Das hatte sich abgezeichnet. Bundestrainer Julian Nagelsmann hat kurz vor dem Anpfiff der EM-Generalprobe gegen Griechenland an diesem Freitagabend (das Duell können Sie hier im Live-Ticker verfolgen) bestätigt, was bereits am Vormittag durchgesickert war: Alexander Nübel vom VfB Stuttgart wird nicht beim Turnier in Deutschland dabei sein. Nagelsmann strich den 27 Jahre alten Schlussmann aus dem Kader, entgegen seiner ursprünglichen Planung. An sich wollte er mit vier Torhütern die EM bestreiten.
„Es hat nichts mit der Leistung von Alex zu tun. Er hat sich sehr gut eingegliedert, hatte auch eine gute Trainingsleistung. Er hat beim Feedback seine Rolle für die Zukunft aufgezeigt bekommen. Beim Torwart kann man nachnominieren, wenn sich jemand verletzt, das ist bei Feldspielern nicht so“, sagte Nagelsmann bei RTL. Er begründete diese mit „Unwägbarkeiten“ bei Leroy Sané. Der Flügelstürmer sei zwar „bei knapp hundert Prozent, das war er aber bei Bayern auch teilweise, und dann wurde es schlagartig ein bisschen anders.“ Deshalb sei die Entscheidung zugunsten eines Feldspielers mehr und gegen einen vierten Torwart im Kader gefallen.
Zum Aufgebot gehören nun wie bei den vergangenen Turnieren 23 Feldspieler und drei Torhüter. Die deutsche Torwart-Riege bilden nun nur noch Manuel Neuer (FC Bayern) als Nummer eins sowie Marc-André ter Stegen (FC Barcelona) und Oliver Baumann (TSG Hoffenheim). Alex und auch wir verstehen dies nicht als eine Entscheidung gegen seine Qualität“, sagte Stuttgarts Sportdirektor Fabian Wohlgemuth: „Alex‘ Zeit in der Nationalmannschaft wird kommen, davon bin ich felsenfest überzeugt.“
Nagelsmann hatte bei der Bekanntgabe seines vorläufigen Kaders mit 27 Spielern am 16. Mai noch erläutert, dass er aus Gründen der Trainingssteuerung mit vier Torhütern in die EM gehen wolle. Auch deshalb war Nübel ohne bisherigen Länderspiel-Einsatz nach seinen guten Leistungen in der Saison beim Bundesliga-Zweiten nominiert worden. Der Schlussmann war von der vorläufigen Berufung selbst überrascht worden und hatte erzählt, dass er einen Safari-Urlaub stornieren müsse.
Bis um Mitternacht müssen die 26 Akteure bei der Uefa gemeldet werden. Änderungen sind bei verletzten Spielern nur noch vor dem Auftaktspiel am 14. Juni gegen Schottland möglich, Torhüter können auch noch im Turnierverlauf ersetzt werden, wenn auch ein Uefa-Arzt eine Blessur bestätigt.
Streichkandidaten wie Nübel haben beim DFB Tradition
Nübel ist mit seinem sportlichen Schicksal historisch gesehen nicht allein. Vor dem letzten Turnier, der WM 2022, die Ende November/Anfang Dezember stattfand, hatte der damalige Bundestrainer Hansi Flick im Herbst auch einen vorläufigen Kader von 50 Spielern benannt. Da das Turnier mitten in der Saison ausgetragen wurde, blieb keine Zeit für ein Trainingslager – und damit auch keine Möglichkeit für eine Art Schaulaufen möglicher Streichkandidaten. Flick berief am Ende 26 Spieler, verzichtete auf Profis wie Mats Hummels oder Robin Gosens.
Vor dem WM 2018, die in Russland mit dem Vorrunden-Aus für Deutschland endete, hatte der damalige Bundestrainer Joachim Löw im Vorfeld des Turniers vier Spieler aus dem vorläufigen Kader gestrichen. Im Trainingslager in Eppan/Südtirol traf es die Feldspieler Leroy Sane, Jonathan Tah und Nils Petersen sowie Torhüter Bernd Leno. „Es fällt nicht einfach, das den Spielern mitzuteilen“, sagte Löw damals. Es breche schließlich zunächst eine kleine Welt für die Spieler zusammen.
Für Löw war das Streichen von Spielern aus dem endgültigen Turnieraufgebot nichts Neues. Nachdem er 2006 zum Chefcoach befördert worden war, hatte er vor jedem Turnier stets einen Kader mit mehr als 23 Fußballern nominiert – so viele durften bislang bei einer WM und EM im Kader stehen. Seit der Corona-Pandemie haben es sowohl die Fifa als auch die Uefa erlaubt, 26 Profis zu nominieren.
Vor der EM 2008, Löws erstem Turnier als verantwortlicher Bundestrainer, waren 26 Spieler mit ins Vorbereitungslager nach Mallorca gereist. Nach dem 2:2 im Testspiel gegen Weißrussland wurden der damaliger Schalker Jermaine Jones, der Kölner Patrick Helmes und der Gladbacher Marko Marin gestrichen. „Es war nur ein Sandkorn, das die Waage auf diese Seite ausschlagen ließ“, sagte Löw.
Zwei Jahre später, als die WM 2010 in Südafrika auf dem Programm stand, berief Löw sogar 27 Spieler in den vorläufigen Kader, der zur Vorbereitung nach Eppan/Südtirol reiste. Im Trainingscamp in Südtirol musste er am Ende dann aber nur den Hoffenheimer Außenverteidiger Andreas Beck streichen. Kapitän Michael Ballack, Christian Träsch und Heiko Westermann hatten sich verletzt, so dass der Coach keine weiteren Spieler aussortieren musste. „Er ist tief enttäuscht“, sagte Löw bei einer kleinen Medienrunde vor dem Teamhotel über Beck.
Vor dem EM 2012 in Polen und der Ukraine nahm Löw erneut 27 Spieler zur Turniervorbereitung mit, die in Südfrankreich absolviert wurde. Am Ende konnten Cacau sowie Marc-André ter Stegen, Julian Draxler und Sven Bender nicht am EM-Turnier teilnehmen, bei dem Deutschland im Halbfinale an Italien scheiterte. Der damals 20 Jahre Torwart ter Stegen sprach damals nach der Streichung von „einer interessanten Erfahrung“. Er hatte im Rahmen der Vorbereitung sein Debüt im Nationaltrikot gegeben: beim 3:5 im Test gegen die Schweiz.
Zwei Jahre später, als es galt sich auf die WM in Brasilien vorzubereiten, nominierte Löw zunächst 30 Spieler in einen vorläufigen WM-Kader, ehe er diesen nach einem 0:0 im Test gegen Polen auf 27 reduzierte. Die damaligen Schalker Profis Max Meyer und Leon Goretzka sowie der lange verletzte Hamburger Marcell Jansen mussten als erstes weichen, zudem ersetzte der Gladbacher Christoph Kramer den Augsburger André Hahn. Von den 27 Spielern, die mit ins Trainingslager ins Passeiertal/Südtirol reisten, wurden am Ende Marcel Schmelzer, Kevin Volland und Shkodran Mustafi gestrichen, der Leverkusener Lars Bender hatte sich verletzt.
Weil sich Marco Reus dann aber im abschließenden Testspiel gegen Armenien verletzte, holte Löw Mustafi wieder zurück – und gab ihm so die Chance, sich mit dem WM-Titel zu krönen, was dem Verteidiger, der in der Vorrunde zum Einsatz kam, dann ja auch gelang.
Für Reus klappte es dann auch zwei Jahre später bei der EM 2016 nicht mit einem Platz im endgültigen Kader. Nach Rücksprache mit den Medizinern strich Löw den offensiven Mittelfeldspieler aus dem vorläufigen Aufgebot, zudem mussten sich auch Sebastian Rudy, Julian Brandt und Karim Bellarabi vom restlichen Team im Trainingslager in Ascona/Schweiz verabschieden. Für sie reichte es ebenfalls nicht. Bitter für Reus: Er erhielt die Nachricht von der Nicht-Nominierung auch noch an seinem Geburtstag. „Er kann nur geradeaus laufen“, beschrieb der Bundestrainer auf einer Pressekonferenz den Zustand von Reus. Bei den ebenfalls angeschlagenen Stammkräften Bastian Schweinsteiger und Mats Hummels ging Löw dagegen das Risiko ein. Er nahm das Duo mit nach Frankreich, wo die deutsche Elf im Halbfinale schließlich am Gastgeber scheiterte.
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