ein starker Wettbewerbsnachteil, den andere Länder in West- und Osteuropa einfach nicht haben. „Weil deren Regierungen etwas dagegen tun“, wie Küpper beschreibt. Die Differenz liegt dem Unternehmer zufolge teils im zweistelligen Prozentbereich. „Das können wir nicht auffangen. Also müssen wir die höheren Kosten eins zu eins weitergeben an die Kunden“, erklärt der Ostwestfale, der auch Präsident des Bundesverbands der Deutschen Gießerei-Industrie (BDG) ist. „Deswegen suchen sich viele von ihnen neue Lieferanten in Osteuropa oder Asien.“
Fast 30 Prozent ihres Produktionsvolumens hat die energieintensive Gießerei-Industrie mittlerweile verloren seit 2018, rechnet der BDG vor. Und in diesem Jahr drohen weitere heftige Verluste für die Branche mit zuletzt noch 600 Unternehmen, 70.000 Mitarbeitern und gut 14 Milliarden Euro Umsatz. Von Januar bis April jedenfalls gab es im Eisen- und Stahlguss, der für mehr als Dreiviertel des Geschäfts steht, ein Minus von fast zwölf Prozent. „Die Lage bei uns ist überwiegend nicht gut, bei manchen ist sie sogar echt schlecht“, berichtet Verbandschef Küpper. „Alle machen Kurzarbeit.“
Aus Sicht des BDG ist das ein großes Alarmzeichen auch für die gesamte Wirtschaft in Deutschland. „Wenn es Hunderten von Unternehmen wie uns nicht gut geht, weil Aufträge fehlen, dann stehen dahinter Tausende Kunden, die sonst bei uns bestellen“, sagt Verbandschef Küpper. Und das sei ein riesiger Anteil des industriellen Mittelstands. „Auf die Gießereien entfällt zwar nur ein Prozent der industriellen Wertschöpfungskette hierzulande. Aber wir beeinflussen den gesamten Rest. Die anderen 99 Prozent brauchen uns. Gussteile sind überall. Trotzdem dringen wir offenbar nicht bis ganz nach oben durch bei der Politik.“
Unternehmen wollen Planungssicherheit
Tatsächlich zeigt sich die angespannte Lage im industriellen Mittelstand nicht nur bei den Gießereien. Auch die Produktion der Stahl- und Metallverarbeiter befindet sich im Sinkflug, wie deren Branchenverband WSM meldet. So habe es im April ein Minus von acht Prozent gegenüber dem Vormonat gegeben. Für den Zeitraum Januar bis April weist der WSM einen Produktionsrückgang in Höhe von 6,8 Prozent aus. „So geht es nicht weiter“, kritisiert Hauptgeschäftsführer Christian Vietmeyer.
„Dringende Aufgabe der Politik ist es, bessere Rahmenbedingungen zu schaffen.“ Gemeint sind damit aus seiner Sicht wettbewerbsfähige Energiepreise statt temporärer Entlastungen. „Vorübergehende Preisbremsen und Stromsteuersenkungen sind keine Problemlöser. Nötig sind stabile Preise und dauerhaft niedrigere Netzentgelte. Nur so können Unternehmen langfristig und verlässlich planen.“
Darüber hinaus fordert Vietmeyer weniger Bürokratiebelastungen mit Papierkrieg, unkomfortablen Abläufen sowie teuren und langwierigen Genehmigungsverfahren. „Die Politik muss Vorgaben und Regularien entschlacken und vereinfachen. Dann fassen Unternehmen wieder Mut zu investieren.“ Die aktuelle Industriepolitik gefährde das ganze Land. „Wir sind eine produzierende Nation ohne ausreichend Alternativen.“
Fehlende Investitionen moniert auch die Deutsche Industriebank IKB. „Die realen Ausrüstungsinvestitionen in Deutschland sind eine absolute Katastrophe“, beklagt Chefvolkswirt Klaus Bauknecht. „Die Politik will die Transformation der Industrie. Aber Transformation heißt Erneuerung des Kapitalstocks. Doch aktuell gibt es keine Erneuerung, sondern eine Abwanderung des Kapitalstocks.“
Statt CO2-Zielen solle sich Deutschland deswegen lieber Investitionsziele setzen und den Fokus auf Wertschöpfung legen, statt ständig neue Regeln zu schaffen. „Wir brauchen eine massive Investitionsinitiative“, sagt Bauknecht, der als Grundlage dafür Planungssicherheit und stabile Rahmenbedingungen ansieht.
Die mahnen auch die deutsche Gießerei-Industrie an, die aktuell noch Platz fünf im weltweiten Ranking belegt. „Um große Investitionen tätigen zu können, brauchen wir Stabilität in den Planungen für sicherlich zehn Jahre“, sagt Philipp West, der Leiter Vertrieb und Engineering der Luitpoldhütte aus Bayern. Bislang punkte die Branche noch mit der Nähe zu den Kunden. „Die konfrontieren uns aber zunehmend mit den Preisen der Konkurrenz und wenden sich ab.“ Der Preis gewinne gerade immer stärker an Bedeutung.
Das bestätigt auch Christiane Heunisch-Grotz, die Geschäftsführerin von Heunisch Guss mit insgesamt vier Standorten in Deutschland und Tschechien. „Die Kunden sind nicht mehr bereit, unsere Preise zu bezahlen.“ Das Gesicht der Branche werde sich deswegen absehbar verändern, schon jetzt gebe es zahlreiche Insolvenzen.
„Die ganze Welt beneidet uns um den Mittelstand, aber der wird gerade angegriffen“, beklagt Heunisch-Grotz. Auch sie mahnt mehr Stabilität an. „Wir wissen gerade nicht mehr, ob wir nach links laufen sollen oder nach rechts.“ Zu oft ändere die Politik ihre Meinung. „Wir wollen nichts geschenkt, aber bessere Rahmenbedingungen und vor allem wieder unternehmerische Freiheiten.“ Ihr Appell an die Politik: „Lasst uns Mittelständler arbeiten und erdrückt uns nicht mit Vorschriften.“