Das Gittertor am Eingang ist verschlossen. Ein Wachmann sitzt am Sonntagvormittag in einem kleinen weißen Häuschen. Viel zu beobachten gibt es für ihn nicht mehr, auch nicht mehr viel zu tun. Denn es ist kaum noch einer da.
Drinnen im „Homeground“ von Adidas, der in den vergangenen Wochen als EM-Quartier für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft diente, verstauen die Zeugwarte die letzten Sachen. Auch Mitglieder vom Teammanagement ordnen noch ein paar Dinge, ehe sie am Nachmittag abreisen.
Es ist Kehraus am Tag zwei nach dem bitteren EM-Aus der deutschen Nationalelf im Viertelfinale gegen Spanien (1:2 nach Verlängerung). Tränen waren geflossen, als die Spieler und Trainer am Samstag das Camp verlassen haben. Sie sind nicht mehr da.
Einsam am Wegesrand aber parkt der blaue Team-Bus, der sie an die Spielorte Stuttgart, München und Frankfurt gebracht hatte – oder zum Flughafen nach Nürnberg, von wo aus es nach Dortmund ging. Auch die Fahnen, die Fanclubs aus ganz Deutschland mit guten Wünschen für die Mannschaft an den Deutschen Fußball-Bund (DFB) geschickt hatten, hängen nach wie vor am Zaun im Camp.
„Wir hatten eine gute Zeit zusammen“, sagt Nagelsmann
Wie ein Relikt erinnern sie an die EM-Tage in Herzogenaurach – an die Zeit im „Homeground“, in der, wie es Bundestrainer Julian Nagelsmann formuliert hatte, eine tolle Gemeinschaft entstanden war. „Wir hatten eine gute Zeit zusammen, es gab nicht eine Situation, in der ich eingreifen und jemand an seine Rolle erinnern musste. Das ist schon sehr außergewöhnlich“, hatte Nagelsmann gesagt.
Der Himmel ist bedeckt am Sonntag in Herzogenaurach. Während auf dem Weihersbachgelände erste Besucher der alljährlichen Sommerkirchweih schon mal ein Bier trinken, ist am Medienzentrum, das neben dem Firmenhauptsitz von Adidas liegt und in dem täglich bis zu hundert Medienvertreter ein und aus gingen, kaum etwas los. Zehn Kleinbusse von Sponsor VW, die die Journalisten in den vergangenen Wochen nutzen konnten, um den Trainingsplatz der deutschen Elf zu erreichen, parken in einer Reihe am Straßenrand.
Auf dem umzäunten TV-Compound, wo die übertragenden Fernsehsender ihren Arbeitsbereich hatten, werden Kisten gepackt, Kabel eingerollt. In zwei Tagen, heißt es, sollen die Container und Zelte verschwunden sein.
Dann ist das deutsche EM-Kapitel zwar beendet. Aber der Fußballbetrieb in Herzogenaurach geht weiter. Das Camp ist bei den Partnerteams von Adidas beliebt. Als nächstes ist der FC Arsenal zu Gast – und im September dann sogar wieder die deutsche Fußball-Nationalmannschaft. Dann gilt es, sich auf die Spiele in der Nations League gegen Ungarn am 7. September in Düsseldorf und gegen die Niederlande drei Tage später in Amsterdam vorzubereiten. Am 2. September wird der DFB-Tross in Herzogenaurach erwartet.
„TKpro“ statt „11pro“: große Ehre für Toni Kroos
Zuletzt hatte sich das Nationalteam meist auf dem teuer gebauten DFB-Campus in Frankfurt/Main auf Länderspiele vorbereitet. Knapp 180 Millionen Euro hat die Anlage, die jährliche Unterhaltskosten von 18 Millionen Euro haben soll, gekostet.
Für das Training bietet der Campus ideale Voraussetzungen – nur gibt es dort zu wenig Zimmer, damit Spieler, Trainer und Staff dort auch übernachten können. Dafür muss stets ein Hotel gemietet werden. Anfang September ist in Frankfurt für den großen Tross keines frei, heißt es.
Doch nicht nur deshalb erhält Herzogenaurach den Vorzug: Mannschaft und Trainer lieben einerseits die Top-Bedingungen – der hochmoderne Trainingsplatz befindet sich fußläufig vom Camp –, andererseits wollen sie den Teamgeist, der in den vergangenen Wochen entstanden ist, weiter stärken. Die positive Energie des EM-Quartiers will Nagelsmann wohl weiter nutzen.
Der Bundestrainer hat bereits wissen lassen, dass es keinen Sinn ergebe, „den kompletten Kader durchzuwürfeln“. Lediglich in Nuancen solle das Team verändert werden.
Klar ist, dass Toni Kroos nach seinem Karriereende nicht mehr dabei sein wird. Ihm zu Ehren hat Adidas die Fußballschuhe, die er seit mehr als zehn Jahren getragen hat, umbenannt. Der „11pro“ heißt ab sofort „TKpro“. Ob neben Kroos noch weitere Spieler aus dem Nationalteam ausscheiden, ist offen.
Manuel Neuer (38 Jahre/124 Länderspiele) und Thomas Müller (34/131) wären mögliche Kandidaten. Sie möchten sich Zeit für eine Entscheidung nehmen, auch in Absprache mit dem Trainer, wie sie angekündigt haben. Auch über die Zukunft des Kapitäns İlkay Gündoğan wird spekuliert.
Wer Kroos künftig auf dem Platz ersetzen kann, hat der Bundestrainer schon angedeutet. Aleksander Pavlovic, Angelo Stiller und Pascal Groß nannte er als Kandidaten. Möglich ist aber auch, dass Joshua Kimmich von der rechten Seite wieder zurück ins Mittelfeld rückt.
Wie und für wen sich Nagelsmann auch entscheidet: erst einmal ist jetzt Urlaubszeit. Für ihn, der ein paar Tage Pause braucht, wie er sagte, für seine Assistenten und die Spieler. Wenn sich der Tross des DFB im September trifft, werden neben Kroos zwei weitere Mitglieder aus dem Staff nicht mehr dabei sein. Teampsychologe Hans-Dieter Hermann und Physiotherapeut Wolfgang Bunz hören nach 20 Jahren auf.