Im Streit um die Zukunft des Stahlkonzerns Thyssenkrupp ist Aufsichtsratschef Siegfried Russwurm willens, bei Bedarf auch ein weiteres Mal mit seiner Doppelstimme das Votum der Arbeitnehmer im Kontrollgremium auszuhebeln. „Ich war noch nie ein ‚Basta-Chef‘. Und das werde ich auch als Aufsichtsratschef weiterhin nie sein“, sagte Russwurm in einem Interview mit WELT AM SONNTAG. „Würde ich deswegen ausschließen, das Doppelstimmrecht auch in Zukunft nochmal anzuwenden? Nein.“
Es gebe da keine Wahlfreiheit und keine Beliebigkeit. „Wenn es die Notwendigkeit gibt, muss man sich ihr stellen.“ Ein Aufsichtsratschef habe schließlich die Verpflichtung, verantwortlich im Sinne des Unternehmens zu handeln und entsprechende Entscheidungen sicherzustellen.
Der Manager reagierte damit auf die Kritik von Betriebsrat und IG Metall bei Thyssenkrupp an seinem Vorgehen: Der Konzern verkauft derzeit einen Teil seiner Stahlsparte Steel Europe an die EP Corporate Group (EPCG) des tschechischen Milliardärs Daniel Kretinsky.
Das „Wie“ sorgt bei Thyssenkrupp allerdings für große Aufregung. Denn im Aufsichtsrat fiel die entsprechende Entscheidung gegen die Stimmen der Arbeitnehmerbank. Ausschlaggebend war am Ende Russwurms Doppelstimmrecht als Aufsichtsratschef, das er da bereits zum zweiten Mal einsetzte.
Russwurm, der gleichzeitig Präsident des Industrieverbands BDI ist, begründete sein Vorgehen mit der schwierigen Lage der Stahlsparte. „Wir sind in schwerem Fahrwasser mit dem Stahlbereich“, sagte er. „Da spielt der Faktor Zeit eine große Rolle. Zumal bei Thyssenkrupp schon zu lange gewartet wurde.“
Strukturelle Probleme müssten jetzt gelöst werden
Das Stahlgeschäft dürfe nicht mehr das Risiko sein, das alle anderen Bereiche des Konzerns mit nach unten ziehe. „Wir brauchen eine Lösung, nicht vielleicht oder irgendwann, sondern jetzt“, so der Aufsichtsratschef. „Von allein wird die Situation nicht besser.“ Es gehe um strukturelle Probleme, die gelöst werden müssten und nicht um eine zwischenzeitliche Konjunkturflaute.
Gleichzeitig warnte er die Arbeitnehmerseite im Stahlkonzern davor, den Streit über die Zukunft der Stahlsparte „auf dem Rücken der Kunden auszutragen.“ Produktionsstillstände oder ähnliches wären in der aktuell wirtschaftlich angespannten Lage und bei weltweit erheblichen Überkapazitäten gefährlich für das Unternehmen. „Damit würde man sich selbst am meisten schaden“, sagte Russwurm. „Ich gehe davon aus, dass das alle Verantwortlichen wissen.“