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Meinung Vorschlag der EU-Kommission

Der Schulden-Plan für Europa geht genau in die falsche Richtung

Ökonom Friedrich Heinemann übt konkrete Kritik am Vorschlag der EU-Kommission Ökonom Friedrich Heinemann übt konkrete Kritik am Vorschlag der EU-Kommission
„Das Grundproblem im aktuellen System ist, dass der neutrale Schiedsrichter fehlt“, meint der Ökonom Friedrich Heinemann
Quelle: Philipp von Ditfurth/picture alliance/dpa; Borchard A.Loeffler /ZEW
Die EU-Kommission hat einen Vorschlag für die Reform des Stabilitätspakts gemacht. Einige der Grundideen sind brauchbar. Doch das Grundproblem packt der Vorschlag nicht an. Kungeleien bleiben Tür und Tor geöffnet. Deutschland muss jetzt die Spreu vom Weizen trennen.
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Die EU-Mitgliedstaaten ringen um eine Reform der europäischen Schuldenregeln. Mit ihrem Vorschlag hat die Europäische Kommission die Agenda gesetzt. Drei Grundideen kennzeichnen diesen Aufschlag. Erstens sollen die Mitgliedstaaten die Vorgaben zum Schuldenabbau individuell mit der Kommission aushandeln. Bisher gibt es eine Mischung aus formel-basierten Regeln und Flexibilität.

Zweitens sollen Investitionen und Reformen stärker berücksichtigt werden. Je mutiger ein Land reformiert und investiert, desto mehr Luft soll es bei der Verschuldung bekommen. Drittens sollen die Mitgliedstaaten sehr viel mehr Zeit bekommen. Ein Land könnte nach den Vorstellungen der Kommission eine Frist von vier bis sieben Jahren erhalten, um den Schuldenstand auf den vorgeschriebenen Abwärtspfad zu lenken.

Einige dieser Ideen gehen in die richtige Richtung. Es ist sinnvoll, sich nicht zu eng an feste Anpassungsformeln zu klammern und stärker nach der Qualität von Staatsausgaben zu fragen. Auch schadet die derzeitige „Ein-Zwanzigstel-Regel“ letztlich der Glaubwürdigkeit des Stabilitätspakts.

Diese Regel besagt, dass der Schuldenstand seinen Abstand zur 60-Prozent-Grenze des Maastrichter Vertrags pro Jahr um ein Zwanzigstel verringern soll. Diese Formel verlangt bei den hohen italienischen und griechischen Schuldenständen einen so hohen absoluten Rückgang der Schuldenquote pro Jahr, dass dies kaum realistisch ist.

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Trotz dieser richtigen Ideen packt der Kommissionsvorschlag die zentralen Schwächen des Pakts nicht an und würde sie sogar noch verschärfen. Das Grundproblem im aktuellen System ist, dass der neutrale Schiedsrichter fehlt. Die Kommission selbst ist als politisch agierende Instanz dafür ungeeignet. Sie entscheidet politisch, ob ein Land bei den Regeln hart angefasst wird oder nicht. Wenn etwa eine europafreundliche Regierung von Abwahl bedroht ist, neigt Brüssel erkennbar zur Nachsicht bei den Fiskalregeln.

Das Gleiche gilt für politisch besonders einflussreiche Länder. Berühmt geworden ist der Ausspruch des damaligen Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker. Dieser hatte lapidar die Nachsichtigkeit seiner Behörde beim Stabilitätspakt gegenüber Paris mit der Bemerkung „Weil es Frankreich ist“ erklärt. Dies steht symptomatisch für die fehlende Fähigkeit einer politisch denkenden Institution, Fiskalregeln unparteiisch zu überwachen und unter dem Ziel der Schuldentragfähigkeit durchzusetzen.

Es gibt eine als Schiedsrichter bestens geeignete Institution

Die richtige Schlussfolgerung aus diesen Erfahrungen sollte sein, genau umgekehrt zum Kommissionsvorschlag mehr Neutralität zu sichern und den Spielraum der Kommission weiter zu beschneiden. Statt der Kommission sollte eine unabhängige Instanz eine stärkere Rolle einnehmen.

Eine dafür bestens geeignete Institution existiert bereits: Der aus fünf unabhängigen Persönlichkeiten bestehende Europäische Fiskalausschuss (EFA) begleitet schon heute die Arbeit der Kommission mit erstklassigen Analysen und Berichten. Nur ist der Einfluss dieser Instanz bislang auf die Macht guter Argumente beschränkt, über die sich die Kommission einfach hinwegsetzen kann.

Der Vorschlag der Kommission geht daher genau in die falsche Richtung. Der Plan, den Schuldenabbaupfad pro Land frei durch die Kommission aushandeln zu lassen, würde noch mehr Raum für Kungelei anstelle glaubwürdiger fiskalischer Aufsicht eröffnen. Die Kommission wäre dann nicht mehr nur Schiedsrichter, sondern dürfte künftig sogar noch die Spielregeln bestimmen.

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Auch die Vorstellungen der Kommission zum Zeithorizont der Schuldenrückführung überzeugen nicht. Eine Fristsetzung von vier bis sieben Jahren ist in der politischen Realität viel zu lang. Sie lädt ein, heute ein rosiges Bild geplanter Reformen zu zeichnen, nur um in der Gegenwart weiter neue Schulden zu machen. Die wirtschaftspolitische Erfahrung in Europa umfasst unzählige geplante Reformen, die ihre geplanten Wirkungen verfehlt haben oder nur teilweise oder überhaupt nicht umgesetzt werden konnten.

Ein weiterer Irrtum wäre zu meinen, dass schuldenfinanzierte Investitionen grundsätzlich akzeptiert werden sollten. Es gibt viele Investitionen, die zwar enorm wichtig sind wie Klimapolitik oder Verteidigung, die aber kaum dabei helfen, das Wachstumspotenzial eines Landes zu heben.

Deutschland sollte im Kommissionsvorschlag die Spreu vom Weizen trennen

Solche Investitionen verbessern daher auch nicht die Schuldentragfähigkeit und müssen deshalb aus den laufenden Einnahmen abgedeckt werden. Investitionsbezogene Ausnahmen sollten deshalb auf einen engen Kreis von Investitionstypen beschränkt bleiben, die nachweisbar das Wachstumspotenzial erhöhen.

Das Fazit lautet: Der Vorschlag der Kommission kann politökonomisch nicht überraschen. Diese Reform würde den Entscheidungsspielraum der Kommission stark ausweiten, das ist ihr institutionelles Eigeninteresse. Diese Reformblaupause würde der Glaubwürdigkeit des Pakts schaden. Deutschland sollte im Kommissionsvorschlag die Spreu vom Weizen trennen. Details wie die Ein-Zwanzigstel-Regel sollten verhandelbar sein und können leicht durch realistischere Vorgabe ersetzt werden.

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Abzulehnen ist der große Verhandlungsspielraum der Kommission, die Beliebigkeit der Ausnahmetatbestände und die langen Fristen. Den Erfolg ihrer Konsolidierungsbemühungen sollten Politiker immer unmittelbar beweisen müssen, bloße Konsolidierungsversprechungen sind „cheap talk“ und dürfen nicht zählen.

Auch sollte sich die Bundesregierung für eine Ausweitung im Mandat des EFA aussprechen. Wenn man tatsächlich mehr Beurteilungsspielraum bei den Fiskalregeln akzeptiert, dann geht das nur mit einer neutralen Instanz, die nicht schon wieder das nächste politische Tauschgeschäft mit Berlin, Paris oder Rom vor Augen hat.

Prof. Dr. Friedrich Heinemann leitet den Forschungsbereich Öffentliche Finanzen am ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung und lehrt an der Universität Heidelberg.

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